Interview mit Karl-Josef Laumann

"In der Versorgung geben die Länder den Ton an"

Karl-Josef Laumann (CDU), Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW

Karl-Josef Laumann (CDU), Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW

In der Gesundheitspolitik bestimmt der Bund maßgeblich die Gesetzgebung, aber auch die Bundesländer nehmen ihre Gestaltungsmöglichkeiten intensiv wahr, insbesondere in Versorgungsfragen. Einfluss auf die Bundespolitik nehmen sie über den Bundesrat, über die Bund-Länder-Arbeitsgruppen oder die Gesundheitsministerkonferenz (GMK Die GMK wird in diesem Jahr unter dem Vorsitz von Nordrhein-Westfalen (NRW) geführt In NRW ist Karl-Josef Laumann (CDU) Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales.  Im Interview mit ersatzkasse magazin. spricht er über die Gesundheitspolitik im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW, über die Aufgabenverteilung von Bund und Land in der Gesundheitspolitik und über notwendige Strukturveränderungen.

Sie haben schon mehrere politische Ämter auf Bundes- und Landesebene besetzt, beispielsweise waren Sie Patientenbeauftragter, Bundestagsabgeordneter und sind erneut Landesgesundheitsminister – wo fühlen Sie sich am meisten zu Hause?

Aktuell führe ich als Minister in NRW ein großes Ressort aus Arbeit, Gesundheit und Soziales, was entsprechend breit ausgelegt ist, was sehr spannend ist. Als Landesgesundheitsminister hat man natürlich eine gewisse Position und kann viel gestalten, was als Abgeordneter so direkt nicht möglich ist. Dafür hat das Abgeordnetenleben andere Schwerpunkte, zum Beispiel die politische Auseinandersetzung und Debatten um Inhalte und Konzepte, das hat auch seinen Reiz. Aber ich will mal so sagen: Es ist schöner, im Land der Erste zu sein, als im Bund der Zweite oder Dritte.

Wo verorten Sie die Länder im Verhältnis zur Bundesebene, wenn es um Einfluss und Entscheidungen in der Gesundheitspolitik geht?  

Für das Gesundheitssystem liegt die Sozialgesetzgebung erst mal beim Bundestag und da hat auch der Bundesrat keine großen Gestaltungsmöglichkeiten. Aber wenn es um Versorgungsfragen geht, geben die Länder den Ton an. Ein Vorteil des Föderalismus liegt ja darin, dass Bundesländer regional denken. Der Bund würde sich auch verheben, wenn er meint, er könne von Berlin aus für ganz Deutschland Strukturpolitik machen. Ich glaube aber, dass die Zusammenarbeit alles in allem in Ordnung ist. In den letzten Jahren haben sich auch immer mehr Bund-Länder-Arbeitsgruppen gebildet, die durchaus Sinn machen, weil hier fachlich gearbeitet wird und beide Perspektiven berücksichtigt werden. So kamen gute Ergebnisse zutage, denken wir an das Pflegeberufegesetz oder die Pflegeversicherungsreform aus der letzten Legislaturperiode. Und der Bund hat natürlich auch ein Interesse daran, die Expertise der Länder mit einfließen zu lassen, nicht zuletzt um zu wissen, dass man mit dem, was man vorschlägt, relativ unkompliziert durch ein Bundesratsverfahren kommt.

Die Länder fordern auch mehr Mitspracherechte im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).   

