In den letzten Jahren ist die Zahl der behandelten Patienten in den Krankenhäusern kontinuierlich gestiegen. Eine Studie des RWI und des Gesundheitsökonomischen Zentrums der Uni Duisburg-Essen zeigt, dass das auch auf ökonomische Anreize des DRG-Systems zurückzuführen ist. Anreize zum Mengenwachstum müssen mit neuen Instrumenten ausgebremst werden.
Die Mengenentwicklung in den deutschen Krankenhäusern gibt Anlass zur Sorge: Die Zahl der behandelten Patienten ist von 2006 bis 2010 um 8,1 Prozent gestiegen. Dies entspricht einer jährlichen Steigerung von durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr. Das ist nur zum kleineren Teil durch die Alterung der Bevölkerung erklärbar. Zu vermuten ist, dass insbesondere auch ökonomische Anreize des Diagnosis Related Groups- Systems (DRG) wirksam werden.
In einer Studie für den GKV-Spitzenverband haben das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) sowie die Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Stefan Felder und Prof. Dr. Jürgen Wasem vom Gesundheitsökonomischen Zentrum CINCH der Universität Duisburg-Essen das Mengenwachstum im stationären Bereich eingehender untersucht. Dabei hat sich die Studie insbesondere auf die Krankheiten und Störungen des Kreislaufsystems sowie des Muskel-Skelett- Systems und des Bindegewebes konzentriert – denn alleine diese Krankheitsgruppen tragen zusammen beinahe die Hälfte zum gesamten Mengenanstieg bei.
Bis Ende 2009 unterschieden sich bekanntlich noch die Basisfallwerte zwischen den Krankenhäusern auch innerhalb der Bundesländer. Eine statistische Analyse zeigt für die letzten Jahre dieser Einführungsphase (2007 bis 2009): Höhere Vergütungen führen zu höheren Mengen, und dies erklärt einen erheblichen Teil der Mengendynamik. Der häufig reklamierte sogenannte „Hamsterrad-Effekt“, nach dem die Leistungserbringer im Gesundheitswesen auf sinkende Preise mit steigenden Mengen reagieren, steht empirisch also für Krankenhausleistungen auf tönernen Füßen.
Anreize zum Mengenwachstum
Die Fallpauschalen im DRG-System werden so kalkuliert, dass die Krankenhäuser damit die bei der Leistungserbringung im Durchschnitt entstehenden Kosten decken können. Die Vergütung ist für jeden Fall einer DRG einheitlich, egal ob ein Krankenhaus geringe oder hohe Mengen erbringt. Für einen zusätzlichen Fall entstehen jedoch geringere als die durchschnittlichen Kosten, weil keine weiteren Gemeinkosten für medizinische und nicht-medizinische Infrastruktur anfallen. Ökonomisch induzierte Mengenausweitungen sind daher insbesondere dort zu erwarten, wo die Gemeinkosten einen relativ hohen Anteil an den Kosten eines Falles ausmachen, weil bei diesen DRGs ein zusätzlicher Fall einen hohen Deckungsbeitrag auslöst. Dies wurde in der Studie empirisch bestätigt: Das Mengenwachstum war bei DRGs mit hohem Gemeinkostenanteil überdurchschnittlich. Damit zeigt sich auch bei diesem Resultat, dass im Krankenhausbereich die ökonomischen Anreize bei der Mengenausweitung eine wichtige Rolle spielen.
Vor diesem Hintergrund untersucht die Studie, welche Instrumente die Anreize für die Krankenhäuser zum Mengenwachstum reduzieren können. Hierbei werden Reformvorschläge, die sich bereits in der Diskussion befinden, ebenso wie neu entwickelte Instrumente mit Blick auf ihre Auswirkungen auf die Mengendynamik, aber auch auf weitere Kriterien, wie den Wettbewerb, die Anreize zur Spezialisierung oder Risiken einer Gefährdung der Versorgungssicherheit, beurteilt.
Mit Blick auf die Begrenzung der Mengendynamik erweisen sich insbesondere drei Reformvorschläge als geeignet:
Selektivverträge: Das Ziel einer Begrenzung der Mengendynamik kann erfolgversprechend durch einen Übergang vom Kollektiv- zu einem Selektivvertragssystem erreicht werden, bei dem die beiderseitigen Kontrahierungszwänge zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern ganz oder für Teile des Leistungsspektrums entfallen. In einer umfassenden Ausgestaltungsvariante können die einzelnen Krankenhäuser und Krankenkassen im Rahmen der Selektivverträge hierbei einzeln je DRG sowohl die stationären Mengen als auch die Relativpreise und die Qualität frei vereinbaren. In einer weniger weit gehenden Variante werden die Relativgewichte wie im Status quo bundesweit einheitlich verbindlich vorgegeben, hingegen die stationäre Gesamtmenge und der Basisfallwert (sowie die Qualität) eines Krankenhauses im Rahmen von Selektivverträgen mit den jeweiligen Krankenkassen einzeln ausgehandelt.
Wegfall der Schiedsstellenfähigkeit prospektiver Mehrleistungsvereinbarungen: Im Rahmen des heutigen Kollektivvertragsrechts kann der Vorschlag, die Schiedsstellenfähigkeit prospektiver Mehrleistungsvereinbarungen wegfallen zu lassen, ebenfalls die Mengendynamik begrenzen. Der Vorschlag bewirkt, dass Mengenausweitungen, auf die sich die Krankenhäuser und Krankenkassen nicht ex ante einigen, nur im Rahmen des retrospektiven Mehrerlösausgleichs vergütet werden. Krankenhäuser müssen Mengensteigerungen daher zu einem höheren Anteil selbst finanzieren.
Einführung eines Zertifikatehandels für Krankenhausleistungen: Als „neues“ Instrument in der Diskussion thematisiert die Untersuchung die Einführung eines Handels mit Rechten zur Abrechnung von sogenannten Casemix-Punkten (CMP). Die Idee ist dem CO2-Zertifikatehandel in der Umweltpolitik entlehnt. Bei Einführung dieses Instruments würden die Krankenhäuser im Umfang ihrer bisher erbrachten CMP Zertifikate erhalten, die zur künftigen Abrechnung zum Landesbasisfallwert gegenüber den Krankenkassen berechtigten. Die gesamte Zertifikatemenge würde jährlich angepasst. Ohne Zertifikate können Leistungen dagegen gar nicht oder nur mit einem hohen Abschlag abgerechnet werden, vergleichbar zum Beispiel mit dem heutigen Mehrerlösausgleich. Die Einführung des Zertifikatehandels wird dazu führen, dass Krankenhäuser, die ihre Leistungen ausweiten wollen, Zertifikate von solchen Häusern erwerben, die ihre Leistungen beim gegebenen Zertifikatepreis zurückfahren wollen. Dadurch könnten zudem die Budgetverhandlungen zwischen Kassen und Kliniken ebenso entfallen wie die Prüfung der Fälle durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung.
Links
- Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung
- Lehrstuhl für Medizinmanagement Prof. Dr. Jürgen Wasem