RESIST

Für einen bewussteren Umgang mit Antibiotika

Antibiotika gehören zu den wichtigsten Errungenschaften der Medizin und können Leben retten. Doch es kommt mehr und mehr zur Bildung von Resistenzen, welche die Wirkung der Antibiotika mindern oder ganz zunichtemachen. Deswegen ist es wichtig, Antibiotika gezielt einzusetzen. Mit rund 39 Millionen Verordnungen fällt ein Großteil der Verschreibungen auf den ambulanten Sektor. Unter Federführung des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) wurden im Innovationsfondsprojekt RESIST Ärzte und Patienten für einen noch verantwortungsvolleren Umgang mit Antibiotika motiviert.

Durchschnittlich zwei bis viermal pro Jahr erwischt es jeden Erwachsenen, Kinder sind noch häufiger betroffen: Die Nase ist verstopft, der Hals kratzt und schmerzt, man fühlt sich abgeschlagen und ein lästiger Husten begleitet einen über mehrere Tage. Gerade im Herbst und im Winter sind unzählige Erreger im Umlauf, welche unterschiedliche Atemwegsinfektionen auslösen können. In den meisten Fällen werden Infektionen der oberen und unteren Atemwege (ARTI) durch Viren verursacht und kommen ohne äußere therapeutische Maßnahmen wieder zum Erliegen. Antibiotika sind somit wirkungslos, werden aber dennoch auch in Deutschland immer noch zu häufig verschrieben. In der Forschung hat man sich in den letzten Jahren intensiv damit auseinandergesetzt, warum trotz „besseren Wissens“ noch immer nicht-notwendige Antibiotikaverordnungen erfolgen. Eine Rolle scheint hier zu spielen, dass Ärzte die Erwartungshaltung ihrer Patienten in Bezug auf eine Antibiotikaverordnung überschätzen. Erkältungssymptome können für die Betroffenen quälend sein, und mit der Hoffnung auf schnelle Abhilfe sitzen Patienten dann ihrem Arzt gegenüber, treten unter Umständen fordernd auf und tragen so zu einem ärztlicherseits empfundenen Verordnungsdruck bei.

Zu viele verordnete Breitbandantibiotika

Im internationalen Vergleich gehört Deutschland zwar nach wie vor nicht zu den „Hochverordner“-Ländern. Ein Blick in die Schweiz oder die Niederlande zeigt jedoch, dass noch erhebliche Verbesserungen möglich sind, ohne dass es zu Einbußen bei der Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung kommt. Besonders der Anteil von verordneten Breitbandantibiotika ist in Deutschland im internationalen Vergleich deutlich zu hoch. Es wird vermutet, dass Ärzte aus einem irrationalen Gefühl größerer Sicherheit heraus noch zu oft nicht-angemessene Breitspektrumantibiotika einsetzen, auch bei Atemwegsinfektionen.

Um den Einsatz von Antibiotika bei akuten Atemwegsinfekten weiter zu reduzieren, haben der vdek und seine Mitgliedskassen gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und acht Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) das Projekt RESIST initiiert, welches sich derzeit auf der Zielgeraden befindet. Finanziert wird das Projekt seit Dezember 2016 durch den Innovationsfonds der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). In den KV-Bezirken Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein, Saarland und Westfalen-Lippe haben ab Juli 2017 insgesamt 2.460 Ärzte am Projekt teilgenommen und Ersatzkassenversicherte mit akuten Atemwegsinfekten für acht Quartale im Rahmen des Projektes versorgt. Ziel von RESIST ist es, sowohl eine Verringerung der allgemeinen Antibiotikaverordnungsrate bei ARTI als auch einen leitliniengerechteren Einsatz von Breitbandantibiotika zu erreichen. So lassen sich Resistenzbildungen sowie vermeidbare Neben- und Wechselwirkungen von Antibiotika langfristig reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, hat RESIST geeignete Rahmenbedingungen für ein sogenanntes Change Management, also eine nachhaltige Verhaltensänderung, geschaffen. Einbezogen wurden dabei Ärzte, welche bei akuten Atemwegsinfekten von Versicherten direkt aufgesucht werden: Hausärzte, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte und Kinder- und Jugendärzte.

Praxisposter RESIST

Voraussetzung für eine Vertragsteilnahme war die erfolgreiche Absolvierung einer projekteigenen, interaktiven Online-Schulung. In den drei Modulen der Schulung wurden einerseits Techniken vorgestellt, die zu einer verbesserten Arzt-Patienten-Kommunikation beitragen sollen, sowie andererseits die Grundlagen der rationalen und leitliniengerechten Antibiotikatherapie bei Atemwegserkrankungen vermittelt. Der sensible Umgang mit konkreten oder vermuteten Erwartungshaltungen des Patienten sowie die gemeinsame Entscheidungsfindung (Shared-Decision-Making) bezüglich einer optimalen Therapie standen hierbei im Vordergrund. Die Schulung war mit insgesamt sechs Ärztlichen Fortbildungspunkten (CME-Punkte) bewertet.

Um die Anwendung der vermittelten Inhalte im Praxisalltag zu erleichtern und den teilnehmenden Arzt bei einer zurückhaltenden Antibiotikaverordnungsstrategie zu unterstützen, erhielten die Praxen Poster für ihre Wartebereiche, Patienteninformationen in Form von Flyern sowie eine kompakte Entscheidungshilfe zur leitliniengerechten Antibiotikatherapie bei bakteriellen Infekten. Hinweise zur geeigneten symptomatischen Therapie, sowie darüber hinaus gegebenenfalls zur korrekten Einnahme von verordneten Antibiotika, konnte der Arzt dem Patienten in Form eines sogenannten Infozepts mitgeben. Zudem erhielten teilnehmende Ärzte im Januar 2019 einen Feedbackbericht, um das eigene Verordnungsverhalten besser einordnen zu können. Dieser enthielt ansprechend visualisiert Informationen zum regionalen Antibiotikaverordnungsverhalten im Vergleich von RESIST-Teilnehmern zu Nicht-Teilnehmern.

Wissenschaftliche Evaluation

Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Projektes wird durch das Institut für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Rostock (UMR) unter Federführung von Prof. Dr. Attila Altiner gemeinsam mit dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) realisiert. Inwieweit das Versorgungskonzept tatsächlich zu einer (weiteren) Reduktion der Antibiotikaverordnungen bei ARTI geführt hat, wird anhand von pseudonymisierten GKV-Routinedaten überprüft. Um zusätzlich auch Aussagen über die Umsetzbarkeit der erprobten Versorgungsform und die Akzeptanz bei allen Beteiligten treffen zu können, fand eine Prozessevaluation auf der Basis von qualitativ erhobenen Daten statt: In den Regionen wurden Fokusgruppendiskussionen mit teilnehmenden Ärzten und teilstandardisierte Interviews mit Patienten durchgeführt. Daran schloss sich zusätzlich eine umfassende Fragebogenerhebung in beiden Zielgruppen an. Dass sich fast 2.500 Ärzte im Rahmen des Innovationsfondsprojekts über zwei Jahre hinweg kontinuierlich am Projekt beteiligten, ist bereits als großer Erfolg zu werten. Damit stellt RESIST eines der größten wissenschaftlich evaluierten Projekte in diesem Bereich weltweit dar. Die ersten vorläufigen Auswertungen anhand der noch nicht vollständigen Datensätze sehen bereits vielversprechend aus. Die Ergebnisse aus der Evaluation liegen im März 2020 vor und werden im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz der Projektpartner in Berlin vorgestellt.

www.vdek.com/resist

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