Ambulante Versorgung

Gleiche Rahmenbedingungen im Qualitätswettbewerb schaffen

Angesichts sinkender Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bedarf es eines stärkeren Kostenbewusstseins bei der Lösung von Versorgungsproblemen. Zur Stärkung des Qualitätswettbewerbs wäre außerdem eine Vereinheitlichung  der Rahmenbedingungen wünschenswert. Bei dem für Herbst angekündigten Versorgungsstrukturgesetz II hat die Bundesregierung die Möglichkeit dazu.

Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FQWG) hat die Bundesregierung früh in der Legislaturperiode ein erstes Reformvorhaben in der GKV umgesetzt. Abgesehen von der Einführung eines Qualitätsinstitutes durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) liegt der Schwerpunkt der Änderungen jedoch im Bereich der Finanzarchitektur. Die pauschalen Zusatzbeiträge werden ab 2015 abgeschafft, stattdessen erhalten die Krankenkassen einen Teil ihrer früheren Beitragsautonomie zurück.

Zwar bekennt sich der Bundesgesundheitsminister zu einem neuen Qualitätswettbewerb. Gleichzeitig wird jedoch die Verpflichtung der Krankenkassen, bei Erhebung eines – nun prozentualen – Zusatzbeitrages auf „günstigere“ Wettbewerber hinzuweisen, dazu führen, dass der Beitragssatz auch in Zukunft das wichtigste Vergleichskriterium für die Versicherten sein wird. Damit wird auch die kurzfristige Entwicklung der Leistungsausgaben weiterhin stark im Fokus stehen.

Gerade in diesem Bereich erwarten alle Experten in den nächsten Jahren für Krankenkassen und Versicherte negative Entwicklungen. Bereits im 1. Quartal 2014 ergab sich für alle gesetzlichen Krankenkassen ein Fehlbetrag von 270 Millionen Euro. Auch wenn Sondereinflüsse wie Prämienausschüttungen ausgeblendet werden, zeigt sich eine eindeutige Tendenz: Die Zeiten der hohen Überschüsse sind vorbei.

Ausgabendruck muss gebremst werden

Mitverantwortlich hierfür sind die Leistungsausgaben im ärztlichen Bereich, nicht zuletzt aufgrund des Wegfalls der Praxisgebühr. Gleichzeitig hat das Versorgungsstrukturgesetz den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) Instrumente an die Hand gegeben, erhebliche Honorarsteigerungen – zumindest für das Jahr 2013 mit vier bis 4,5 Prozent – durchzusetzen. Angesichts der ursprünglichen Forderungen der KVen waren die Ergebnisse unter den damaligen Rahmenbedingungen kassenseitig wohl noch vertretbar. Die Honorarrunde 2014 verlief indes ruhiger und konnte weitgehend auf dem Verhandlungswege mit vernünftigen Ergebnissen abgeschlossen werden. Dabei dürfte im Bundesdurchschnitt die Steigerungsrate der Gesamtvergütungen die der Grundlohnsumme nicht maßgeblich überschreiten.

Doch wie geht es weiter? Die Antwort könnte auch hier wieder aus der Politik kommen. So hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgelegt, sie werde prüfen, inwieweit regionale Vergütungsunterschiede gerechtfertigt seien und möglicherweise aufgehoben werden müssten. Zahlreiche KVen erhoffen sich hierdurch eine Rückkehr der Diskussion um die Konvergenz, also eine Angleichung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung je Versicherten – nach oben, versteht sich. Dass bei einer derartigen Entwicklung eine andere Forderung – nämlich die nach „gleichem Geld für gleiche Leistung“ – konterkariert wird und die Ärzte in angeblich benachteiligten Regionen wie Sachsen-Anhalt gar nicht unterdurchschnittlich verdienen, blenden sie hierbei gerne aus. Dennoch wird auch hier die Konvergenz als Instrument gegen den sogenannten „Landarztmangel“ beschrieben.

Regionale Versorgungsengpässe zielgerichteter angehen

Tatsächlich bestehen in einigen Regionen Versorgungsprobleme, vor allem im hausärztlichen Bereich. Diese sind jedoch keineswegs flächendeckend. So fehlen zwar in wenigen Regionen einige Ärzte, aber in den allermeisten Gegenden Deutschlands praktizieren mehr Ärzte als eigentlich notwendig. Auf diese Ungleichverteilung weisen die Ersatzkassen seit Jahren hin. Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung des Gesundheitswesens teilt in seinem jüngsten Gutachten diese Einschätzung und macht zur Beseitigung der Disparitäten einen interessanten Vorschlag: den „Landarztzuschlag“. Ärzte, die in drohend unterversorgten Regionen tätig sind, erhalten einen Punktwertzuschlag von 50 Prozent.

