GKV-FKG

Weiterentwicklung des Morbi-RSA

Das Bundeskabinett hat am 9. Oktober 2019 den Gesetzentwurf für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verabschiedet. Ursprünglich hieß es Gesetz für eine faire Kassenwahl in der GKV. Die Abkürzung GKV-FKG konnte trotz Namensänderung beibehalten werden. Mit dem Gesetz will die Bundesregierung den Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) weiterentwickeln und Organisationsstrukturen im GKV-Spitzenverband (GKV-SV) reformieren. Angesichts der Verwerfungen im Morbi-RSA ist dieses Gesetz zwingend notwendig, um den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen zukünftig fairer und manipulationssicherer auszugestalten.

Grafik: Deckungsbeiträge berücksichtigungsfähiger Leistungsausgaben

Die ursprünglich vorgesehene bundesweite Öffnung der regional abgegrenzten AOK ist im Kabinettsentwurf nicht mehr enthalten. Die damit einhergehende bundesweit einheitliche Aufsicht beim Bundesversicherungsamt (BVA) kommt dementsprechend nicht zustande. Damit fehlen weiterhin konsequente Regelungen für eine einheitliche Aufsicht der Kassen. Die Bundesregierung hat hier dem Druck der Länder nachgegeben, die durch den Verlust ihrer Aufsichtskompetenzen Einschränkungen in der Versorgung durch die regionalen Krankenkassen sahen. Damit blenden die Länder vollkommen aus, dass sich auch die bundesweit organisierten Krankenkassen im Rahmen der gemeinsamen einheitlichen Verträge genauso an der regionalen Versorgung beteiligen wie regionale Krankenkassen. Die Versorgung vor Ort wäre mit einer Veränderung des Aufsichtshandelns nicht verbunden gewesen. Der Gesetzgeber will jetzt mit einem zweimaligen verpflichtenden Meinungsaustausch der Aufsichtsbehörden und einer Beschlussfassung (Verzicht auf Einstimmigkeitsprinzip) die Rolle des BVA bei den Aufsichtsbehördentagungen stärken. Ob dies die vielfach beklagten Probleme einer unterschiedlichen Aufsichtspraxis auf Bundes- und Landesebene löst, ist allerdings nach wie vor fraglich.

Außerdem verzichtet der Gesetzgeber darauf, die ehrenamtlichen Vertreterinnen und Vertreter der Sozialen Selbstverwaltung im Verwaltungsrat des GKV-SV durch hauptamtliche Vorstände zu ersetzen. Allerdings wird deren Anzahl an Sitzen von heute 52 auf künftig höchstens 40 verringert. Auf den Vorschlagslisten für den Verwaltungsrat müssen sich mindestens 40 Prozent Frauen und 40 Prozent Männer befinden. Für die Entscheidungsfindung bei operativen Versorgungsfragen wird dem GVK-SV ein Lenkungs- und Koordinierungsausschuss (LKA) an die Seite gestellt, in dem von jeder Kassenart je zwei Personen aus dem hauptamtlichen Vorstand einer zugehörigen Kasse Platz nehmen. Ein Sitz muss von einer Frau, der andere von einem Mann eingenommen werden. Steht keine weibliche Vorstandsperson für die Aufgabe zur Verfügung, bleibt der Platz unbesetzt. Somit wird die Selbstverwaltung im GKV-SV weiterhin im Verwaltungsrat die zentrale und entscheidende Rolle spielen. Die Verkürzung auf höchstens 40 Sitze ist sachlich nachvollziehbar und erzwingt, die Kräfteverhältnisse im Verwaltungsrat neu auszutarieren. Die bestmögliche Anpassung der Sitz- und Stimmverteilungen an die Versichertenzahlen der Mitgliedskassen und damit der Marktanteile ist im Verwaltungsrat des GKV-SV mit den im Gesetz vorgesehenen Kriterien nur mit 52 Sitzen zu gewährleisten.

