Daniel Bahr: "Wir müssen in Prävention und Aufklärung investieren"

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr in einer Gesprächssituation im Büro

Daniel Bahr, Bundesgesundheitsminister der 17. Legislaturperiode, ist am 26. Juni 2013 stolzer Vater einer Tochter geworden. Die Kindergesundheit liegt ihm also auch ganz persönlich am Herzen. Im Interview mit ersatzkasse magazin. spricht er über Herausforderungen und Maßnahmen der gesundheitlichen Versorgung im jungen Alter.

Herr Bahr, zunächst herzlichen Glückwunsch zur Geburt Ihrer Tochter. Wissen Sie schon, ob Sie sie gegen Masern impfen lassen?

Ja, sobald es möglich ist. Ab dem Alter von elf Monaten kann man impfen. Meine Frau und ich sind überzeugt, dass eine Impfung der beste Schutz ist vor einer Krankheit, die große Gefahren mit sich bringt – im schlimmsten Fall eine Gehirnentzündung, die zum Tod führen kann. Es geht auch nicht nur um die Gesundheit meiner Tochter, sondern auch um die Kinder, die mit meiner Tochter spielen. Als Eltern tragen wir Verantwortung, für einen ausreichenden Impfschutz zu sorgen.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Eltern eine Masernimpfung ablehnen?

Die große Mehrheit der Eltern lässt die Kinder impfen. Etwa ein Prozent der Eltern sind strikte Impfgegner. Sie lehnen Impfungen aus ideologischen Gründen ab. Bei der Mehrheit der Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, ist es aber schlicht Nachlässigkeit oder Unwissenheit.

Vor einigen Wochen gab es Vorstöße, eine Impf­pflicht einzuführen. Sie lehnen eine Pflicht zur Impfung ab. Was schlagen Sie indes vor, um die Impfquote, nicht nur bei Masern, zu erhöhen?

Wir verzeichnen in diesem Jahr wieder massive Masernausbrüche. Wir haben das Ziel, die Masern zu eliminieren, noch nicht erreicht – leider. Dafür brauchen wir eine Impfquote von 95 Prozent bei der zweiten Masernimpfung. Aktuell liegen wir bei 92 Prozent bei den Schulanfängern. Es fehlen also nur noch wenige Prozentpunkte in dieser Altersgruppe. Bei den jüngeren und älteren Altersgruppen liegen die Quoten darunter.

Die vorhandenen Impflücken wollen wir durch Information und Aufklärung schließen. So führt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aktuell die Kampagne „Deutschland sucht den Impfpass“ durch. Dafür wollen wir – nach zwei Millionen Euro in diesem Jahr – 2014 drei Millionen Euro bereitstellen.

Außerdem prüfen wir Änderungen im Infektionsschutzgesetz. Konkret geht es darum, den Impfstatus schon bei Aufnahme in den Kindergarten zu erfassen. Als weitere Maßnahme könnten nicht geimpfte Kinder im Fall eines Masern-Ausbruchs befristet von der Kita oder vom Schulunterricht ausgeschlossen werden. Bisher ist das nur bei erkrankten oder krankheitsverdächtigen Kindern möglich.

Probleme zeigen sich auch in der Zahngesundheit bei Kindern. Insbesondere Eltern in sozial problematischen Familien kümmern sich laut Studien nicht ausreichend um die Pflege und Sanierung des Gebisses ihrer Kinder. Wie lässt sich gegensteuern?

Ich bin froh, dass wir mit der Gruppenprophylaxe ein bewährtes Instrument haben. Zahnmedizinisch und pädagogisch geschultes Fachpersonal sucht Kinder und Jugendliche direkt in Kindergärten, Schulen und Behinderteneinrichtungen auf und betreut sie. Die Gruppenprophylaxe ist auch der richtige Weg, um Eltern, Kinder und Jugendliche aus sozial problematischen Familien zu erreichen. Die an der Gruppenprophylaxe Beteiligten – Krankenkassen, Zahnärzte und für die Zahngesundheitspflege zuständige Stellen in den Ländern – müssen prüfen, ob die Maßnahmen der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe vollständig, flächendeckend und in der notwendigen Häufigkeit angewendet werden. Sie entscheiden auch, in welchen Bereichen vor Ort ein gezielter Ausbau notwendig ist. Die Krankenkassen geben für die Gruppenprophylaxe jährlich rund 40 Millionen Euro aus. Das sind sinnvolle und notwendige Investitionen zur weiteren Verbesserung der Zahngesundheit. Insgesamt wollen wir erreichen, dass Eltern sensibel sind und die Möglichkeiten nutzen, um mithilfe von Ärzten und Zahnärzten die Fehlentwicklungen und Krankheiten ihrer Kinder früher zu erkennen.

