Arzneipolitik

Pharmadialog: Nach dem Bericht ist vor der Reform

Illustration: Zwei Personen diskutieren vor einem Stapel Papier mit der Aufschrift "Pharmadialog"

Mit dem Ergebnisbericht des Pharmadialogs hat die Bundesregierung ihre arzneimittelpolitischen Pläne vorgestellt. Der Bericht ist allenfalls ein Impuls, denn endgültig entschieden ist noch nichts. Abzuwarten bleibt seine gesetzgeberische Ausgestaltung.

Im Koalitionsvertrag vereinbarten CDU, CSU und SPD, dass sie einen „ressortübergreifenden Dialog unter Beteiligung von Wissenschaft und Arzneimittelherstellern einrichten, um den Standort Deutschland für Forschung und Produktion zu stärken“. Am 15. September 2014 trafen sich pharmazeutische Industrie, Wissenschaft und Gewerkschaften gemeinsam mit den Bundesministerien für Gesundheit (BMG), für Bildung und Forschung sowie für Wirtschaft und Energie zum ersten Mal. Diese Runden führten sie im Verlauf des Jahres 2015 fort. Der GKV-Spitzenverband wurde lediglich während einer Sitzung als Gast angehört. Seinen vorläufigen Abschluss fand der Dialog am 12. April 2016 mit der Vorstellung des Ergebnisberichtes.

Dieser Ergebnisbericht führt eine Vielzahl von Maßnahmen auf. Für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) als dem Kostenträger in der Arzneimittelversorgung, der 2015 36,1 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgab, ist dabei natürlich besonders die Sicherung einer hochwertigen, aber gleichzeitig wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung zentral. Der Bericht lässt hier ein Konzept vermissen, wie er die Ausgabenentwicklung strukturell stoppen will. Dies war nicht Absicht des Berichtes, ist aber im Hinblick auf den Ausgabenanstieg, der allein vom Jahr 2013 auf das Jahr 2014 3,305 Milliarden Euro betrug, ein Versäumnis.

Gleichwohl warten die Dialogpartner mit einem erfreulich klaren Bekenntnis zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) auf. So haben sie erkannt, dass die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung zu selten das Verordnungsverhalten der Ärzte erreichen. Ein Beispiel hierfür ist der Wirkstoff Fampridin zur Behandlung der Multiplen Sklerose: Der Bruttoumsatz für dieses Medikament lag 2011 für Ersatzkassenversicherte bei rund 3,7 Millionen Euro – 2013 waren es knapp 34 Millionen Euro. Und das, obwohl der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) 2012 für Fampridin keinen Zusatznutzen festgestellt hat. Die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung sollen deswegen über ein Arztinformationssystem besser aufbereitet und schneller zugänglich gemacht werden. Das nutzt dem Arzt in seinem Verschreibungsverhalten und verbessert die Qualität der Versorgung. Problematisch ist, dass das System unter Beteiligung der Dialogpartner entstehen soll – also auch der pharmazeutischen Industrie. Das Arztinformationssystem muss aber in erster Linie unabhängige Informationen liefern. Eine direkte Beteiligung der pharmazeutischen Industrie lässt jedoch Zweifel an dieser Unabhängigkeit aufkommen.

Für den zwischen GKV und Unternehmen für das Medikament verhandelten Erstattungsbetrag soll zukünftig in bestimmten Fällen eine Rückwirkung gelten. Damit soll der unter dem Stichwort „Mondpreise“ bekannten Gewinnmaximierung auf Kosten der Beitragszahler entgegengewirkt werden. Denn heute kann die pharmazeutische Industrie im ersten Jahr nach Markteinführung eines neuen Medikamentes dessen Preis frei bestimmen. Erst danach gilt der verhandelte Erstattungsbetrag. Allein im Jahr 2015 hat die GKV zum Beispiel für die neuen Hepatitis-C-Medikamente wie Sovaldi geschätzt 1,4 Milliarden Euro gezahlt. Auch die Dialogpartner haben das Problem dieser Wunschpreise offensichtlich erkannt und wollen deswegen eine noch unbestimmte Umsatzschwelle einführen. Wird die Schwelle überschritten, gilt der Erstattungsbetrag bereits vor Ablauf der Jahresfrist. Es wäre konsequenter gewesen, den Erstattungsbetrag vom ersten Tag der Markteinführung an rückwirken zu lassen. Dennoch ist die Umsatzschwelle ein Schritt in die richtige Richtung. Auch bei ihr wird aber vieles von der Umsetzung abhängen: Wo liegt die Umsatzschwelle? Und heißt „vor Ablauf der Jahresfrist“ wirklich vom ersten Tag an?