Der neu zu schaffende LKA wird die Arbeit in den Gremien des GKV-SV zusätzlich erschweren. Die Vorschrift, dass bei versorgungsbezogenen Entscheidungen des Vorstandes des GKV-SV diese der Zustimmung des LKA bedürfen, ist de facto eine Einschränkung der operativen Entscheidungsbefugnis des von der Selbstverwaltung gewählten Vorstandes. Da dem LKA nur die hauptamtlichen Vorstände der Mitgliedskassen angehören sollen, diese aber in Konflikt zu ihren wettbewerblichen Einzelinteressen geraten können, sind im weiteren Entscheidungsprozess erhebliche Verzögerungen und Blockaden nicht ausgeschlossen. Sollte der Verwaltungsrat bei seinen Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung die Vorgaben/Leitplanken für das operative Handeln des Vorstandes setzen, so kann der LKA aufgrund des Zustimmungsvorbehaltes diese auch blockieren. Wenn eine höhere Mitwirkung der Mitgliedskassen gewährleistet werden soll, so ist dies sicherlich auch in einem LKA auf Basis von Entscheidungen mit Empfehlungscharakter möglich. Gut wäre es zudem, wenn das Gremium durch einen weiteren zusätzlichen Vertreter erweitert werden würde. Nur dann kann sichergestellt werden, dass die Mitwirkungen der einzelnen Kassen und die Entscheidungsprozesse für die optimale Versorgung der Versicherten nutzbar werden.

Eine Reform der Zuweisungssystematik im Morbi-RSA ist angesichts der jüngsten Ergebnisse des RSA-Schlussausgleichs nachweisbar dringend geboten (vgl. Grafik). Das vorgesehene Gesamtpaket des GKV-FKG zur Weiterentwicklung des Morbi-RSA würde die bisherige Zuweisungssystematik korrigieren. Dieses Paket darf daher nicht aufgeschnürt werden, damit zukünftig der Kassenwettbewerb wieder fairer gestaltet werden kann.