Dazu gibt es in den Ländern unterschiedliche Meinungen. Ich bin der Ansicht, dass wir uns da grundsätzlich raushalten sollten, soweit nicht unmittelbar Länderinteressen berührt sind, wie zum Beispiel bei der ambulanten Bedarfsplanung. Ich denke, dass der G-BA ein Instrument der Selbstverwaltung bleiben sollte. Es ist gut, dass wir eine Selbstverwaltung haben, sie gehört auch zum deutschen Sozialsystem dazu. Die schlechteste Selbstverwaltung ist immer noch besser als der Staatskommissar. Was ich mir allerdings wünschen würde, wäre eine Weiterentwicklung des G-BA in der Hinsicht, dass auch andere Bänke vertreten sind, vor allem die Pflege. Ich halte es sowieso für ein Unding, dass derzeit über Pflege entschieden wird, aber die Pflege nicht mit am Tisch sitzt. Wir müssen so langsam begreifen, dass wir für das Wohl des Patienten unterschiedliche Professionen brauchen. Wir brauchen Ärzte, wir brauchen Pflege, wir brauchen therapeutische Berufe, und da gibt es kein oben und unten, sondern ein gemeinsames Handeln und Kümmern um den Patienten. Alle Gesundheitsberufe sind in ihrer Gesamtheit wichtig.  

Wie lässt sich das bewerkstelligen?

Das Land NRW spielt hier in der Politik eine entscheidende Rolle, wie so oft. Im Oktober lassen wir eine Befragung der Pflegefachkräfte in Bezug auf die Einführung der Pflegekammer oder eines Pflegerings durchführen. Und wenn die so ausgeht, dass die Pflegekräfte die Pflegekammer wollen, dann werden wir die Pflegekammer machen. Da bin ich jetzt vielleicht nicht sehr bescheiden, aber wenn ein Land wie NRW die Pflegekammer einführt, dann ist die Messe gesungen. Dann wird sie auf Bundesebene eingeführt.

Wieso sind Pflegekammern so wichtig?

Es ist die Voraussetzung für eine Emanzipation der Pflege. Die Pflege muss einfach ihren Beruf selbst in die Hand nehmen und weiterentwickeln. Die Kammern generell im deutschen System machen ihre Sache gut. Wenn Sie einem Handwerksmeister sagen, dass der Staat bestimmt, was sein Lehrling nach drei Jahren können muss – und so machen wir es mit den Pflegeberufen ja derzeit –, dann würde dieser den Politiker aus seiner Werkstatt schmeißen und sagen, das entscheiden wir in der Innung. Das ist auch richtig so. Die Ärzte bestimmen in ihren Ärztekammern die Weiterbildung und Weiterentwicklung selbst und machen das gut. Warum soll die Pflege das nicht können? Das würde auch zu einem anderen Selbstbewusstsein der Pflege führen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Pflege immer wichtiger wird, es ist eines der größten Themen der Gesundheitspolitik.  

Kommen wir zu einem Thema, das vor allem die Länder betrifft: die Krankenhausplanung. Hier sind die Länder in der Verantwortung, kommen aber beispielsweise ihrer Verpflichtung der Investitionsfinanzierung seit Jahren nicht nach.  

Als Landesgesundheitsminister muss ich zugeben, dass wir Länder, also auch NRW, nicht genug für die Krankenhausfinanzierung getan haben. Auch wenn wir im letzten Jahr erheblich draufgesattelt haben. In Deutschland haben wir die duale Krankenhausfinanzierung, das heißt die Krankenkassen refinanzieren die Betriebskosten und die Länder tragen die Investitionskosten. Jahrelang ist die Investitionskostenförderung nicht wesentlich erhöht worden. So steht auch der Verdacht im Raum, dass Krankenhäuser Geld beim Personal kürzen müssen, um es in die Technik zu stecken. Krankenhäuser sind aber neben Schulen die wichtigsten öffentlichen Einrichtungen und müssen entsprechend politisch verantwortet werden. Wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Deshalb nehmen wir diese Verantwortung jetzt wesentlich stärker wahr.

Wie kann erreicht werden, dass das Geld für die Pflege auch wirklich am Bett bei den Menschen ankommt?  

