Gesetzgebung

Soziale Pflegeversicherung im Fokus der Reformen

Illustration: Ein Buch hängt an schwebenden Ballons

Die Bundesregierung hat sich in der Gesundheitspolitik die Weiterentwicklung der Pflege auf die Fahnen geschrieben. Sechs Reformen brachte sie seit 2015 auf den Weg, die zum Teil bereits umgesetzt, zum Teil noch diskutiert werden. Ein Überblick.

Die Aussichten in der Pflege könnten rosiger sein. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird infolge des demografischen Wandels in den nächsten Jahrzenten weiter zunehmen, gleichzeitig wird die Zahl der jungen Menschen weiter abnehmen. Damit geht eine rückläufige Zahl an Beschäftigten in den Pflegeberufen einher und die Tatsache, dass die Finanzierungsbasis der sozialen Pflegeversicherung schmaler wird. Und nicht zuletzt werden 20 Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung Menschen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen immer noch zu wenig berücksichtigt. Es ist daher konsequent, dass sich die Bundesregierung in der aktuellen Legislaturperiode daran macht, die Pflege grundlegend zu reformieren. So soll die sogenannte 5. Säule der Sozialversicherung mit viel gesetzgeberischer Anstrengung zukunftsfest gestaltet werden.

Erstes Pflegestärkungsgesetz (PSG I)

Das PSG I war der erste Schritt auf dem Weg zu einer Gleichbehandlung von Menschen mit kognitiven, psychischen und somatischen Beeinträchtigungen in der Pflegeversicherung. Seit dem 1. Januar 2015 haben alle Anspruchsberechtigten Zugang zu allen Leistungen der Pflegeversicherung. Lediglich die Höhe der zur Verfügung stehenden Leistungsbeträge variiert. Die bisher nur für Demenzkranke vorbehaltenen niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote wurden nun auch für rein körperlich eingeschränkte Pflegebedürftige geöffnet und gewannen damit erheblich an Bedeutung. Auch wurden die Leistungen der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege flexibler gestaltet und der Betreuungsschlüssel für Betreuungskräfte in stationären Pflegeeinrichtungen verbessert. Erstmals wurden auch die Leistungen um vier Prozent dynamisiert. Leider zwar nur einmalig ohne einen festen Mechanismus für die Zukunft, aber es ist immerhin ein Anfang, um die Leistungen für die Pflegebedürftigen wertbeständiger zu gestalten. Zudem wurde ein Pflegevorsorgefonds eingeführt. In diesen fließen bis zum Jahr 2034 jährlich 0,1 Beitragssatzpunkte, die anschließend wieder an die Pflegeversicherung zurückgeführt werden sollen. Die Einrichtung dieses Fonds ist kritisch, seine tatsächliche Wirkung eher vernachlässigbar: In Zeiten von Niedrigzins und sensiblen Kapitalmärkten sollte man gegenüber kapitalgedeckten Zusatzversicherungen grundsätzlich vorsichtig sein. Zudem ist nicht sichergestellt, dass diese Rücklagen bis 2035 unangetastet bleiben. Auch der tatsächliche Effekt des Pflegevorsorgefonds ist fraglich – es handelt sich lediglich um eine zeitlich befristete Reduktion des Beitragssatzes um 0,1 Beitragssatzpunkte. Zur Finanzierung des PSG I wurde der Beitragssatz insgesamt um 0,3 Prozentpunkte angehoben.

Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf

Zeitgleich ist das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf in Kraft getreten. Dieses rückt pflegende Angehörige in den Fokus. Als wichtiger Bestandteil wurde zum 1. Januar 2015 das Pflegeunterstützungsgeld eingeführt. Pflegende Angehörige können seither im Falle einer akuten, nicht vorhersehbaren Pflegesituation bis zu zehn Tage von der Arbeit fernbleiben. Dafür erhalten sie Lohnersatz von der Pflegekasse des Pflegebedürftigen. Des Weiteren wurde der Rechtsanspruch auf eine sechsmonatige vollständige Arbeitsfreistellung (Pflegezeitgesetz – PflegeZG) oder eine 24-monatige Arbeitszeitreduzierung (Familienpflegezeitgesetz – FPfZG) geschaffen. Zudem besteht die Möglichkeit, für den Zeitraum der Freistellung ein zinsloses Darlehen zur Absicherung des Lebensunterhalts zu erhalten.

