Eine kontinuierliche Verbesserung der Patientenversorgung auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse – darauf richtet sich die Versorgungsforschung aus. Sie trägt dazu bei, dass eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik immer weiter in den Fokus rückt. Auch in Deutschland gewinnt die Versorgungsforschung zunehmend an Bedeutung.
Wie so oft gehen die Ursprünge der Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg auf frühe Entwicklungen in den USA zurück. In der Chapel Hill-Konferenz 1952 – der „Conference on research requirements for health and medical care“ – stand der Bedarf an wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Umsetzung des Wissens in die Alltagsversorgung und die entsprechende Rolle der beteiligten Personen und Organisationen im Mittelpunkt. Seit 2002 gibt es in Deutschland, beginnend mit Köln, die jährlich stattfindenden Kongresse für Versorgungsforschung, die sich mit diesen und weiteren Fragestellungen befassen. Zudem stellt seit 2006 das Deutsche Netzwerk Versorgungsforschung (DNVF) die Plattform für die Diskussion dieser Thematik für medizinische Fachgesellschaften, Institute, Verbände und natürliche Personen dar. Versorgungsforschung in Deutschland hat sich laut der Deutschen Forschungsgemeinschaft in den letzten zehn Jahren zu einem eigenständigen transdisziplinären Forschungsgebiet zwischen und in enger Verbindung mit der klinischen und Public Health-Forschung entwickelt.
Versorgungsforschung ist nach allgemein akzeptierter Definition „ein fachübergreifendes Forschungsgebiet, das die Kranken- und Gesundheitsversorgung und ihre Rahmenbedingungen beschreibt und kausal erklärt, zur Entwicklung wissenschaftlich fundierter Versorgungskonzepte beiträgt, die Umsetzung neuer Versorgungskonzepte begleitend erforscht und die Wirksamkeit von Versorgungsstrukturen und -prozessen unter Alltagsbedingungen evaluiert“. Ihr komplexer Gegenstand ist also die gesundheitliche und – bei enger Definition – die medizinische Versorgung unserer Bevölkerung, ihre Planung, Organisation, Regulierung, Evaluation und Optimierung. Versorgungsforschung richtet sich in erster Linie auf die Wirksamkeit (Outcome) der Methoden in der Patientenversorgung oder Prävention und ihres organisatorischen Kontextes unter den Bedingungen der realen Versorgung. Sie ergänzt damit die klinische Forschung, in der die absolute Wirksamkeit einer Methode unter Idealbedingungen im Mittelpunkt steht, um die relative Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen.
Die Ergebnisqualität als zentrale abhängige Variable aus der Patientensicht steht im Zentrum der Versorgungsforschung. Die Struktur- sowie Prozessqualität der Versorgung werden hierbei als Determinanten der Ergebnisqualität betrachtet. Die wissenschaftliche Systematisierung des Umsetzungsdefizits in die Versorgungswirklichkeit geschieht durch das sogenannte Throughput-Modell. Es legt die wissenschaftlichen Grundlagen für eine kontinuierliche Verbesserung der Kranken- und Gesundheitsversorgung und berücksichtigt dabei mittel- bis langfristig möglichst optimal die drei zentralen Ziele der Versorgung – Patientenorientierung, Qualität und Wirtschaftlichkeit. Die Versorgungsforschung untersucht den Versorgungsbedarf und die Inanspruchnahme (Input), die Versorgungsstrukturen bzw. -prozesse (Throughput), die erbrachten Versorgungsleistungen (Output) und den Zugewinn an Gesundheits- bzw. Lebensqualität (Outcome).
Ziel ist es, wissenschaftliche Grundlagen für eine kontinuierliche Verbesserung der Kranken- und Gesundheitsversorgung zu schaffen. Gesundheitspolitische Entscheidungen sollten auf dieser Basis transparent und valide begründet sein. Versorgungsforschung möchte dazu beitragen, dass sich eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik durchsetzt. Erklärtes Ziel des DNVF ist, dass neben der klinischen Forschung die Ergebnisse der Versorgungsforschung in Zukunft für Allokationsentscheidungen miteinbezogen werden müssen. Dabei geht es um Allokationsentscheidungen auf der Ebene der Zurverfügungstellung von Behandlungsmethoden als Versicherungsleistungen sowie der Bedarfsplanung oder Tätigung von Investitionen.
In besonderem Maße bedeutet Versorgungsforschung Patientenorientierung. Man unterscheidet hier:
- Patient-Reported Outcomes (PRO): Endpunkte von Interventionen und deren Evaluation, die vom Patienten beurteilt werden (z. B. Lebensqualität, Schmerzempfindung, Zufriedenheit); entsprechende Methoden sind daher auf Angaben der Patienten angewiesen
- Patient als Co-Therapeut: der Patient als aktiver Partner muss in Fragestellungen der Versorgungsforschung Beachtung finden
- Health Consumerism: der „aktive Patient“ ist fähig, seine Wahl entsprechend der Nutzenoptimierung zu treffen und wird von verschiedenen Anreizmodellen adressiert
Da im Gesundheitssystem die finanziellen Ressourcen begrenzt sind, haben Kosten-Nutzen-Erwägungen in der Medizin in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Eine leistungsfähige Versorgungsforschung dient im Gesundheitswesen zur Orientierung über Qualität, Therapiesicherheit, Nutzen und Nachhaltigkeit der Versorgung und hat dabei insbesondere den Patienten im Blick. Damit die Versorgungsforschung in Deutschland die wissenschaftliche Basis für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem legen kann und damit auch international sichtbarer und konkurrenzfähiger wird, muss zugleich eine systematische Förderung des Nachwuchses sowie eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung in Methoden für die Versorgungsforschung erfolgen. Dafür macht sich unter anderem auch das DNVF stark.