Wesentliche Maßnahmen des Gesamtpakets

  1. Einführung eines Regionalfaktors: Externe Faktoren berücksichtigen
    Mit der Einführung eines Regionalfaktors werden externe Faktoren mit einbezogen, welche die regionalen Deckungsbeitragsunterschiede statistisch erklären. Angebotsorientierte Faktoren wie Arztdichte und Krankenhausbettenzahl werden nicht in den Ausgleich einbezogen. Damit sollen Wettbewerbsverzerrungen abgebaut und es soll Marktkonzentrationsprozessen vorgebeugt werden, die sich laut Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats in einigen Bundesländern abzeichnen. Diese externen Faktoren berücksichtigt der Morbi-RSA in seiner aktuellen Ausgestaltung nicht. Das führt dazu, dass Krankenkassen, die vornehmlich in Regionen mit vergleichsweise geringem Ausgabenniveau tätig sind, im Wettbewerb bevorteilt werden.
  2. Streichung der Erwerbsminderungsgruppen sowie der zugehörigen Zuschläge: Ungleichbehandlung wird aufgehoben
    Die Hilfsvariable des Erwerbsminderungsstatus eines Versicherten ist durch die Einführung eines Risikostrukturausgleichs mit direktem Morbiditätsbezug überflüssig geworden. Für Rentnerinnen und Rentner, Nichterwerbstätige und Selbstständige können die Krankenkassen per se keinen derartigen Zuschlag erhalten, auch wenn identische Diagnosen bzw. ein identischer Schweregrad der Erkrankung vorliegen, wie bei den Personen mit Erwerbsminderung. Damit kommt es durch einen rentenrechtlichen Status zu einer erheblichen Ungleichbehandlung, die mit der Streichung des Kriteriums beseitigt würde. Eine Verschlechterung der Versorgung der Erwerbsgeminderten ist mit der Streichung nicht verbunden.
  3.  Einführung eines Risikopools: Bessere Finanzierung teurer Therapien und Behandlungen
    Mit dem vorgesehenen Risikopool können insbesondere Unterdeckungen für hochpreisige und teure Therapien und Behandlungen abgebaut werden. Die Zuweisungen über den Morbi-RSA bleiben hier bislang trotz zahlreicher Anpassungen am Modell teilweise erheblich hinter den tatsächlichen Leistungsausgaben zurück. Durch den Schwellenwert bleiben Anreize für wirtschaftliches Verhalten bestehen. Die Zuweisungen über den Morbi-RSA werden also mit der Einführung eines Risikopools zielgenauer, Anreize zur Risikoselektion gegen besonders teure Versicherte werden reduziert.
  4. Einführung eines Krankheitsvollmodells: nur mit Manipulationsbremse vertretbar
    Die Einführung eines Krankheitsvollmodells ist nur dann vertretbar, wenn die Einnahmenoptimierung durch Diagnosebeeinflussung ausgeschlossen werden kann. Der Gesetzgeber will verhindern, dass einzelne Krankenkassen Maßnahmen zur Kodierbeeinflussung insbesondere in Bezug auf die neu hinzukommenden Krankheiten ergreifen, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Die vorgesehene Manipulationsbremse ist daher zwingend umzusetzen. Mit der Manipulationsbremse sollen Manipulationsanreize gedämpft und eine zusätzliche Unsicherheit bezüglich der Profitabilität von Kodieraktivitäten geschaffen werden. Sollten nach dem vorgegebenen Verfahren die ausgewiesenen Steigerungsraten bei den sogenannten hierarchisierten Morbiditätsgruppen (HMG) Kodieroptimierung belegen, werden diese HMG aus dem Klassifikationsmodell für das betreffende Ausgleichsjahr herausgenommen, und damit auch spezielle Zuschläge für diese. Da das gesamte Zuweisungsvolumen im Vorfeld durch das BVA festgelegt wurde, ändert sich dann lediglich die Verteilung der Zuweisung im Rahmen des Jahresausgleiches. Zu einem Ausschluss kommt es nicht, wenn es medizinische Gründe für den überdurchschnittlichen Anstieg bei der HMG gibt. Die Manipulationsbremse setzt die gesetzgeberischen Aktivitäten gegen die Kodieroptimierung im Morbi-RSA konsequent fort. Krankenkassen sollen ihre Ressourcen nicht in die Optimierung der RSA-Zuweisungen, sondern in die Versorgung ihrer Versicherten investieren.
  5. Einführung einer Präventionskomponente: Präventionsmaßnahmen belohnen
    Mit einer Präventionskomponente sollen Präventionsmaßnahmen der Krankenkassen belohnt werden. Das setzt über die Ausgestaltung des Morbi-RSA Anreize, in die Gesundheit der Versicherten zu investieren.
  6. Arzneimittelrabatte werden zielgenau in die Zuschlagsberechnung einbezogen
    Zukünftig sollen die Arzneimittelrabatte versichertenindividuell für das RSA-Verfahren gemeldet und in die Zuschlagsberechnung einbezogen werden. Durch diese differenziertere Berücksichtigung der Arzneimittelrabatte ist gegenüber den heutigen Verfahren eine zielgenauere Abbildung der tatsächlich auf die Versicherten angefallenen Ausgaben möglich. In der Folge steigt die Zielgenauigkeit des gesamten Verfahrens.
  7. Optimierung der RSA-Prüfverfahren
    Das bisherige RSA-Prüfverfahren durch das BVA soll vereinfacht werden. Damit erhält das BVA mehr Spielraum zur Gestaltung der verschiedenen Prüffelder; die Diagnoseprüfung nach § 273 SGB V wird außerdem stringenter gefasst. Sollten in dem § 273-Prüfverfahren Kassen auffällig werden, gilt zukünftig eine Beweislastumkehr. Das BVA ist dann nicht mehr auf die Einforderung und Belieferung mit Informationen, über die nur die betroffenen Kassen verfügen, angewiesen, um Rechtsverstöße nachzuweisen. Sondern die auffällig gewordenen Kassen müssen die Richtigkeit der Daten nachweisen. Damit würden die bisherigen Probleme der rechtssicheren Ahndung bei festgestellten Datenmanipulationen beseitigt.

Da die Zuweisungsverwerfungen im Morbi-RSA immer noch nicht faire Wettbewerbsbedingungen unter den Krankenkassen zulassen, darf das Gesamtpaket zur Weiterentwicklung des Morbi-RSA im GKV-FKG nicht aufgeschnürt werden. Die aufsichts-
rechtlichen Vorschriften sollten im Sinne einer stärkeren einheitlichen Praxis noch stringenter gefasst, die organisationsrechtlichen Vorschriften im GKV-SV ohne Einschränkung der Selbstverwaltung und unter Berücksichtigung einer stärkeren operativen Einbindung der Einzelkassen praktikabler gestaltet werden.

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