Im Zuge der Pflegegesetze werden wir wissen wollen, was die Krankenhäuser für Pflege wirklich ausgeben. In der Altenpflege läuft es schon so. Da müssen sich die Heime mehr in die Karten gucken lassen, ob das Geld für Personal wirklich bei der Pflegekraft ankommt. Für psychiatrische Kliniken werden bis Ende September 2019 verbindliche Mindestpersonalvorgaben erarbeitet. Die Kliniken müssen dann gegenüber den Kostenträgern nachweisen, dass das dafür geplante Budget auch tatsächlich für Personal ausgegeben wurde. Es ist ja auch Bestandteil des Koalitionsvertrages, dass die Krankenkassen die Lohnerhöhung refinanzieren, aber auch wissen dürfen und sollen, ob das Geld bei den Pflegenden ankommt. Es ist deshalb auch wichtig, dass die Pflegepersonalkosten ab 2020 unabhängig von den Fallpauschalen vergütet werden sollen. Dies schafft die erforderliche Transparenz. 

Im neuen Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz, das Sie gerade anschneiden, soll auch der sogenannte Krankenhausstrukturfonds, der 2016 aufgesetzt wurde, verlängert werden. Ein gutes Instrument, um unnötige Betten abzubauen und die Krankenhauslandschaft zu verändern?

Zunächst einmal: Es ist eigentlich nicht die Aufgabe der Krankenkassen, Beitragsmittel für die Strukturpolitik der Krankenhäuser bereitzustellen. Wobei Voraussetzung für die Förderung ist, dass sich die antragstellenden Länder gemeinsam mit den Krankenhausträgern mit mindestens 50 Prozent der förderfähigen Kosten an dem Vorhaben beteiligen, was schon klug gemacht ist. Und ja, natürlich werden wir in NRW mithilfe des Fonds Krankenhausstrukturen verändern. Dafür brauchen wir ein gutes Konzept mit den Krankenkassen, die wiederum auch auf Effizienz setzen, was gut ist. Diese Zusammenarbeit hilft mir auch gegenüber der Landespolitik, denn so kommt ein Kabinett auf die Dauer nicht darum herum, wirklich mehr für die Krankenhäuser zu tun.  

Wie schätzen Sie die Bereitschaft der Krankenhäuser für Strukturveränderungen in NRW ein?

Es gibt solche und solche. Ich kann Ihnen Städte in NRW mit drei Krankenhäusern nennen, die nicht miteinander reden, und wiederum welche, die hervorragend zusammenarbeiten. Wir müssen Prozesse und Strukturen schaffen, die eine Kooperation der Krankenhäuser stärken und verbindlich gestalten. Ein Weg wäre es, mit den Krankenhäusern anzufangen, die bereit sind, sich auf Veränderungen einzulassen, Schwerpunkte zu setzen, nicht alles selbst zu machen, sondern sich mit anderen Krankenhäusern insgesamt gut aufzustellen. Und dafür gibt es Geld. Es gibt durchaus schon gute strukturelle Überlegungen innerhalb der Krankenhauslandschaft. Jetzt müssen sich Politik, Krankenkassen und Krankenhausgesellschaft wirklich die Zeit nehmen, das Geld vernünftig zu investieren. Mein Ziel ist es, dass wir die Krankenhauspolitik so gut auf die Beine stellen, dass diese in dem Sinne weitergeführt wird, egal, wie die nächste Landtagswahl ausgeht.

Denken Sie dabei die sektorenübergreifende Versorgung mit?  

