Krankenhausplanung 2.0

Zukunftsorientiert und bedarfsgerecht

Schematische Darstellung: Aufgaben und Ebenen in der Krankenhausplanung 2.0. Beschreibung im Longdesc-Link.

Die Krankenhausplanung in Deutschland ist dringend reformbedürftig. Im Auftrag des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) hat das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) gemeinsam mit Projektpartnern Umsetzungsvorschläge für eine „Krankenhausplanung 2.0“ erarbeitet. Ziel ist eine gestaltende Krankenhausplanung, bei der hohe Qualität und gute Erreichbarkeit maßgebliche Planungskriterien sind.

Ein Nebeneinander von Unter-, Über- und qualitativer Fehlversorgung – das ist das Ergebnis der aktuellen Krankenhausplanung der Länder, die vorrangig bestehende sektorenspezifische Strukturen fortschreibt. Eine Reform der Krankenhausplanung ist daher dringend nötig. Mit dem hier vorgestellten Konzept einer „Krankenhausplanung 2.0“ sollen die Probleme der Fehlversorgung angegangen und auf die anstehenden Herausforderungen wie den geo-demografischen Wandel sowie die Verknappung materieller und personeller Ressourcen reagiert werden. Folgende Aspekte stehen dabei besonders im Fokus:

  • die prospektive Ausrichtung der Planung anhand zu erwartender Entwicklungen (z. B. soziodemografische, epidemiologische, technologische Veränderungen),
  • die Weiterentwicklung von einer standortbasierten hin zu einer erreichbarkeitsorientierten Versorgungsplanung,
  • die Aufnahme des Kriteriums „Qualität“ in die Krankenhausplanung.

Auch aus Krankenhaussicht ist der Handlungsdruck groß: In den vergangenen Jahren hat sich die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser stark verschlechtert, wie der Krankenhaus Rating Report 2014 zeigt. 40 Prozent der Krankenhausstandorte wiesen im Jahr 2012 einen Jahresverlust aus. Nur knapp die Hälfte der Kliniken war in der Lage, ausreichend Investitionen zu tätigen, während ein hoher Anteil des Anlagevermögens, der medizinischen Geräte und der technischen Ausrüstung bereits abgeschrieben war. Für diese wirtschaftlich angespannte Lage ist zumindest teilweise eine in vielen Regionen ungünstige Versorgungsstruktur (zu viele kleine Einheiten, zu hohe Krankenhausdichte, zu wenig Spezialisierung) verantwortlich – eine Folge der historisch gewachsenen Krankenhauslandschaft und deren Fortschreibung durch die bestehende Krankenhausplanung. Neben der finanziell schlechten Lage vieler Krankenhäuser kommt vereinzelt ein Personalmangel hinzu. Notwendige Veränderungen der Infrastruktur müssen daher rechtzeitig eingeleitet werden, um einen stetigen Übergang zu einer stabilen Versorgungslandschaft zu gewährleisten.

Zentrale Aufgabe einer reformierten Krankenhausplanung ist die Erhöhung des Patientennutzens. Eine hohe Qualität und eine gute Erreichbarkeit der Krankenhausversorgung sind dafür die maßgeblichen Aspekte, die unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots sichergestellt werden sollen. Um dies zu gewährleisten, sind an der „Krankenhausplanung 2.0“ alle Ebenen vom Bund über die Länder bis zu den Selbstverwaltungspartnern auf Ortsebene beteiligt (s. Schaubild). Der Bund schafft einheitlich definierte Rahmenvorgaben, mit denen er Mindeststandards für eine bedarfsgerechte Versorgung festlegt. Ihre Einhaltung wird durch ein systematisches Versorgungsmonitoring sichergestellt. Die Länder stellen weiterhin regionale Krankenhauspläne auf, berücksichtigen dabei die Bundesvorgaben und organisieren das Versorgungsmonitoring. Auf Ortsebene konkretisieren die Krankenkassen und die Leistungserbringer die Vorgaben und berücksichtigen Erkenntnisse aus dem Monitoring. Für die konkrete Umsetzung der „Krankenhausplanung 2.0“ werden sieben Empfehlungen formuliert:

1. Einheitliche Vorgaben für eine bedarfsgerechte Versorgung einführen

Um für alle Bürger die gleiche Qualität einer bedarfsgerechten Versorgung zu gewährleisten, ist es aus ordnungspolitischer Sicht geboten, allgemeingültige Mindeststandards bundesweit einheitlich und verbindlich festzulegen, z. B. explizite Qualitäts- und Erreichbarkeitsvorgaben.

