Digitale Versorgung Gesetz

Die App vom Arzt wird Wirklichkeit

2016 hat er über sie ein Buch geschrieben – jetzt soll sie kommen: die App vom Arzt. Dazu stellte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Mitte Mai 2019 den Entwurf eines Digitale Versorgung Gesetzes (DVG) vor. Daneben wird die Telematikinfrastruktur (TI) ausgebaut. Der Minister nutzt den Aufschlag auch dafür, den Innovationsfonds um fünf Jahre zu verlängern und erfüllt damit eine Auflage aus dem Koalitionsvertrag.

Illustration: Grafik Gesundheits-Apps

Das Kernelement des DVG ist ein Verfahren zur Aufnahme digitaler Gesundheitsanwendungen – Apps - in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Hier soll das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Verzeichnis verordnungsfähiger Anwendungen führen, ihre Effekte auf die Versorgung bewerten und Angebote in der Regelversorgung erproben lassen. Es liegt im Interesse der Ersatzkassen, dass Anwendungen mit nachgewiesenen positiven Effekten für die Versorgung genauso im GKV-Leistungskatalog abgebildet werden wie „analoge“ Behandlungen und Diagnoseverfahren. Tatsächlich gibt es schon heute eine Reihe von digitalen Angeboten im Bereich der Prävention. Bei Therapieoptionen via App sind die bisherigen Verfahren zur Nutzenbewertung und Erprobung jedoch zu schwerfällig. Außerdem sind bereits funktionierende Zugangswege in den ersten Gesundheitsmarkt für Unternehmen aus dem Start-up-Bereich bisher wenig transparent.

Die Ersatzkassen sprechen sich daher dafür aus, eine Beratungsstelle beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einzurichten, die auch eine Zuordnung in den „passenden“ Zugangsweg, also Prävention oder Disease-Management-Programm vornimmt. Gleichzeitig würde sie – anstelle des BfArM – entscheiden, ob eine digitale Therapie-App in der Regelversorgung erprobt werden sollte. Die Evaluation aller Erprobungsverfahren für digitale Anwendungen würde dabei von einer wissenschaftlichen Institution nach einheitlichen, vergleichbaren Standards durchgeführt. Damit läge die Entscheidung über die Aufnahme aller Behandlungs- und Untersuchungsmethoden in einer bewährten Hand – egal, ob analog oder digital. Durch klare gesetzliche Fristen und Vereinfachungen des Erprobungsverfahrens ist dieser Vorschlag der Ersatzkassen im gleichen zeitlichen Rahmen umsetzbar wie die vorgesehenen Regelungen des Referentenentwurfs. Aufgabe des BfArM wäre es weiterhin, die Grundanforderungen im Hinblick auf Sicherheit und Datenschutz zu prüfen und damit Mindeststandards zu setzen.

Positiv ist, dass mit dem DVG die Krankenkassen den Digitalisierungsprozess aktiv mitgestalten und ihren Versicherten eine individualisierte Beratung und auf sie zugeschnittene – auch digitale – Versorgung anbieten können. Natürlich nur soweit, wie der Versicherte dies wünscht.

Und das DVG hält noch weit mehr bereit. Nachdem der Bundesgesundheitsminister mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz sein Haus zum Mehrheitsgesellschafter in der nur einen Steinwurf entfernten Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik) gemacht hat, legt er nun nach. Mit dem DVG wird der Kreis der an die TI angebundenen Leistungserbringer deutlich vergrößert; zum Teil zunächst auf freiwilliger Basis. Zeitgleich erhöht Spahn den Druck: Die bereits im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz verankerte Honorarkürzung für Ärzte wird im Frühjahr 2020 auf 2,5 Prozent erhöht. Dann sollen auch die Apotheker angeschlossen sein, damit der Medikationsplan elektronisch aktualisiert werden kann. Krankenhäusern droht ein Abschlag von einem Prozent ab Januar 2022. Es ist gut, dass hier Druck gemacht wird. Nur so kann der Mehrwert, den die TI bieten soll, in absehbarer Zeit auch realisiert werden.

Zentrale Bausteine der TI sind die elektronischen Verordnungen und die elektronische Patientenakte (ePA). Mit dem DVG sollen elektronische Verordnungen ergänzend für den Heil- und Hilfsmittelbereich eingeführt werden. Ein ambitioniertes Projekt, in das aber nicht nur die Physiotherapeuten – wie aktuell geplant – einbezogen werden sollten, sondern auch die Podologen, Logopäden und Ergotherapeuten. Bei der ePA haben die Versicherten einen umfassenden Anspruch auf Speicherung ihrer Behandlungsdaten durch Vertragsärzte, Krankenhäuser etc. Die verpflichtenden Inhalte werden zudem erweitert. Bis zum 31. März 2021 sollen auch die Daten des Impfausweises, des Zahn-Bonushefts und der U-Untersuchungen gespeichert werden können. Nach Ansicht des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) sollte der Gesetzgeber noch einen Schritt weiter gehen und die gematik konkret beauftragen, die technischen Voraussetzungen zu schaffen, damit die ärztlichen Befunde, Diagnosen, Behandlungsberichte, Labordaten etc. in der ePA abgelegt werden können. Nur so kann dem Anspruch der Versicherten entsprochen und die ePA zu einem attraktiven Instrument werden. Das ist zwingend notwendig, denn die ePA ist für den Versicherten freiwillig.

Neben den Regelungen zur Digitalisierung stellt die Fortschreibung des Innovationsfonds den zweiten großen Schwerpunkt im DVG-Entwurf dar. Dieser soll bis zum Jahr 2024 verlängert werden; allerdings bei geänderten Rahmenbedingungen. Neu ist, dass auch die Erstellung von medizinischen Leitlinien mit mindestens fünf Millionen Euro pro Jahr gefördert werden soll. Diese Form der Wissenschaftsförderung lehnt der vdek ab.

Die Förderung selbst soll zukünftig in einem zweistufigen Verfahren erfolgen, bei dem zunächst die Projektideen gefördert werden. Nach sechs Monaten erfolgen eine Neubewertung und die Entscheidung über die finale Förderung. Damit sollen die Chancen, Projekte in die Regelversorgung zu überführen, stringenter genutzt werden. Hinter diesem Ziel steht auch der vdek. In der Umsetzung ist darauf zu achten, dass die wettbewerblichen Spielräume, die gebraucht werden, um gute Ideen zu entwickeln, nicht eingeengt werden. Mit den kleinteiligen Änderungen am Verfahren und zum Ablauf der Förderung, die der Referentenentwurf enthält, würde aber der bisherige offene Ideenwettbewerb beschränkt. Das wäre schade, denn dieser hat bis heute zu einer stattlichen Zahl von rund 120 Projekten zu neuen Versorgungsformen geführt.

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