Seit Mitte Oktober 2016 liegt der Kabinettsentwurf für ein Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMV-VSG) vor, mit dem laut Selbstauskunft der Bundesregierung primär der angeblich schwächelnde Pharmastandort Deutschland gestärkt werden soll.
Die darin verarbeiteten Gesetzesänderungen spiegeln das Resultat eines mehr als zwei Jahre währenden Dialoges dreier Bundesministerien (Gesundheit, Wirtschaft, Forschung) mit Vertretern der Verbände der Pharmaindustrie wider. Dieser sogenannte Pharmadialog war von der Politik als Folge des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) ins Leben gerufen worden. Denn die mit dem AMNOG-Prozess eingeführten Regelungen werden von vielen forschenden Pharmafirmen als sehr belastend empfunden. Mag zunächst das Ziel gewesen sein, eher eine atmosphärische Beruhigung zwischen Politik und Wirtschaft herbeizuführen, so machten die Verbände der Pharmaindustrie im laufenden Gesprächsprozess schnell klar, dass sie konkrete Ergebnisse in Form von Gesetzesänderungen erwarteten. Das eigentlich Verblüffende an diesem Prozess, der praktisch ohne Beteiligung der Regierungsfraktionen und der Kostenträger über die Bühne ging, ist: Im Ergebnis wird Wirtschaftsförderung mit Geldern aus dem Solidartopf der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) betrieben. Hatten sich Wirtschafts- und Forschungsministerium noch am gemeinsamen Abschlussbericht zum Pharmadialog beteiligt, so kommt die bisher einzige konkrete gesetzestechnische Aktivität interessanterweise aus dem Bundesgesundheitsministerium. Diese Bilanz des Pharmadialogs hat durchaus eine sozialpolitische Dimension. Die erwarteten Mehrkosten werden schließlich nicht gleichmäßig auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilt, sondern übersteigende Zusatzbeiträge alleine von den GKV-Versicherten bezahlt. Es handelt sich also quasi um eine Wirtschaftsförderung, die ohne Steuerfinanzierung auskommt. Mag auch die Erwartungshaltung der unzufriedenen Pharmaindustrie noch größer gewesen sein, so bleibt das Ergebnis aus Sicht der Versichertengemeinschaft gelinde gesagt unbefriedigend, auch wenn nicht alle Elemente des Kabinettsentwurfs die Signatur des Pharmadialogs tragen.
Der Katalog
In dem bunten Strauß der vorgesehenen gesetzlichen Änderungen finden sich sehr viele kleine und größere Maßnahmen, über deren Ausgewogenheit trefflich diskutiert werden kann. So gibt es neben einer erneuten Verlängerung des bereits seit 2010 geltenden Preismoratoriums bis 2022 (allerdings ab 2018 mit einem Inflationsausgleich gekoppelt) einige weitere, eher immateriell geprägte Verbesserungen im System. In diese Kategorie gehören neben dem einzurichten- den Info-Portal für Ärzte bezüglich der Nutzenbewertungsbeschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) die erneute Option, bestimmte Wirkstoffe aus dem Bestands- markt bewerten zu können, oder das Recht des G-BA, Verordnungseinschränkungen für Arzneimittel zu verfügen, wenn diese außerhalb des attestierten Zusatznutzens eingesetzt werden.
Demgegenüber stehen jedoch eine ganze Reihe von Regelungen, deren Effekte absehbar zusätzlich Geld kosten werden. Etwa die Erhöhung der Rezepturzuschläge für Apotheken oder die Abschaffung der seit 2009 bestehenden Möglichkeit für Kassen, mit einzelnen Apotheken Sonderabsprachen zur Abrechnung patientenindividuell hergestellter Zytostatika-Zubereitungen treffen zu können. In die Rubrik „Befremdlich“ gehört auch der Vorschlag, den Apotheken für den Dokumentationsaufwand u. a. bei der Belieferung von Betäubungsmitteln eine um den Faktor 10 erhöhte Gebühr zu bewilligen. Diese mit ca. 30 Millionen Euro zusätzlich durch die GKV zu finanzierende Gebühr dient ausschließlich der Erleichterung der Kontrolle des Verkehrs mit Betäubungsmitteln durch die damit beauftragten staatlichen Stellen. Ein irgendwie gearteter Patientennutzen ist hier- mit nicht verbunden. De facto wird die Apotheke in ihrer Rolle als Erfüllungsgehilfe für staatliche Kontrollfunktionen honoriert, also etwas, das eigentlich aus Steuergeldern zu finanzieren wäre.
Ausblick
In Anbetracht des gerade erst begonnenen Marschs durch die parlamentarischen Hürden bleibt abzuwarten, welche der vielen Detailvorschläge unverändert erhalten bleiben bzw. welche eventuell neuen Aspekte noch aufgesattelt werden. Dazu dürften sicherlich auch Fragen zum Umgang mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bezüglich der Nichtgeltung der Arzneimittelpreisverordnung beim Versand von Arzneimitteln aus dem EU-Ausland gehören.