Seit Herbst vergangenen Jahres läuft die Neuauflage des Pharmadialogs zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Parlamentariern und Industrieverbänden. Die Fortführung des Dialogs ist ein großer Erfolg und sollte Vorbild für das weite Feld der Digitalisierung sein.
Faszinierend an der Gesundheitspolitik ist, dass selbst kleinste Detailregelungen für die jeweils Betroffenen erhebliche Auswirkungen haben können. So mancher Akteur hat das in vergangenen Jahren schmerzlich erfahren. Dabei lebt der Wettstreit um das beste Argument von der Vielfalt der interessierten Bürger, Institutionen, Unternehmen und Verbände.
In dieser Gemengelage fällt gelegentlich der Vorwurf, einzelne Akteure würden mit ihren Anliegen nicht angemessen in Gesetzgebungsverfahren einbezogen. Ihre Expertise würde vernachlässigt, ihre Bedeutung für das Versorgungsgeschehen ignoriert. Zumindest für die Arzneimittelhersteller trifft das wohl kaum zu. Die Entscheidung zur Fortsetzung des Pharmadialogs sorgt für einen transparenten Austausch des Gesetzgebers mit einem der innovativsten Wirtschaftszweige in unserem Land.
Gesundheitswirtschaft als Standortfaktor
In Deutschland sichert die Gesundheitswirtschaft über sieben Millionen Arbeitsplätze, jeder sechste Erwerbstätige ist in diesem Bereich tätig. Mit einer Bruttowertschöpfung von 350 Milliarden Euro jährlich trägt die Gesundheitswirtschaft rund zwölf Prozent zum deutschen Bruttoinlandsprodukt bei. In vielen Regionen unseres Landes stellt sie den wichtigsten Wirtschaftsfaktor überhaupt dar. Die pharmazeutische Industrie hat daran einen bedeutenden Anteil.
Darum ist es gut und richtig, übergreifende Fragen zum Gesundheits-Wirtschaftsstandort Deutschland in Form des Pharmadialogs anzusprechen. Mehr noch: Angebracht wäre die Ausweitung solcher Gesprächsplattformen auf andere Wirtschaftszweige, die in Deutschland Arbeitsplätze sichern und Wohlstand schaffen: Medizintechnologieunternehmen, Klinikbetreiber, Pflegeanbieter, kleine und mittelständische Unternehmen bis hin zu einzelnen Gründern, die alle gemeinsam das Rückgrat unserer weltweit führenden, modernen Gesundheitsversorgung bilden.
Vier Kernfragen im Arzneimittelsektor
Was den Arzneimittelsektor betrifft, halte ich vier Fragen für zentral. Sie werden uns über diese Legislatur begleiten, und wir sollten sie frühzeitig adressieren: Erstens müssen wir viel konkreter darüber sprechen, wie wir die Chancen der Digitalisierung für die Gesundheitsforschung erschließen. Für den Umgang mit Daten braucht es genauso Rahmenbedingungen wie für therapiebegleitende Apps.
Zweitens werden wir uns darüber Gedanken machen müssen, wie wir die frühe Nutzenbewertung weiterentwickeln können – und dabei sehe ich die Lebensqualität als zentralen Parameter. Mit der Nutzenbewertung verbunden wird – drittens - die Frage sein, wie wir Preisbildung und Erstattungsmodelle zukunftssicher ausgestalten. Angesichts kommender hochpreisiger Therapien sollten wir auch über Konzepte wie „pay for performance“ offen diskutieren, also neuartige Erstattungsmodelle, die sich mit einem finanziellen Anreiz am tatsächlichen Behandlungserfolg orientieren.
Und nicht zuletzt müssen wir die Weichen dafür stellen, dass die Versorgung wirtschaftlich und qualitativ auf hohem Niveau bleibt. Dazu zählen für mich wirksamere Vorschriften zu Lieferengpässen und zum Fälschungsschutz – und ein Arztinformationssystem, das den Arzt sinnvoll unterstützt.
Vertrauen statt Schaugefecht
Die in mehreren Runden stattfindenden Dialogtreffen dürften auch in dieser Legislatur einen angemessenen Rahmen bilden, um solche Themen zu besprechen. Denn im kleinen, geschlossenen Kreis lässt sich vieles pointierter formulieren als auf öffentlichen Podien. Zugleich entfallen die rhetorischen „Schaugefechte“, denn für mediale Selbstinszenierung besteht kein Anreiz. All das schafft Vertrauen, sorgt für eine sachlichere Streitkultur und mehr inhaltliche Flughöhe.
Aus diesen Gründen sollten Dialogformate zwischen Ministerium, Parlament und Wirtschaft auch in anderen Teilgebieten der Gesundheitspolitik viel häufiger stattfinden – ganz besonders im Bereich der Digitalisierung.
Auch Digitalisierung könnte mehr Dialog vertragen
Was uns bei der Digitalisierung fehlt, ist unsere gemeinsame Vision eines digitalisierten Gesundheitswesens: Welche sind – fernab der Tagespolitik – die großen Fünf- oder Zehn-Jahresziele? Bei welchen Akteuren soll die Zuständigkeit liegen, sie in die Tat umzusetzen? Wer kontrolliert die Zielerreichung? Wer priorisiert all die ambitionierten Projekte, die wir uns vornehmen? Alles gleichzeitig anzupacken ist im Bereich E-Health gut gemeint, erfahrungsgemäß führt es aber zu Parallelstrukturen und unklaren Verantwortlichkeiten.
An einem nationalen E-Health-Strategieprozess werden wir also kaum vorbeikommen. Digitalisierung kann nur gemeinsam erfolgreich gestaltet werden und nicht im Alleingang einzelner Akteure. Stattdessen ist kompetente Expertise aus allen Bereichen einzubinden. Dabei täte es uns gut, wenn wir die genannten Fragen in einem ähnlichen Format diskutieren würden, wie wir es bei Arzneimittelthemen mit dem Pharmadialog tun.
Der Weg zu mehr Strategiekultur
Aus diesem Antrieb habe ich im Oktober 2018 einen E-Healthdialog im Bundestag initiiert – mit Selbstverwaltungspartnern, Fachverbänden, der Patientenselbsthilfe und Vertretern anderer Ministerien und der Wissenschaft. Ein Anschlusstreffen im BMG hat es bereits gegeben, weitere sollen folgen. Gelingt uns diese Fortführung in Form eines kontinuierlichen Austauschprozesses, können wir bei der Digitalisierung – ähnlich wie in der Arzneimittelpolitik – den Weg zu mehr Strategiekultur einschlagen.
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