Gesetzeslücke

Korruption bei niedergelassenen Vertragsärzten

Grafik Thema Korruption: links steht eine Figur, grau ausschraffiert ist, rechts Arzt, der auf eine rote Linie tritt und der die Hand in Richtung der anderen Person hält

Erfüllt das Annehmen von Zuwendungen von Pharmafirmen durch niedergelassene Ärzte für das Verordnen bestimmter Medikamente den Tatbestand der Korruption ? Ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom letzten Jahr zeigt auf, dass es Lücken im Gesetz gibt, die dringend geschlossen werden sollten. Denn von den strafrechtlichen Korruptionsvorschriften werden niedergelassene Ärzte ausgenommen. Zudem sind die berufsrechtlichen Ahndungen unzureichend.

Die Krankenkassen haben gemäß § 197 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) den gesetzlichen Auftrag, „Fällen und Sachverhalten nachzugehen, die auf Unregelmäßigkeiten oder auf rechtswidrige oder zweckwidrige Nutzung von Finanzmitteln im Zusammenhang mit den Aufgaben der jeweiligen Krankenkasse oder des jeweiligen Verbandes hindeuten.“ Sollten sie bei ihren Ermittlungen feststellen, dass ein niedergelassener Vertragsarzt an einem solchen Vorgang beteiligt ist, stößt die Frage nach den rechtlichen Konsequenzen aber schnell an ihre Grenzen.

Korruption (von lateinisch corruptus: bestochen) im juristischen Sinne umschreibt den Missbrauch einer Vertrauensstellung in einer geeigneten Funktion, etwa in Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft, um einen materiellen oder immateriellen Vorteil zu erlangen, auf den kein begründeter Anspruch besteht. In strafrechtlicher Hinsicht umfasst Korruption gleich mehrere Tatbestände: Bestechung und Bestechlichkeit sowie Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung. Diese Straftaten beziehen sich auf einen Amtsträger oder eine in einem Betrieb angestellte Person. Doch wie verhält es sich bei einem niedergelassenen Vertragsarzt ?

Finanzielle Anreize als Vertriebskonzept

Im Gesundheitswesen wird immer wieder durch öffentlichkeitsrelevante Fälle die Debatte um Korruption bei niedergelassenen Vertragsärzten angeheizt – zuletzt im Zusammenhang mit Ratiopharm. Im Fokus stand das ausgeklügelte Vertriebskonzept des Generikaherstellers, bei dem niedergelassene Vertragsärzte von Pharmavertretern mit finanziellen Anreizen gelockt wurden, die Produkte des Herstellers bevorzugt zu verordnen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte darüber zu entscheiden, ob dieses Verhalten für die beteiligten niedergelassenen Vertragsärzte und Pharmareferenten strafrechtlich relevant ist.

In seiner Entscheidung vom 29. März 2012 (Az. GSSt 2/11) hat der BGH geurteilt, dass niedergelassene Vertragsärzte weder Amtsträger im Sinne des § 334 Strafgesetzbuch (StGB) noch nach § 299 StGB Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes, also der Krankenkassen, seien. Der Vertragsarzt werde in erster Linie im Interesse und Auftrag des Patienten tätig.

Damit hat der BGH entschieden, dass die Korruptionsvorschriften des StGB bei Zuwendungen an niedergelassene Vertragsärzte nicht greifen und eine Verurteilung wegen des rechtsstaatlichen Grundsatzes „keine Strafe ohne Gesetz“ nicht möglich ist. Der BGH hat jedoch dem Bundestag die Aufgabe zugewiesen zu entscheiden, ob Korruption von niedergelassen Ärzten strafbar sein soll, und dafür eine entsprechende gesetzliche Regelung zu schaffen.