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit gravierenden psychischen Proble­ men steigt in Deutschland an. Jedes fünf­te Kind leidet an psychischen Auffälligkeiten, bis 2020 wird sich die Zahl nach Meinungen von Experten verdoppeln. Hat sich der Umgang hinsichtlich psychischer Störungen gewandelt?

Es ist richtig und auch gut so, dass das Bewusstsein für psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren in der Bevölkerung, bei Ärzten und auch bei Erziehungs- und Lehrkräften gestiegen ist. Gleichzeitig möchte ich aber vor einer Dramatisierung warnen: Wir sollten unsere Kinder keinesfalls krank reden. Nicht jede Auffälligkeit bedarf einer medizinischen Behandlung. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass psychische Auffälligkeiten und Störungen frühzeitig erkannt werden. Dann können wir rechtzeitig geeignete Hilfen geben. Dies können sowohl medizinische als auch psychosoziale Hilfsangebote für die Familien vor Ort sein.

Wie könnten diese aussehen?

Wir setzen mit unseren Maßnahmen in allen Bereichen an. So hat der Deutsche Kinderschutzbund mit unserer Förderung einen Elternkurs „Starke Eltern – Starke Kinder®“ entwickelt. Eltern werden gezielt beraten, wie sie ihre Kinder in der psychischen Entwicklung fördern und stark machen können. Außerdem haben wir, um die Früherkennung zu unterstützen, im Präventionsgesetz klargestellt, dass sich die U-Untersuchungen auch auf Krankheiten beziehen sollen, die die psychosoziale Entwicklung gefährden. Zudem haben wir gesetzlich festgelegt, dass im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung für die psychotherapeutische Behandlung von Kindern in jedem Planungsbereich mindestens 20 Prozent der bedarfplanungsrechtlich ausgewiesenen Zulassungsmöglichkeiten Therapeuten vorbehalten sind. Sie betreuen ausschließlich Kinder und Jugendliche, damit ausreichend Spezialisten für behandlungsbedürftige Kinder zur Verfügung stehen.

Studien zeigen, dass Kinder teilweise zu viele Arzneimittel mit gefährlichen Aus­wirkungen und ohne klaren medizini­schen Grund einnehmen. Brauchen wir einen verantwortungsvolleren altersge­rechten Umgang mit Arzneimitteln?

Der Arzneiverordnungsreport von 2012 zeigt tatsächlich für einzelne Arzneimittelgruppen einen hohen Verbrauch im Kindesalter. So ist zum Beispiel der Antibiotika-Verbrauch bei Kindern relativ hoch. Dies wird auch von differenzierteren Analysen des Antibiotika-Verbrauchs in Deutschland bestätigt. Danach hat jedes Kind im Alter bis zu zehn Jahren im Jahr 2001 rein rechnerisch eine einwöchige Antibiotika-Therapie erhalten. Ob der häufige Einsatz immer indikationsgerecht erfolgt, ist gemäß Arzneiverordnungsreport jedoch fraglich; hierzu bedarf es weiterer Untersuchungen.

Muss generell mehr auf Gesundheitsri­siken im jungen Alter abgezielt werden, etwa im Bereich der Forschung?

Das Wissen über Gesundheitsrisiken im Kindesalter wie auch über die Gesundheitssituation unserer Kinder hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Erhöhte Gesundheitsrisiken im Kindesund Jugendalter sind deshalb besonders relevant, weil sie sich auch auf die Gesundheit im Erwachsenenalter auswirken können. So können Gesundheitsrisiken und gesundheitsbelastende Verhaltensweisen in der Kindheit und Jugend zu Risikofaktoren für schwerwiegende Erkrankungen im späteren Leben werden. Deshalb ist es so wichtig, frühzeitig Risiken zu erkennen und hier gegenzuwirken. Mit zahlreichen Initiativen, unter anderem im Zuge des Gesetzes zur Förderung der Prävention, setzen wir uns daher für eine Verbesserung der gesundheitlichen Prävention im Kindes- und Jugendalter ein.

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