Die zusätzlichen Ausgaben werden durch Abschläge finanziert, die Vertragsärzte in überversorgten Regionen hinnehmen müssen. Auf diese Weise werden Anreize zu einem nachfrageorientierten Niederlassungsverhalten geschaffen und gleichzeitig bestehende Fehlanreize beseitigt. Daher unterstützen die Ersatzkassen die Einführung solcher regionaler Zu- und Abschlagsregelungen. Ob der Gesetzgeber den Vorschlag aufgreifen wird, erscheint allerdings angesichts der 2009 eingeführten und bereits Ende 2011 – vor der eigentlichen Scharfstellung durch die gemeinsame Selbstverwaltung – mit dem GKV-Finanzierungsgesetz (GKV-FinG) wieder abgeschafften differenzierten Punktwerte für Über-, Unter- und Regelversorgung eher fraglich.

Doch hat nicht bereits das Versorgungsstrukturgesetz Möglichkeiten zum Abbau von Überversorgung geschaffen? In der Tat können KVen seit 2012 Praxissitze aufkaufen. Doch gerade das Wort „können“ ist das Problem, denn sie tun es nicht. Junge Ärzte lassen sich somit auch weiterhin in den eigentlich überversorgten, aber attraktiven Ballungsräumen nieder, während auf dem Land der Nachwuchs fehlt. Es ist daher nur folgerichtig, die KVen gesetzlich zum Aufkauf überzähliger Sitze zu verpflichten.

Eine weitere Baustelle liegt in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung. Die Ersatzkassen haben hier mit ihrer Forderung nach einer stärker bedarfsgerechten Versorgung der Versicherten eine fruchtbare Diskussion mit den Verbänden der Psychotherapeuten in Gang gesetzt (>> ersatzkasse magazin. 7./8.2013). Innerhalb der GKV hat man sich auf ein Konzeptpapier verständigt, das eine weitreichende Reform und Entbürokratisierung des bisherigen Gutachterverfahrens vorsieht.

Wichtigste Forderung ist jedoch die Einführung einer verpflichtenden Sprechstunde, in der Versicherter und Therapeut gemeinsam das geeignete Behandlungskonzept – ggf. auch abseits einer Psychotherapie – entwickeln. Die Ersatzkassen sprechen sich daher dafür aus, diese Eckpunkte einer Reform bereits gesetzlich zu verankern. Auf diese Weise könnten auch die nachfolgenden Beratungen im G-BA beschleunigt und damit auch die zum Teil bestehenden Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie verkürzt werden.

Selektivverträge: Rahmenbedingungen benachteiligen Ersatzkassen

Die bisher beschriebenen Maßnahmen tragen dazu bei, die flächendeckende, kollektivvertragliche Versorgung im ärztlichen und psychotherapeutischen Bereich zu sichern und zu verbessern. Doch wenn der Gesetzgeber  von einem Qualitätswettbewerb spricht, sind hierbei vor allem Möglichkeiten erfasst, Selektivverträge mit einzelnen oder Gruppen von Leistungserbringern abzuschließen. Gerade in diesem Bereich sehen sich die Ersatzkassen aufgrund der aktuellen Aufsichtspraxis des Bundesversicherungsamtes gegenüber den Krankenkassen, die unter Landesaufsicht stehen, massiven Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt. Auch hier ist der Gesetzgeber gefordert, Abhilfe zu schaffen. Im Bereich der hausarztzentrierten Versorgung hat die Politik sich jüngst entschieden, die Verpflichtung der Krankenkassen zu einem Vertragsabschluss beizubehalten. Dies ist bedauerlich, denn träfen die Argumente der Befürworter hinsichtlich steigender Qualität und Wirtschaftlichkeit zu, wären flächendeckende Hausarztverträge auf freiwilliger Basis längst Realität.

Mit den Vorgaben zu einem Terminmanagement zur Vermeidung überlanger Wartezeiten auf Facharzttermine geht der Koalitionsvertrag ein Thema an, das viele bewegt: Teilweise kommt es trotz hoher Facharztdichte zu langen Wartezeiten auf Facharzttermine. Zugleich entsteht der Eindruck, dass Privatpatienten bei der Terminvergabe bevorzugt werden. Das ist für die gesetzlich Versicherten, die für die Arztpraxen die Basis einer auch wirtschaftlich erfolgreichen ärztlichen Tätigkeit darstellen, nicht akzeptabel. Denn die KVen haben für diese Versicherten einen Sicherstellungsauftrag, der natürlich auch eine Versorgung innerhalb eines angemessenen Zeitraums beinhaltet. Mit der beabsichtigten Neuregelung werden nun die KVen in die Pflicht genommen, einen Termin binnen einer Frist von maximal vier Wochen zu organisieren. Nur wenn dies misslingt, ist auch eine Behandlung im Krankenhaus zulasten der Gesamtvergütung möglich.

Im Ergebnis wird der Gesetzgeber mit dem für Herbst erwarteten Versorgungsstrukturgesetz II einige wichtige Weichenstellungen für die zukünftige ambulante Versorgung in Deutschland treffen. Gleiche Rahmenbedingungen für die Krankenkassen im Wettbewerb um die beste Qualität sind ein wichtiges Gut. Angesichts der zu erwartenden Finanzentwicklung sollte die Politik gleichzeitig jede neue Maßnahme genau auf ihre Ausgabenwirkung hin prüfen.

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