Schwerwiegende und wiederholte Verstöße gegen das Zuwendungsverbot können gemäß § 128 Abs. 2 SGB V von den zuständigen Krankenkassen auch auf vertraglicher Basis geahndet werden. Ein schwerwiegender Verstoß soll nach der Gesetzesbegründung „insbesondere dann vorliegen, wenn Zuwendungen in erheblicher Höhe oder über einen längeren Zeitraum gewährt worden sind“. Diese Vorschrift läuft in der Praxis jedoch weitgehend leer, da die Krankenkassen keine den Ermittlungsbehörden vergleichbaren Befugnisse zur Sicherstellung von Beweisen haben und daher den schwerwiegenden Verstoß regelhaft nicht verifizieren können.

Niedergelassene Vertragsärzte unterliegen dem ärztlichen Berufsrecht, das detaillierte Regeln für die Zusammenarbeit mit Dritten enthält (§ 31 ff. Musterberufsordnung). Ärzte dürfen nach ihrer Berufsordnung keine Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte fordern oder annehmen, wenn dadurch der Eindruck erweckt wird, dass dies die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst.

Eine Beeinflussung ist jedoch dann nicht als berufswidrig zu bewerten, wenn sie einer wirtschaftlichen Behandlungs- oder Verordnungsweise auf sozialrechtlicher Grundlage dient und dem Arzt die Möglichkeit erhalten bleibt, aus medizinischen Gründen eine andere als die mit finanziellen Anreizen verbundene Entscheidung zu treffen.

Soweit Ärzte Leistungen für die Hersteller von Arznei- oder Hilfsmitteln oder Medizinprodukten oder für Heilmittelversorger erbringen (zum Beispiel im Rahmen von Anwendungsbeobachtungen), muss die hierfür bestimmte Vergütung auch der erbrachten Leistung entsprechen und darf nicht nur einen scheinbaren oder nicht äquivalenten Wert besitzen, um damit eine einseitige Zuwendung zu kaschieren.

Verstößt ein Arzt gegen die Berufsordnung, drohen berufsrechtliche Konsequenzen. Die gesetzliche Grundlage für das berufsrechtliche Prozedere sind die Kammer- und Heilberufsgesetze. Sie fallen in die Zuständigkeit der Bundesländer. Beispielsweise im Heilberufsgesetz von Nordrhein-Westfalen heißt es in § 59 Abs. 1: „Kammerangehörige, die ihre Berufspflichten verletzen, unterliegen der Berufsgerichtsbarkeit.“

Bei der Sanktion der verletzten Berufspflicht gibt es ein abgestuftes Verfahren. Sie reicht von der Rüge über den Verweis und die Entziehung des passiven Berufswahlrechts bis hin zu einer Geldbuße in Höhe von 50.000 Euro. Die drastischste Sanktion schließlich ist die Feststellung der Unwürdigkeit, den Arztberuf auszuüben.

Nur spärliche Ahndung

Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben ebenfalls Disziplinarbefugnisse. So kann etwa der Disziplinarausschuss in Nordrhein-Westfalen ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 5.000 Euro verhängen. Daneben gibt es bei schwerwiegenderen Verstößen die Möglichkeit, die Zulassung zu entziehen. Es erfolgt jedoch eine nur sehr spärliche Kammer- und berufsrechtliche Ahndung, die nicht im Verhältnis zu Anzahl und Umfang der auffällig gewordenen Fälle steht.

Auch um den Wertungswiderspruch zu anderen freien Berufen, beispielsweise Rechtsanwälten, aufzuheben ¬ für sie wird eine Strafbarkeit wegen der einschlägigen Korruptionsstraftatbestände angenommen ¬, besteht Bedarf zur Schließung der Strafbarkeitslücke. Der GKV-Spitzenverband fordert daher eine neue Vorschrift im SGB V im Kapitel 11 „Straf- und Bußgeldvorschriften“, welche die Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen für angestellte Ärzte, Vertragsärzte oder Leistungserbringer im Gesundheitswesen unter Strafe stellt.

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