Gute Verordnungspraxis

Medikationsfehler vermeiden

Rund 250.000 Krankenhauseinweisungen jährlich sind auf vermeidbare Medikationsfehler zurückzuführen.* Die Handlungsempfehlung „Gute Verordnungspraxis“ des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) e. V. soll dazu beitragen, Patienten und Mitarbeitende im Gesundheitswesen vor vermeidbaren Fehlern bei der Medikation zu schützen.

Illustration: Arzt und Patient Medikationsfehler vermeiden

Eine 40-jährige Patientin wird neu auf einer Krankenhausstation aufgenommen. Da sie ihre Medikamente, die sie täglich benötigt, nicht bei sich hat, holt die Krankenschwester eine kleine Dose mit fünf Tabletten zu je 100 Milligramm von einer Nachbarstation. Beschriftet ist die Dose mit „Arzneimittel X, 100 mg“. Am nächsten Tag interpretiert eine andere Pflegekraft die Aufschrift so, dass es sich um fünf Tabletten à 20 Milligramm, also insgesamt 100 Milligramm, handelt, und verabreichte alle Tabletten auf einmal. Die Patientin erleidet durch die Überdosierung schwere gesundheitliche Folgen.

Fehler im Medikationsprozess sind keine Seltenheit. Das beschriebene Beispiel ist zwar fiktiv, aber keineswegs unwahrscheinlich und so oder so ähnlich schon unzählige Male in der medizinischen Praxis vorgekommen. Falsche Interpretationen, Verwechslungen, Übertragungsfehler: So wird aus Cotrimoxazol schnell mal Clotrimazol, aus Chinin Chinidin oder durch Zahlendreher eine falsche Dosis verabreicht. Dabei sind Medikationsfehler durchaus nicht immer auf fehlerhafte Verordnungen zurückzuführen. Dennoch stellt die Verordnungspraxis einen wesentlichen Bestandteil der Arzneimitteltherapie dar und erweist sich dabei immer wieder als fehleranfällig.

Die Folgen einer fehlerhaften Verordnungspraxis sind vielfältig: So kann es zu unerwünschten Wechselwirkungen, zur Unwirksamkeit der Medikamente und zur Überdosierung mit Folgen wie Krankenhauseinweisungen oder im schlimmsten Fall sogar dem Tod kommen. Auch für das medizinische Personal können Medikationsfehler belastend sein und dazu führen, dass sich Ärzte oder Pflegekräfte bei aufgetretenen Patientenschäden Vorwürfe machen. Schließlich geschehen Medikationsfehler nie aus Absicht, sondern entweder aus Zeitmangel oder aufgrund fehlender klarer Regelungen. Hier möchte die Handlungsempfehlung „Gute Verordnungspraxis“ eine Lücke schließen, Patienten mehr Sicherheit und Beschäftigen im Gesundheitswesen eine Unterstützung an die Hand geben, um vermeidbare Medikationsfehler gar nicht erst auftreten zu lassen.

Merkmale einer guten Verordnungspraxis

Dass es überhaupt zu Fehlern bei Verordnungen kommen kann, hat unterschiedliche Gründe. So kann die Dokumentation der Arzneimitteltherapie missverständlich sein oder Lücken aufweisen. Auch die Umsetzung durch Apotheker, Pflegepersonal oder den Patienten selbst kann zu Fehlern führen. Eine gute Verordnungspraxis ist daher so gestaltet, dass weiterbehandelnde Ärzte, Apotheker, Pflegekräfte, aber auch die Patienten der Verordnung ganz genau entnehmen können, welches Medikament wie lange, in welcher Dosierung und auf welche Weise angewendet werden soll.

Zu den zentralen Punkten der Handlungsempfehlung gehören unter anderem Anforderungen an die Lesbarkeit und Verständlichkeit, zum Beispiel durch die Vermeidung von Abkürzungen, sowie Hinweise zur vollständigen Beschreibung des Arzneimittels selbst, der geplanten Anwendung und der gewählten Dosierung einschließlich der erforderlichen Angaben bei einer Bedarfsmedikation.

Eine Verordnung sollte auch alle medikationsrelevanten Patientenangaben enthalten. Dazu gehören Allergien und Unverträglichkeiten, Alter, Gewicht, Organfunktion und bereits bestehende Medikation. In der medizinischen Praxis erleben wir, dass gerade Allergien eine häufige Ursache für Arzneimittelkomplikationen sind. Sie sollten daher immer dokumentiert werden – einschließlich der Symptombeschreibung und des Schweregrads. Auch die Lesbarkeit ist nach wie vor ein Problem, wenn auch ein immer seltener werdendes. Dennoch erstellen einige Ärzte nach wie vor ihre medizinischen Dokumentationen handschriftlich, wodurch es zu Fehlinterpretationen kommen kann. Verordnungen sollten daher immer computergestützt erfolgen.

Die Handlungsempfehlung für „Gute Verordnungspraxis“ des APS richtet sich an Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Pflegekräfte, medizinische Fachangestellte sowie an Institutionen und Krankenhäuser, die beispielsweise Standards zur Dokumentation der Arzneimitteltherapie für das eigene Haus erarbeiten. Sie bezieht sich nicht auf Sonderfälle wie die Verordnung von Betäubungsmitteln, den Off-Label-Use von Medikamenten oder Verordnungen für spezielle Risikopatienten oder -situationen.

Wie alle Handlungsempfehlungen ist auch die „Gute Verordnungspraxis“ – im Gegensatz zu Richtlinien – nicht verbindlich und hat keinerlei juristische Implikationen. Allerdings haben die Patienten laut Patientenrechtegesetz Anspruch auf eine verständliche Erläuterung insbesondere der Diagnose und der zu ergreifenden Maßnahmen.

Aufklärung vor der Einnahme

Zudem sollten Patienten über schwere Nebenwirkungen durch die ihnen verordneten Medikamente informiert werden. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit sieht es als unerlässlich an, dass Patienten vor der Einnahme von neuen Medikamenten genauso aufgeklärt werden wie vor Operationen – denn die Auswirkungen können durchaus ähnlich sein.

Eine weitere Forderung sollte im Grunde längst schon umgesetzter Standard in der medizinischen Praxis sein: Jede schriftliche Dokumentation von Verordnungen sollte so erfolgen, dass die Patienten sowie die weiterbehandelnden Ärzte Zugriff auf diese Informationen haben. Mit der Einführung der elektronischen Patientenakte verbindet sich für das APS die Hoffnung, dass dies nicht mehr lange Zukunftsmusik bleibt.

*Quelle: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP: http://dipbt.bundestag.de/dip21/ btd/19/008/1900849.pdf

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