Memorykliniken

Dem Gedächtnis auf der Spur

In Gedächtnissprechstunden können Menschen ihre Gedächtnisleistung testen lassen. Es gibt viele Ursachen für Gedächtnisstörungen – im schlimmsten Fall Demenz. Sie gilt derzeit als unheilbar. Aber bei einer frühen Diagnose kann die Erkrankung im Verlauf günstig beeinflusst werden.

Sie heißen Memoryklinik, Gedächtnisambulanz oder Gedächtnissprechstunde: In immer mehr Krankenhäusern gibt es Spezialeinrichtungen zur Überprüfung der Gedächtnisleistung. Oberarzt Dr. René Köckemann ist Leiter der Memoryklinik des St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee. „Meist sind es Personen aus dem Umfeld und nicht die Betroffenen selbst, denen eine Veränderung auffällt“, erzählt er. „Neulich hatten wir einen Patienten, der nach einem Umzug stark überfordert war. Seine Frau wandte sich an den Hausarzt, der uns den Patienten überwies.“

Gedächtnisstörungen haben viele mögliche Ursachen

In den Gedächtnissprechstunden wird zunächst mithilfe psychologischer Tests untersucht, ob die Hirnleistung altersgemäß ist. Wenn kognitive Einschränkungen festgestellt werden, folgt eine eingehende, oft auch mehrtägige Diagnostik. Denn es gibt viele mögliche Ursachen für Gedächtnisstörungen. Die gefürchtetste, weil derzeit nicht heilbar, ist die Demenz. Andere sind zum Beispiel Depression und körperliche Ursachen wie Stoffwechselerkrankungen, Schilddrüsenfunktionsstörungen oder Vitaminmangel. 

In der Gedächtnisambulanz des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München wird bei etwa jedem dritten Patienten, der sich untersuchen lässt, eine Demenz festgestellt. Ebenfalls ein Drittel der Patienten hat leichte kognitive Störungen oder eine andere Erkrankung. Das verbleibende Drittel sind sogenannte Memory Complainer, erzählt die Psychiaterin und Oberärztin Dr. Katharina Bürger: „Sie machen sich Gedanken wegen ihres Gedächtnisses, in standardisierten Tests liegen die Ergebnisse aber im altersnormalen Bereich.“ 

Eine hohe Sensibilität der Thematik gegenüber ist jedoch alles andere als verkehrt. Denn gerade bei beginnenden Demenzen kommt es vor, dass die Einschränkungen im Alltag noch gar nicht auffallen: „Besonders Patienten unter 65 Jahren, mit hohem Bildungsstand oder erst leichten Störungen gelingt es meist, erste Einschränkungen gut zu kompensieren“, so Köckemann.

Alzheimer: häufigste Ursache von Demenz

Demenz entsteht meist entweder durch neurodegenerative Erkrankungen oder durch Gefäßerkrankungen. „Häufigste Ursache ist Alzheimer. Dabei lagern sich falsch gefaltete Amyloid- und Tau-Proteine ab, vor allem im Bereich des Schläfen- und Scheitellappens. Es kommt zu einer Gedächtniserkrankung und zu weiteren kognitiven Einschränkungen wie zum Beispiel Störungen der Wortfindung oder der räumlichen Orientierung“, erklärt Bürger, die auch in der Demenzforschung tätig ist. 

Man spricht erst dann von einer Demenz, wenn Hirnleistungsstörungen mit Alltagseinschränkungen verbunden sind. Daher sollte bei der Diagnose immer auch das Umfeld über eine sogenannte Fremdanamnese mit einbezogen werden. Erste Anzeichen für eine Demenz können beispielsweise das häufige Verlegen persönlicher Gegenstände, Probleme beim Benutzen der öffentlichen Verkehrsmittel, das wiederholte Stellen derselben Frage oder mangelnde Erinnerung an gemeinsame Erlebnisse sein. 

Die Demenz entwickelt sich über einen Zeitraum von bis zu 40 Jahren. „Das macht die Erforschung und die Entwicklung von Medikamenten schwer“, sagt Bürger. Ein erfolgversprechender Ansatz seien zurzeit getestete Medikamente zum Entfernen abgelagerter Amyloid- Proteine (Anti-Amyloid-Therapie). Außerdem scheint es relevante Überschneidungen bei Schlaganfall und Demenz hinsichtlich der Risikofaktoren und somit auch möglicher vorbeugender Maßnahmen zu geben. 

Ein Ansatz zum Aufhalten der Demenzerkrankung sind Hirnleistungstrainings. Es wird derzeit erforscht, ob damit bei Patienten mit leichter kognitiver Störung, einer Hochrisikogruppe für die Entwicklung einer Demenz, die weitere Verschlechterung verlangsamt werden kann. Die ersten Ergebnisse seien durchaus vielversprechend, so Bürger, die selbst eine Studie zu Hirnleistungstrainings durchführt. „Das Training wurde mit modernen bildgebenden Verfahren begleitet. Es konnte eine Stabilisierung des Zuckerstoffwechsels im Gehirn nachgewiesen werden.“

Geistige Aktivität beugt vor

Auf jeden Fall gelten regelmäßige Bewegung, ausgewogene Ernährung und vor allem geistige Aktivität als die wichtigsten Maßnahmen – sowohl vorbeugend als auch nach der Diagnose, um den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen. Auch wenn es hier ein schmaler Grat sei zwischen Über- und Unterforderung, der für jeden Betroffenen individuell sorgsam erforscht werden sollte. „Grundsätzlich ist es immer sinnvoll, besser zu früh als zu spät eine Gedächtnissprechstunde aufzusuchen“, so Bürger. Denn mit den aktuell zur Verfügung stehenden Medikamenten (Antidementiva) könne die Demenz in ihrem Verlauf wenigstens für ein bis zwei Jahre günstig beeinflusst werden. 

Patienten mit diagnostizierter Demenz und Angehörige erhalten in den Gedächtnissprechstunden weiterführende Beratungs- und Behandlungsangebote. „Die Diagnose ist für die Betroffenen und Angehörige wichtig, damit die Einschränkungen nicht als persönliches Versagen wahrgenommen werden“, sagt Köckemann. Kann die Diagnose bereits im Frühstadium erfolgen, bringe dies den Betroffenen die größtmögliche Lebenszufriedenheit. „So ist es noch möglich, Regelungen wie Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung zu treffen. Oder noch nicht verwirklichte Lebensziele, wie eine große Reise, anzugehen.“ Durch eine frühe Diagnose können sich Betroffene in Ruhe vorbereiten – auf die Zeit, wenn das Gedächtnis immer schlechter wird.

Weitere Artikel aus ersatzkasse magazin. 1./2.2012