Zweites Pflegestärkungsgesetz (PSG II)

Als Kernstück des Umbaus der Pflegeversicherung wird zum 1. Januar 2017 das PSG II in Kraft treten. Dieses Gesetz sieht die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs sowie eines neuen Begutachtungsinstrumentes vor. Die drei Pflegestufen werden durch fünf Pflegegrade abgelöst. Das neue System stellt einen umfassenden Blick auf alle Aspekte der Pflegebedürftigkeit systematisch sicher und verankert gesetzlich die Gleichbehandlung somatisch, kognitiv und psychisch beeinträchtigter Menschen. Entscheidend für die Einstufung in einen Pflegegrad sind der Grad der Selbstständigkeit, die Fähigkeiten des jeweiligen Pflegebedürftigen sowie die benötigte personelle Unterstützung. Damit richtet sich der Blick stärker auf die Potenziale des Menschen als auf seine Defizite. Auch wird die Betreuung von Pflegebedürftigen zur Regelleistung der Pflegeversicherung und steht als gleichberechtigte Leistung neben den körperbezogenen Pflegemaßnahmen und den Hilfen bei der Haushaltsführung. Die Umstellung auf das neue System, also die Überführung der Pflegebedürftigen von Pflegestufen in Pflegegrade, erfolgt automatisch durch die Pflegekassen. Großzügige gesetzliche Überleitungsregelungen und ein umfangreicher Besitzstandsschutz gewährleisten, dass kein Pflegebedürftiger bei der Umstellung schlechter gestellt wird, viele werden sogar von der Umstellung profitieren. Zur Finanzierung der Umstellung und der Besitzstandsschutzregelungen steigt der Beitragssatz zum 1. Januar 2017 erneut um 0,2 Beitragssatzpunkte auf dann 2,55 Prozent bzw. 2,8 für Kinderlose.

Krankenhausstrukturgesetz (KHSG)

Auch hinter dem KHSG versteckt sich eine wichtige Regelung für die Pflegeversicherung. Erstmals wurden rein pflegerische Leistungen in das SGB V übernommen. Seit dem 1. Januar 2016 können Versicherte, die nicht pflegebedürftig sind, im Falle einer schweren Krankheit oder einer akuten Verschlimmerung Kurzzeitpflege nach dem Vorbild der Pflegeversicherung oder Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung im Rahmen der Häuslichen Krankenpflege in Anspruch nehmen.

Drittes Pflegestärkungsgesetz (PSG III)

Aktuell liegt das PSG III als Referentenentwurf vor. Es trägt den Duktus, die Rolle der Kommunen in der Pflege zu stärken. Wesentliche Inhalte wurden dabei offensichtlich von den Beschlüssen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Gute Pflege in der Kommune stärken“ unter Leitung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) geprägt. Kritisch zu sehen ist hierbei, dass die – durchaus sinnvolle – Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege vornehmlich durch Verlagerung der Kompetenzen weg von den Pflegekassen erreicht werden soll; und dass bei gleichzeitiger Finanzierung durch die Pflegekassen. Nach derzeitigem Stand soll das PSG III zusammen mit dem PSG II zu Jahresbeginn 2017 in Kraft treten. Mit dem PSG III erhalten die Kommunen ein zunächst auf fünf Jahre begrenztes Initiativrecht zur Errichtung von Pflegestützpunkten. Äußerst kritisch dabei: Durch dieses Initiativrecht wird den Pflegekassen jegliches Mitspracherecht bei der Entscheidung, ob und wo ein Pflegestützpunkt eingerichtet werden soll, genommen – und dies, obwohl sie in nicht unerheblichem Maße an der Finanzierung beteiligt sind. So besteht die Gefahr, dass die Beratungsstrukturen nicht entsprechend des Bedarfes weiterentwickelt werden. Daher ist eine Kopplung an eine durch die Landesbehörde festgelegte Maximalanzahl an Pflegestützpunkten dringend erforderlich. Zudem wird die Möglichkeit geschaffen, in 60 Kommunen Modellvorhaben zur kommunalen Pflegeberatung durchzuführen. Dort liegt dann die Verantwortung für die Pflegeberatung, für die Beratungseinsätze in der Häuslichkeit und für die Pflegekurse vollständig in der Hand der Kommunen. Die Modellvorhaben sind auf fünf Jahre begrenzt. Hier wäre es sinnvoller gewesen, stärker auf die weitere Vernetzung der bestehenden regionalen Beratungsangebote der Kommunen, Pflegekassen und Leistungserbringer zu setzen, anstatt mit weiteren Leuchtturmprojekten wieder neue Strukturen zu schaffen. Zu viele Leuchttürme können auch den Blick verstellen.

