Pflegerische Versorgung

Herausforderungen und Entwicklungen

Eine alte Frau im Rollstuhl wird von einer Pflegerin betreut

Wenn es um die Zukunft der Pflege geht, können und müssen europäische Staaten voneinander lernen. Immer mehr Menschen erreichen ein Alter, in dem das Pflegerisiko steigt. Nicht nur die Angehörigen sind gefragt. Der Staat muss sich mit professionellen Angeboten darauf einstellen.

Pflege ist ein Thema, das alle angeht: Jeder wird früher oder später Familienangehörige haben, die Unterstützung benötigen, und vermutlich auch selbst irgendwann auf Hilfe angewiesen sein. Wie soll die Pflege dann aussehen? Welche Aufgaben muss der Staat übernehmen, wie kann professionelle Pflege gesichert werden, was können Angehörige leisten? Diese Fragen diskutierte eine Tagung der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e. V., die am 19. Juni 2012 im Haus des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) in Berlin stattfand.

Im Jahr 2009 waren in Deutschland rund 2,34 Millionen Menschen pflegebedürftig. Bis 2030 werden etwa eine Million Pflegebedürftige hinzukommen, schätzt das Statistische Bundesamt. Zwar sind heute viele Menschen erst in einem höheren Alter als früher auf Unterstützung angewiesen, aber mehr Menschen erreichen ein Alter, in dem das Pflegerisiko steigt.

Dieser Herausforderung des demografischen Wandels müssen alle europäischen Länder begegnen. Sie können dabei voneinander lernen. Klaus Haberkern von der Universität Zürich stellte verschiedene pflegepolitische Leitbilder und Versorgungsstrukturen vor. In Italien, Griechenland und Polen erbringe die Familie allein die gesamte Pflegeleistung, ohne staatliche Unterstützung. Auch in Deutschland, Österreich und Frankreich übernehme in erster Linie die Familie die Verantwortung, der Staat schreite allerdings im Notfall ein. Dänemark unterstütze zunehmend die professionelle Pflege, aber die größte Wahlfreiheit besäßen die Menschen in Schweden und Norwegen: Sie könnten auf professionelle Hilfe genauso zuverlässig zugreifen wie auf Unterstützung bei der Pflege in der Familie.

Bedeutung der Familie noch stark ausgeprägt

„Insgesamt lässt sich ein Trend zur Angleichung der Pflegesysteme hin zur Mitte beobachten“, urteilte Haberkern. „Die Instrumente wie Pflegeauszeiten sind ähnlich und die Bedeutung der Familie ist überall stark ausgeprägt. Letzteres steht allerdings im Konflikt mit den sich verändernden Familienstrukturen, der wachsenden Frauenerwerbstätigkeit und der zunehmenden Mobilität.“

Dagmar Dräger von der Charité Berlin bestätigte die Vorliebe der Pflegebedürftigen für die Pflege zu Hause mit ihren Forschungsergebnissen. „Aber pflegende Angehörige – in der überwiegenden Mehrheit sind es Frauen – treffen oft keine echte Entscheidung für die Pflege. Es ergibt sich einfach so.“

Pflege braucht Zeit 

Mit Christoph Bräutigam war auch ein Praktiker unter den Vortragenden. Er wies darauf hin, wie sehr sich die Qualität der professionellen Pflege im Krankenhaus wegen des Stellenabbaus und des Anstiegs der Teilzeitquote in den letzten Jahren verschlechtert habe. „Pflege braucht Zeit“, mahnte Bräutigam. Die Politik müsse einen Weg finden, die Interessen der Pflegebedürftigen und der Pflegenden besser zu berücksichtigen – in diese Richtung zielten die meisten Beiträge der Veranstaltung sowie der Diskussion.


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