Seit 100 Jahren gibt es das Frauenwahlrecht in Deutschland. Die politische Macht liegt jedoch bis heute vorwiegend bei den Männern. Eine verbindliche Frauenquote könnte das ändern.
Vorausgegangen war ein jahrzehntelanges zähes Ringen der Frauenbewegung. Doch am 30. November 1918 war es mit Inkrafttreten des Reichswahlgesetzes endlich so weit: Als einer der ersten großen Staaten in Europa führte Deutschland das Frauenwahlrecht ein. In ihrer Zeitschrift „Jus Suffragii“ verkündete die internationale Frauenbewegung, dies sei „zweifellos der bedeutendste Sieg“. Deutschland komme „die Ehre zu, die erste Republik zu sein, die auf wahrhaften Prinzipien der Demokratie gründet, dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht für alle Männer und Frauen.“ Als erstes europäisches Land hatte Finnland, damals jedoch noch russisches Großfürstentum, 1906 das Frauenwahlrecht eingeführt. Heute, 100 Jahre nach diesem historischen 30. November 1918, ist die politische Partizipation von Frauen in Deutschland weit über das bloße Wahlrecht hinausgewachsen. Nur langsam haben Frauen höchste politische Ämter erklommen, was für viele noch vor Jahrzehnten undenkbar gewesen ist. Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Deutschland derzeit mit Ursula von der Leyen (CDU) erstmals eine Verteidigungsministerin und die SPD mit Andrea Nahles ihre erste Parteichefin.
Männerdomäne Politik
Auf den ersten Blick könnte man also meinen, dass bei der politischen Teilhabe in Deutschland die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern Einzug gehalten hat. Tatsächlich aber ist die Politik in weiten Teilen nach wie vor eine Männerdomäne. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr zeigt sich sogar ein Rückgang des Anteils von Frauen mit Mandat und Ämtern. So besteht der aktuelle 19. Deutsche Bundestag zu nicht einmal 31 Prozent aus Frauen, während im 18. Bundestag der Anteil noch 36,5 Prozent betragen hat. Im OECD-weiten Vergleich rangierte Deutschland damit Mitte dieses Jahres nur im Mittelfeld, weit hinter Schweden mit 43,6 Prozent oder Mexiko mit 42,6 Prozent. Im weltweiten Vergleich schneidet Deutschland sogar noch schlechter ab. Ernüchternd ist auch der Blick in manche deutschen Landtage. In Baden-Württemberg etwa beträgt der Frauenanteil im Parlament gerade einmal 24,5 Prozent, obwohl dort etwas mehr Frauen als Männer leben. Solche Zahlen sind ein fatales Signal für die Gleichstellung von Frauen in Deutschland.
Frauenquote einführen
Damit die politische Partizipation von Frauen weiter vorankommt, sind zwei Voraussetzungen erforderlich. Zum einen braucht es mehr Frauen, die nicht nur wählen, sondern sich auch wählen lassen. Zum anderen ist es an der Zeit, verbindliche Frauenquoten einzuführen und zwar nicht nur in den Aufsichtsräten großer börsennotierter Unternehmen oder in den Parteien, sondern auch in der sozialen Selbstverwaltung. Es ist ein wichtiges Signal, dass die Bundeswahlbeauftragten in ihrem kürzlich verabschiedeten Zehn-Punkte-Papier für die Reform der Sozialwahl eine Frauenquote bei der Listenaufstellung fordern. Eingereichte Vorschlagslisten dürfen von den Wahlausschüssen demnach nur dann zur Sozialwahl bei dem betreffenden Versicherungsträger zugelassen werden, wenn von beiden Geschlechtern mindestens ein Drittel kandidiert. Zur Hälfte mit Frauen und Männern besetzte Listen wären noch besser.
Gemischte Führungsteams sind erfolgreicher
Für verbindliche Quoten gibt es triftige Gründe. Jede Partei, jedes Unternehmen und jedes Gremium will möglichst erfolgreich arbeiten. Dazu bedarf es der besten Kräfte und zwar von beiden Geschlechtern. Da Frauen mitunter einen anderen Blick auf die Dinge haben als Männer sowie eine andere Führungs- und Diskussionskultur pflegen, sind gemischte Führungsteams in der Regel kreativer und damit auch erfolgreicher. Das ist nachgewiesen. Allerdings ist die berühmte Alibifrau im Chefsessel ganz sicher nicht ausreichend. Um eine neue Diskussionskultur nachhaltig zu etablieren, bedarf es Studien zufolge einer kritischen Masse von etwa 30 Prozent. Ein solcher Frauenanteil ist aber beinahe utopisch in Führungszirkeln, in denen nach wie vor verkrustete und patriarchale Strukturen vorherrschen. Dort werden Männer eher unterstützt als Frauen, nicht zuletzt aufgrund jahrelanger Seilschaften. Eine Frau, die sich hier durchsetzen will, muss nicht nur „ihren Mann stehen“, sondern besser sein als Männer. Doch selbst dann bleibt es schwer, in männlich dominierte Führungszirkel vorzustoßen.
Ein weiterer Grund für eine verbindliche Frauenquote: sie funktioniert. Dies zeigt ein Blick auf die Parteien im 19. Deutschen Bundestag. So liegt der Anteil der weiblichen Abgeordneten bei der AfD nur bei 10,8 Prozent und bei der FDP bei 22,5 Prozent, während er bei den Grünen, die eine verbindliche Quote haben, sogar 58,2 Prozent beträgt und bei der Partei Die Linke 53,6 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Wirtschaft. Während der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der DAX-Konzerne, wo es eine Quote gibt, bei etwa 33 Prozent liegt, betrug er in deren Vorstandsetagen im Jahr 2017 gerade einmal 13 Prozent. Dort gibt es keine Quote.
Die Quote hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nachhaltig bewiesen, dass sie ein sinnvoller Türöffner zu mehr politischer Partizipation ist. Wir benötigen aber auch mehr Frauen, die durch diese Türe hindurchgehen wollen. Die verhaltene Beteiligung ist keine Frage des Könnens und auch keine individuelle „Schuld“. Sie hat andere Gründe, etwa Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder ein tradiertes Rollenverständnis, das in Teilen in der Gesellschaft noch vorherrschen mag. Es ist höchste Zeit, dass sich die Arbeitsbedingungen den Lebensrealitäten anpassen, auch im Ehrenamt. Zudem zögern Frauen tendenziell länger als Männer, wenn es darum geht, entschieden ein politisches Amt anzustreben. Aktiv gestalten und verändern kann man aber nur, wenn man an den richtigen Schalthebeln sitzt.
Vor diesem Hintergrund sollten sich Frauen noch beherzter als bisher für öffentliche Ämter zur Wahl stellen, sei es in der Politik oder der Selbstverwaltung. Die Quote kann dabei manche Hürde beseitigen und dazu beitragen, dass sich am Ende die qualifiziertesten Bewerberinnen und Bewerber durchsetzen. Halbe-halbe ist eine alte und weiterhin bedeutsame Forderung der Frauenbewegung. Und es macht keinen Sinn, das Potenzial der höchstqualifizierten Frauengeneration aller Zeiten nicht zu nutzen.