Das Gesetz enthält darüber hinaus die Verpflichtung zur Einrichtung sektorenübergreifender Landespflegeausschüsse sowie regionaler Pflegeausschüsse. Diese Ausschüsse sollen Pflegestrukturplanungsempfehlungen abgeben, die dann beim Abschluss von Versorgungs- und Rahmenverträgen zu berücksichtigen sind. Diese Regelung birgt einen nicht zu unterschätzenden Aufwand für alle bundesunmittelbaren Pflegekassen. Die tatsächlichen Vorteile dagegen sind eher als gering einzustufen, da den Verbänden der Pflegekassen rechtlich und faktisch keine Versorgungssteuerungsinstrumente zur Verfügung stehen. Alle Einrichtungen, welche die Qualitäts- und Zulassungsanforderungen erfüllen, müssen auch zugelassen werden (freier Markzugang). Sinnvoller und vor allem auch erforderlich wäre vielmehr, dass die Länder ihrer Aufgabe der Vorhaltung einer leistungsfähigen Pflegeinfrastruktur im Rahmen der Investitionsförderung nachkommen. Dass dies derzeit offensichtlich nicht in ausreichendem Maße erfolgt, zeigt die mit dem PSG III eingeführte Verpflichtung der Länder, das BMG über die finanzielle Förderung von Pflegeeinrichtungen und die durchschnittlichen Investitionskosten zu unterrichten. Diese Transparenz ist durchaus begrüßenswert, es stellt sich jedoch die Frage, ob und welche Konsequenzen aus einer unzureichenden Investitionsförderung der Länder zu ziehen sind. Das Gesetz enthält außerdem eine Regelung zur Übertragung von Fördermitteln für den Aus- und Aufbau niedrigschwelliger Betreuungs- und Entlastungsleistungen zwischen den Ländern. Demnach können Länder, die mindestens 80 Prozent des ihnen zustehenden Förderbetrages ausgeschöpft haben, nicht ausgeschöpfte Fördermittel anderer Länder in Anspruch nehmen. Der Ausbau der Angebote zur Unterstützung im Alltag ist ein Grundpfeiler für die zukünftige Sicherstellung der Versorgung Pflegebedürftiger und daher zu begrüßen. Wichtig ist nur, dass bei der Umsetzung darauf geachtet wird, dass der Ausbau der Angebote bedürfnisgerecht und gleichmäßig erfolgt.

Weiter verankert das PSG III die Systematik des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs auch im Recht der Sozialhilfe (SGB XII). Dies ist dringend geboten, um die pflegerische Versorgung von den Menschen sicherzustellen, die auf die Hilfe zur Pflege angewiesen sind. Nicht so gut gelungen hingegen ist die geplante Abgrenzung zwischen Leistungen der Pflegeversicherung und Leistungen der Eingliederungshilfe. Nach den bestehenden Regelungen muss weiterhin im Einzelfall festgestellt werden, welcher Leistungsbereich im Vordergrund steht. Das ist bürokratisch und birgt die Gefahr, dass zahlreiche Fälle vor den Sozialgerichten einer Klärung zugeführt werden müssen. Auch die Regelungen des PSG III werden den Beitragszahler wieder Geld kosten. Die Mehrbelastungen der Pflegeversicherung durch das PSG III werden von der Bundesregierung mit 30 Millionen Euro beziffert.

Pflegeberufereformgesetz (PflBG)

Derzeit noch kontrovers diskutiert wird das Pflegeberufereformgesetz, das als Kabinettsentwurf vorliegt. Es sieht im Kern eine Zusammenführung der Ausbildungsberufe der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege vor. Durch diese Generalisierung der Pflegeberufe und der Neuregelung der Finanzierung soll nach dem Willen des Gesetzgebers das Berufsbild modernisiert und attraktiver gestaltet werden. Die fachlichen Debatten aber deuten darauf hin, dass man darauf achten sollte, mit der Generalisierung wichtige Ausbildungsinhalte der einzelnen Berufsgruppen nicht zu verlieren. Gut und richtig hingegen ist es, dass die Ausbildung zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann zukünftig kostenfrei ist und dass eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird.

Die Pflegeversicherung hat sich auf den Weg in die Zukunft gemacht. Die umfangreichen Reformen haben im Großen und Ganzen die Weichen in die richtige Richtung gestellt. Die mit den Reformen auch angelegten umfangreichen Evaluationen des BMG und des GKV-Spitzenverbandes müssen zeigen, ob alle gesteckten Ziele erreicht werden und an welchen Stellen ggf. nachgebessert werden muss. Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass auch in den kommenden Jahren die Anstrengungen zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung nicht zurückgefahren werden dürfen. Eine wesentliche Herausforderung dürfte es sein, informelle und professionelle Pflegepotenziale zu aktivieren und die Finanzierung der Pflegeversicherung nachhaltig zu sichern.

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