Die Pflegestärkungsgesetze der letzten Jahre führten zuletzt zu hohen Defiziten in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV). Der Gesetzgeber hat daher den Beitragssatz um 0,5 Beitragssatzpunkte erhöht. Wie lange wird die Anhebung ausreichen?
Zum 1. Januar 2019 wurde der Beitragssatz der SPV von 2,55 auf 3,05 Prozent angehoben. Denn die gesetzlichen Leistungsverbesserungen durch die Pflegestärkungsgesetze und die stärkere Inanspruchnahme von Pflegeleistungen haben die Finanzreserven der SPV aufgezehrt. Ab 2019 hat das neue Pflegepersonalstärkungsgesetz (PpSG) weitere Mehrausgaben zur Folge. Die Bundesregierung erwartet, dass das Beitragssatzniveau mit der jetzt erfolgten Anhebung um 0,5 Beitragssatzpunkte bis 2022 stabil gehalten werden kann und Spielraum für weitere im Koalitionsvertrag vereinbarte Maßnahmen besteht.
Deutliche Verbesserung des Leistungsumfangs
Die vergangenen Jahre waren von deutlichen Verbesserungen des Leistungsumfanges der SPV gekennzeichnet: 2013 trat das Pflegeneuausrichtungsgesetz in Kraft, das vor allem Leistungsverbesserungen für demente Pflegebedürftige beinhaltete. Im Jahr 2015 folgte das Pflegestärkungsgesetz I (PSG I). Das Gesetz enthielt weitere Verbesserungen für demente Pflegebedürftige und eine grobe Anpassung der Leistungsbeträge an die Kostenentwicklung. Darauf folgten 2017 PSG II und III. Das PSG II stellt mit der Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs nicht mehr den pflegerischen Zeitbedarf, sondern die Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen in den Mittelpunkt. Bei der Beurteilung werden neben körperlichen nun auch kognitive Einschränkungen berücksichtigt. Damit verbunden ist eine erhebliche Ausweitung des Leistungsumfangs und der Leistungsberechtigten.
Insbesondere die tatsächlichen Mehrausgaben des PSG II übertrafen die Prognosen deutlich. In der Gesetzesbegründung ging das Bundesgesundheitsministerium (BMG) seinerzeit von Mehrausgaben in Höhe von 3,7 Milliarden Euro im Umstellungsjahr 2017 und danach von jährlich 2,4 bis 2,5 Milliarden Euro aus. Um diese Mehrausgaben zu finanzieren, wurde der Beitragssatz um 0,2 Beitragssatzpunkte angehoben. Tatsächlich betrugen die Mehrausgaben 2017 aber sechs Milliarden Euro, die Mehreinnahmen 2,7 Milliarden Euro. 2018 gab es aufgrund nachlaufender Effekte weitere Ausgabensteigerungen von rund 1,5 Milliarden Euro. Hinzu kamen die Auswirkungen des Flexirentengesetzes. Die Ausgaben für die Rentenbeiträge der Pflegepersonen stiegen 2017/2018 um eine Milliarde Euro. Dadurch verringerten sich die Rücklagen der SPV unerwartet stark und führten 2018 zu unterjährigen Liquiditätsengpässen im Ausgleichsfonds der SPV.
Zur Refinanzierung der Mehrausgaben durch diese gesetzlichen Verbesserungen wurde der Beitragssatz zwischen 2013 und 2019 von 1,95 Prozent um 1,1 Beitragssatzpunkte auf 3,05 Prozent angehoben.
Sprung bei Einnahmen und Ausgaben zu erwarten
Durch die beschlossene Beitragssatzanhebung sind 2019 Mehreinnahmen von 7,6 Milliarden Euro zu erwarten. Ferner wurde durch das Pflegepersonalstärkungsgesetz festgelegt, dass die SPV ab 2019 jährlich rund 680 Millionen Euro von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie der privaten Krankenversicherung (PKV) pauschal und ohne Spitzabrechnung für die Finanzierung 13.000 zusätzlicher Pflegestellen in den stationären Pflegeeinrichtungen erhält. Dadurch kommt es 2019 zu einem sichtbaren Sprung bei der Einnahmenentwicklung, der sich im weiteren Verlauf positiv, aber gedämpft fortentwickelt (Grafik 1).
Für die Ausgabenentwicklung wird in der Hochrechnung 2018 (Basis 3. Quartal 2018) noch mit einem Ausgabenzuwachs von sieben Prozent (nach 26 Prozent im Jahre 2017) gerechnet, der sich zum Teil noch aus Nachwirkungen des Pflegestärkungsgesetzes II und des Flexirentengesetzes ergibt. Für die Jahre bis 2020 wird von einer Ausgabenentwicklung der SPV in Fortschreibung der Entwicklung in zurückliegenden Jahren vor 2015 und geschätzten gesetzlich induzierten Finanzwirkungen aus dem PpSG um 4,5 Prozent jährlich ausgegangen. Für 2021 wird unterstellt, dass gemäß § 30 SGB XI zusätzlich zu einer Basisentwicklung eine Anpassung der Leistungssätze der SPV in Höhe von rund fünf Prozent - in unserem Szenario abgeleitet aus der kumulierten geschätzten Inflationsrate zwischen 2017 und 2020 – erfolgt. Dadurch käme es 2021 zu einem Ausgabensprung von circa zehn Prozent gegenüber 2020. Ab 2022 wird eine dann wieder moderatere Veränderungsrate von rund vier Prozent bis 2023 unterstellt (Grafik 1).
Nächste Beitragssatzanpassung unter Status Quo-Bedingungen ab 2023 erforderlich
Im Ergebnis wäre ab Mitte der 2020er Jahre eine Anhebung des Beitragssatzes erforderlich. Die Anhebung des Beitragssatzes 2019 um 0,5 Beitragssatzpunkte war demnach auf mittlere Sicht sachgerecht. Das für 2018 erwartete Defizit von -3,4 Milliarden Euro wird dadurch ausgeglichen und auch die vorgeschriebene Leistungsdynamisierung im Jahr 2021 ist abgedeckt. Nach 2023 muss allerdings trotz moderater Annahmen zur Einnahmen- und Ausgabenentwicklung unter Status Quo-Bedingungen wieder mit einer defizitären Entwicklung gerechnet werden – mit der Folge, dass die verfügbaren Rücklagen (graue Teile der Balken in Grafik 2) ohne gesetzlich vorgeschriebene Rücklagen in wenigen Schritten wieder aufgebraucht wären. Gesetzlich vorgeschrieben ist bislang eine Betriebsmittelreserve und Rücklage in Höhe von 1,5 Monatsausgaben für die Pflegekassen, also 6,5 Milliarden Euro im Jahr 2023.
Zunahme der Eigenanteile der Pflegebedürftigen verhindern
Für die Pflegebedürftigen belastend ist die zunehmende Steigerung der Eigenanteile. Schon heute betragen die durchschnittlichen Eigenanteile der Pflegebedürftigen zum Beispiel in der vollstationären Pflege bis zu 50 Prozent der Gesamtkosten (Grafik 3). Hier bedarf es einer politischen Debatte zu möglichen Lösungsszenarien für ein zukunftsfestes Finanzierungskonzept der SPV.
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