Der Bericht behandelt ebenfalls den Aufruf des Arzneimittel-Bestandsmarktes. Gemeint ist damit die Nutzenbewertung von Wirkstoffen, die bereits vor dem 1. Januar 2011 zugelassen wurden. Die große Koalition hatte diese sinnvolle Regelung erst 2014 abgeschafft. Auch dadurch konnte das AMNOG nicht die erhofften Wirtschaftlichkeitsreserven heben: Während der Gesetzgeber bei Verabschiedung des AMNOG 2010 von Einsparungen in der Höhe von zwei Milliarden Euro pro Jahr ausgegangen war, wurden von 2011 bis einschließlich 2014 lediglich additiv 600 Millionen Euro erzielt. Zukünftig soll es wieder möglich sein, den Bestandsmarkt aufzurufen. Und zwar dann, wenn ein bereits bekannter Wirkstoff mit einer Zulassungserweiterung und neuem Unterlagenschutz zum Einsatz kommt. Mit diesen sehr eng begrenzten Ausnahmefällen wird auch die neue Regelung deutlich hinter den ursprünglich avisierten wirtschaftlichen Zielen zurückbleiben. Ausdrücklich kritisch zu sehen ist, dass das BMG eine „flexiblere“ Auswahl der Vergleichstherapie bei der Vereinbarung der Erstattungsbeträge zulassen will, wenn für ein Arzneimittel kein Zusatznutzen festgestellt wurde. Bisher galt die wirtschaftlichste Alternative als Preisanker. Hier droht eine wesentliche Stellschraube der Preisbildung im AMNOG-Verfahren ihre Wirkung zu verlieren.

Äußerst problematisch ist auch der vorgesehene Verzicht auf die öffentliche Listung des verhandelten Erstattungsbetrages. Dieser Betrag wird als Bezugsgröße für die Erfüllung gesetzlicher Aufträge benötigt (u. a. Herstellerabschläge, Festbeträge, Wirtschaftlichkeitsprüfung der Ärzte, Preismoratorium, Zuzahlungen). Der Gesetzgeber will gewährleisten, dass diese Aufträge auch ohne öffentliche Listung erfüllbar bleiben. Wie das geschehen soll, ist bisher nicht bekannt. Erst wenn dies sichergestellt ist, kann über eine solche Regelung diskutiert werden – auch, um erhebliche Mehrausgaben für die Beitragszahler zu vermeiden.

Abzuwarten bleibt nun, wie die Ausgestaltung im Gesetzgebungsverfahren aussehen wird. Dieses soll im Sommer mit einem Referentenentwurf beginnen. Rein formal ist der Bericht nur ein Impuls von drei Ministerien. Die Regierungsfraktionen waren – anders als etwa an der Bund-Länder-AG zu Krankenhaus oder zu Pflege – nicht beteiligt. Die Sprecher und arzneimittelpolitischen Berichterstatter der Regierungsfraktionen haben sich bereits in einem eigenen Papier zum Pharmadialog geäußert. Im Gegensatz zu den Dialogpartnern bekennen sie sich zur wirtschaftlichsten Vergleichstherapie und schließen die Rückwirkung des Erstattungsbetrages vom ersten Tag an – auch ohne Umsatzschwelle – zumindest nicht aus.

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