2. Grund- und Regelversorgung klar definieren

Damit Erreichbarkeitsvorgaben für eine wohnortnahe Bereitstellung von Grund- und Regelversorgung aufgestellt werden können, müssen Basisleistungen von den Spezialleistungen der Schwerpunkt- und Maximalversorgung abgegrenzt werden. Kurzfristig reicht es aus, zunächst alle Kliniken mit den Fachabteilungen „Innere Medizin“ und „Allgemeine Chirurgie“ als Häuser der Grund- und Regelversorgung einzustufen. Das sind in Deutschland aktuell rund 1.300 Krankenhausstandorte. Langfristig sollte für die Abgrenzung ein Algorithmus entwickelt werden, mit dem einzelne Leistungsgruppen als Basis- bzw. Spezialleistungen eingeordnet werden können.

3. Notfallversorgung neu ausrichten

Die Versorgung von Notfallpatienten ist und bleibt ein zentraler Bestandteil der Krankenhausplanung, die durch eine flächendeckende Infrastruktur sicherzustellen ist. Hierfür müssen eigene Standards verbindlich festgelegt und der Notfall einheitlich definiert werden. Die Zuständigkeiten der drei beteiligten Bereiche (ambulanter Sektor, Rettungsdienst und Krankenhäuser) sollten klar geregelt und der kassenärztliche Bereitschaftsdienst in der Planung berücksichtigt werden. Um an der Notfallversorgung teilzunehmen, müssen Krankenhäuser verbindliche Strukturanforderungen erfüllen. Die Vorhaltekosten für notwendige Anlagen und Strukturen müssen gegebenenfalls durch Sicherstellungszuschläge finanziert werden. Zudem sollte für Notfallmediziner eine einheitliche Zusatzqualifikation vorgeschrieben werden. Die individuelle Notfallbehandlung des Patienten muss anhand von symptombasierten Struktur- und Prozessvorgaben erfolgen. Zur systematischen Erfassung von Notfallbehandlungen sollte das Notfallkriterium als Zusatzkennzeichen in die Systematik der diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) aufgenommen werden. Nur durch eine kalkulatorische Abgrenzung der tatsächlichen Notfälle kann eine kostendeckende Vergütung der Notfallbehandlung erreicht werden.

4. Bundesweit einheitliche Standards zur Erreichbarkeit vorgeben

Um eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung unabhängig vom Wohnort zu gewährleisten, müssen für elektive Behandlungen je nach Art der Versorgungsstufe differenzierte Erreichbarkeitsstandards festgelegt werden:

  • Für Kliniken der Grund- und Regelversorgung und deren Angebot an Basisleistungen sollte die Erreichbarkeitsvorgabe maximal 30 Pkw-Minuten betragen.  
  • Bei Schwerpunkt- und Maximalversorgern steht die Erreichbarkeit nicht im Vordergrund; zur Orientierung könnten hier 60 Pkw-Minuten festgesetzt werden.

Diese Standards sind derzeit für 99 Prozent (Grundversorgung) bzw. 96 Prozent (Maximalversorgung) der Bevölkerung erfüllt.

In der Notfallversorgung ist die Zeitspanne bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes das entscheidende Kriterium. Hier sollten maximal zwölf Minuten vorgegeben werden, wie es heute schon in einigen Landesrettungsdienstgesetzen vorgesehen ist. In dünn besiedelten ländlichen Gebieten sollte über den Ausbau der Luftrettungsinfrastruktur nachgedacht werden. Auch die niedergelassenen allgemein- und fachärztlichen Praxen müssen verstärkt in die Notfallversorgung einbezogen werden. Zusätzlich bietet Telemedizin im ländlichen Raum eine Lösung für den Konflikt zwischen Wohnortnähe und qualitativ hochwertiger Versorgung.