Dazu wird es eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe geben. Aber ganz ehrlich: Der Bundestag hat schon 1990 über sektorenübergreifende Versorgung geredet. Fakt ist, dass die Sektoren im Gesundheitssystem sehr verfestigt sind, was auch daran liegt, dass ambulante und stationäre Versorgung aus unterschiedlichen Töpfen finanziert werden. Ich bin der Meinung, es ist besser, erst mal ganz konkret mit ein paar Veränderungen anzufangen. In NRW sind wir uns mit den Kassenärztlichen Vereinigungen,  den Krankenkassen und der Krankenhausgesellschaft einig, dass bis 2022 an allen geeigneten Standorten insbesondere am Mittwochnachmittag und den Samstagen und Sonntagen die Notfallversorgung von der Kassenärztlichen Vereinigung und dem Krankenhaus zusammen bereitgestellt wird. Wir wollen ganz bewusst nur eine Rezeption, an der nach einheitlichen  Kriterien entschieden wird, ob der Patient zum kassenärztlichen Notdienst oder ins Krankenhaus sollte. Das ist eine für die Bevölkerung sichtbare sektorenübergreifende Versorgung. Und ich glaube, dass auch die Digitalisierung das Gesundheitssystem mit der Zeit zur sektorenübergreifenden Zusammenarbeit zwingt.  

Stichwort Versorgung auf dem Land: Wird das aktuelle Terminservice- und Versorgungsgesetz die Versorgung in den ländlichen Regionen verbessern?

Es wirkt schon an einigen Stellen. Aber das grundlegende Problem ist, dass wir zu wenige Hausärzte haben. Und was man nicht hat, kann man auch nicht verteilen. In NRW sind in den ländlichen Regionen zwei Drittel aller Hausärzte über 60 Jahre alt. Das gibt eine Katastrophe. Das ist auch der Grund, wieso wir in NRW alle möglichen Register ziehen. Dazu zählt die Einrichtung der Medizinischen Fakultät OWL an der Universität Bielefeld. Dazu zählt auch die Einführung der Landarztquote. Wir werden 7,6 Prozent unserer Studienplätze der Medizin an Bewerber vergeben, die sich verpflichten, nach der Weiterbildung für mindestens zehn Jahre als Hausarzt in unterversorgten Regionen tätig zu werden. Hier rechne ich mit sehr vielen Bewerbungen. Es gibt viele junge Leute, die gerne in einem Dorf Arzt sein wollen, denn so schlecht ist das nicht. Erstens verdienen Landärzte gutes Geld. Zweitens müssen sie auch nicht rund um die Uhr erreichbar sein, wie es Filme und Serien gerne suggerieren. Und eine Arztpraxis auf dem Land ist heute eine moderne Arztpraxis, die sich von Ausstattung und vom Ambiente her in nichts von einer Arztpraxis in Düsseldorf unterscheidet. Auf dem Land haben Sie noch den Vorteil, ein etwas breiteres Krankheitsspektrum abzudecken, weil die Bevölkerung dort nicht ganz so oft zum Facharzt geht wie in den Städten.  

Zum Schluss noch die Frage: Möchten Sie an der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Land etwas ändern oder soll es so bleiben, wie es ist?  

Versorgungsfragen sind in den Ländern gut aufgehoben. Die Länder machen das gut, auch wenn sie natürlich unterschiedliche Herausforderungen zu meistern haben. Aber sie sind einfach viel näher dran am Patienten als die Bundespolitik. Wissen Sie, wenn ich das noch sagen darf: Ich glaube, dass die schlimmste Entwicklung im Gesundheitssystem Deutschlands die Denke war, dass das Gesundheitssystem jetzt ein Wirtschaftssystem ist. Wir haben nicht mehr vom Patienten geredet, sondern vom Kunden. Wir müssen begreifen, dass ein kranker Mensch auch ein Hilfe suchender Mensch ist. Wir müssen ihn bei aller Fachlichkeit immer als ganzen Menschen sehen. Und an dieser Stelle spielt die Pflege wieder eine ganz große Rolle, die wir im System nicht unterschätzen sollten. Daran sollten wir gemeinsam auf Bundes- und Landesebene und mit der gemeinsamen Selbstverwaltung arbeiten. Und deswegen haben wir das Thema Patientenorientierung auch zum Schwerpunktthema der diesjährigen GMK gemacht und einen sehr umfassenden Beschluss dazu einstimmig verabschiedet.

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