5. Verbindliche Qualitätsvorgaben erstellen

Qualität sollte als verbindliches Kriterium mit in die Krankenhausplanung aufgenommen werden. Dabei stehen grundsätzlich die Indikationsqualität („Wird das Richtige getan?“) und die Ergebnisqualität („Wird das richtige Ergebnis erzielt?“) im Vordergrund. Langfristiges Ziel muss eine ausreichende Transparenz über die erbrachte Ergebnis- und Indikationsqualität sein, um einen funktionierenden Qualitätswettbewerb zu ermöglichen. Da beide Maße derzeit jedoch meist nicht ausreichend gut gemessen und überprüft werden können, sollten stellvertretend auch Mindestvorgaben zur Strukturqualität („Sind die Rahmenbedingungen richtig?“) und Prozessqualität („Wird die Leistung richtig erbracht?“) in der Krankenhausplanung berücksichtigt werden. Leistungsbereiche einzelner Krankenhäuser, die verbindlich vorgegebene Qualitätsstandards nicht erfüllen, müssen vom Versorgungsauftrag ausgeschlossen werden können. Zudem sollten verbindliche und rechtssichere Vorgaben für die Ausweisung von Zentren und Schwerpunkten sowie für Innovationszentren in die Planung aufgenommen werden.

6. Einheitliche Datengrundlage schaffen

Um die Krankenhausplanung zukunftsorientiert am zu erwartenden Bedarf ausrichten sowie die Versorgungsstrukturen systematisch überprüfen zu können, ist die Schaffung einer einheitlichen Datengrundlage zwingend notwendig. Langfristig muss diese für eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung auch die ambulanten Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen beinhalten.

7. Vorgaben durch systematisches Versorgungsmonitoring überprüfen

Ein systematisches Monitoring des Versorgungsangebots ist zentraler Bestandteil der „Krankenhausplanung 2.0“. Es muss die Einhaltung der bundesweiten Mindestvorgaben überwachen und aus einer Unterschreitung die nötigen Konsequenzen ziehen. Das Monitoring sollte auf der Ebene der Bundesländer angesiedelt sein. Da die Krankenversicherungen die finanziellen Konsequenzen aus den Ergebnissen des Monitorings zu tragen haben (z. B. Sicherstellungszuschläge), sollte ihnen ein Mitspracherecht eingeräumt werden. Das Monitoring fokussiert auf die drei Dimensionen von Fehlversorgung, deren Auftreten vermindert werden soll:

Qualitative Fehlversorgung:

Strukturelle Qualitätsanforderungen werden auf der Ebene einzelner Leistungsbereiche als Zulassungsvoraussetzung festgelegt und müssen dauerhaft überprüfbar sein. Anhand geeigneter Indikatoren muss regelmäßig die Einhaltung der qualitativen Mindestvorgaben zur Indikations-, Prozess- und Ergebnisqualität überwacht werden. Liegen einzelne Leistungssegmente eines Krankenhauses dauerhaft unterhalb der festgelegten Mindestvorgaben, sollte dies zu ihrem Ausschluss aus dem Versorgungsauftrag führen. Leistungserbringer, deren Qualitätsergebnisse die Mindestvorgaben deutlich übertreffen, können hingegen durch Zusatzvereinbarungen belohnt werden.

Unterversorgung:

Muss ein Krankenhaus sein bestehendes Leistungsangebot reduzieren, werden die möglichen Auswirkungen in Bezug auf die Erreichbarkeitsvorgaben überprüft. Ist die Mindesterreichbarkeit zum nächsten Versorgungsangebot weiterhin gegeben, darf die Leistungsreduktion stattfinden. Andernfalls müssen alternative wirtschaftlich tragbare, auch sektorenübergreifende Versorgungsformen geprüft werden. Sollte sich kein tragfähiges Angebot finden lassen, erhält das Krankenhaus einen Sicherstellungszuschlag.

Überversorgung:

Bei geplanter Leistungsausweitung eines Krankenhauses muss durch ein anlassbezogenes Monitoring überprüft werden, ob in der betreffenden Region bereits eine „Überversorgung“ in dem entsprechenden Leistungsbereich vorliegt. Dafür werden regionale Fallzahlen herangezogen und mit einem regionalisierten Richtwert verglichen. In überversorgten Gebieten können bei hoher Qualität der Bestandsangebote die Angebotsausweitung untersagt oder selektivvertragliche Lösungen gewählt werden. Außerdem müssen in diesen Regionen Maßnahmen zur Steigerung der Indikationsqualität in dem betroffenen Leistungsbereich ergriffen werden.

Viele der genannten Maßnahmen sind kurzfristig umsetzbar. Bereits 2015 könnte die Krankenhausplanung damit deutlich besser aufgestellt sein.

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