Der Kaiserschnitt ist weltweit die am häufigsten bei Frauen durchgeführte Operation. Eine neue S3-Leitlinie thematisiert Risiken und gibt Empfehlungen für die Beratung und Begleitung rund um die Geburt. So nutzbringend ein Kaiserschnitt sein kann, er wird aber zu häufig angewendet – und er kann schaden: Mutter und Kind.
Seit Jahren wird über die steigende Kaiserschnitt-Rate in Deutschland und weltweit diskutiert. Jetzt wurde erstmals eine S3-Leitlinie zum Kaiserschnitt erstellt (1). Anstoß hierfür gab ein Fachtag des Arbeitskreises Frauengesundheit (AKF e. V.), Deutschlands größter unabhängiger Frauengesundheitsorganisation (2). Der hörbare Appell und der Druck der Frauen zeigte Wirkung: Unter Leitung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) wirkten Mitglieder von 23 Fachgesellschaften an der Leitlinie mit, darunter ärztliche Expertinnen und Experten für Geburtshilfe, Kinderheilkunde und Anästhesie sowie Hebammenverbände aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Während S1- und S2-Leitlinien nur Empfehlungen geben – und für den Kaiserschnitt gab es überhaupt keine gültige mehr –, orientiert sich eine S3-Leitlinie streng an wissenschaftlichen Studien und gibt in höchster Qualität Orientierung zu Beratung, Durchführung und Indikationen.
In Deutschland stieg die Zahl der Kaiserschnitte während der letzten 30 Jahre von 15 auf über 30 Prozent, mit großen regionalen Unterschieden zwischen zehn und bis zu über 60 Prozent (3). Die Mütter- und Kindersterblichkeit sank dadurch nicht. Die Analyse zeigt, dass Unterschiede in den Kaiserschnitt-Raten weniger medizinische als organisatorische Gründe haben. So haben Kliniken mit geringerer Geburtenzahl und weniger Personal oft höhere Kaiserschnitt-Raten, während größere Kliniken mit ausreichend Personal weniger Kaiserschnitte durchführen. Frauen, die während der Geburt konsequent von einer Hebamme betreut werden, haben weniger Komplikationen und seltener einen ungeplanten Kaiserschnitt.
Auch Geld spielt eine Rolle. Da Kliniken in Deutschland wirtschaftlich arbeiten müssen und die Geburtshilfe insgesamt schlecht vergütet wird, gibt es einen Anreiz, durch geplante Kaiserschnitt-Geburten die Belastung zu verringern und den Erlös zu steigern.
Blick auf andere Länder
In Skandinavien liegen die Kaiserschnitt-Raten bei um die 15 Prozent, die Kinder- und Müttersterblichkeit ist noch geringer als in Deutschland. Hier gibt es nur große Kliniken mit über 1.000 Geburten und Personal, das regelmäßig geschult wird. Da die Kliniken in kommunaler Hand sind, müssen sie keine Gewinne erwirtschaften. Im Gegensatz dazu steigen in Ländern mit hohem privatem Anteil im Gesundheitswesen die Zahlen. In türkischen und syrischen Privatkliniken finden bis zu 90 Prozent der Geburten per Kaiserschnitt statt.
Beratung oft unzureichend
Mehrere Kapitel der Leitlinie betreffen die Beratung von Schwangeren. Viele Frauen erhalten medizinisch nicht korrekte Informationen zum Kaiserschnitt. So ist die Vorstellung, ein Kaiserschnitt sei für die Gesundheit des Kindes besser, da ihm der Geburtsstress erspart bleibe, falsch. Ebenso gibt es viele Erkrankungen der Mutter – zum Beispiel Infektionen, aber auch Augen- und Wirbelsäulenerkrankungen –, bei der ein Kaiserschnitt die Gesundheit von Mutter und Kind nicht verbessert. Auch die Folgen des Kaiserschnitts für weitere Schwangerschaften werden häufig unterschätzt. So steigt das Risiko für Komplikationen durch einen falsch sitzenden Mutterkuchen und das Risiko des kindlichen Todes im Mutterleib an. Manche Frauen werden nach einem Kaiserschnitt ungewollt nicht mehr schwanger.
Die häufigste Indikation zum Kaiserschnitt ist in Deutschland mittlerweile „Kaiserschnitt bei der vorigen Geburt“. Während früher die Regel „einmal Kaiserschnitt, immer Kaiserschnitt“ galt, zeigt die Leitlinie, dass das Risiko einer natürlichen Geburt nach Kaiserschnitt geringer ist als vermutet.
Für viele Situationen fehlen wissenschaftlich fundierte Daten, da an Schwangeren keine Studien durchgeführt werden, die den hohen Qualitätskriterien der evidenzbasierten Medizin genügen. Die Auswertung erlaubt aber Empfehlungen für besondere Situationen, zum Beispiel für die Geburt aus Steißlage. Die Daten zeigen keinen automatischen Vorteil des Kaiserschnitts für die Gesundheit der Kinder. Bei günstigen Voraussetzungen und Begleitung durch eine erfahrene Geburtshelferin ist die natürliche Geburt aus Beckenendlage sicher.
Hier wird ein Problem deutlich: Durch die hohe Zahl an Kaiserschnittgeburten und den Personalmangel haben viele Kliniken zu wenig Erfahrung in der Begleitung schwieriger Geburten. Die Empfehlung der Leitlinie, Schwangere mit Risiken frühzeitig an Kliniken mit entsprechender Erfahrung zu überweisen, müsste konsequent umgesetzt werden.
Auch zur Durchführung der Operation und zur Behandlung danach gibt die Leitlinie viele wichtige Hinweise. Ein geplanter Kaiserschnitt sollte außer in Ausnahmefällen nicht früher als eine Woche vor dem Geburtstermin stattfinden. Kinder, die früher „geholt“ werden, leiden häufiger unter Atemproblemen und müssen auf eine Kinder-intensivstation verlegt werden. Auch das Stillen kommt nach einem Kaiserschnitt häufig erschwert in Gang. Und eine gute Betreuung der Frauen im Wochenbett hilft Müttern, das Trauma eines nicht geplanten Kaiserschnitts zu überwinden.
Die beste Leitlinie nützt nichts, wenn sie nicht angewendet wird. Die Implementierung sollte durch verpflichtende Qualitätssicherung begleitet werden. Auch jetzt schon ist die Kaiserschnitt-Rate ein Qualitätsindikator in der Geburtshilfe (4). Allerdings wird das Maß für „gute Qualität“ am Durchschnittswert über alle Kliniken festgemacht und bietet daher kaum einen Anreiz zu einer Qualitätsverbesserung der Indikationsstellung. Die neue S3-Leitlinie Kaiserschnitt könnte – insbesondere in der Zusammenschau mit der noch zum Ende des Jahres ebenfalls erscheinenden S3-Leitlinie zur vaginalen Geburt – Anlass für eine grundlegende Überarbeitung des inzwischen veralteten Qualitätsverfahrens zur „Geburtshilfe“ sein, um damit der Umsetzung notwendiger Qualitätsverbesserungen weiteren Nachdruck zu verleihen. Das Nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ (5) weist den Weg.
(1) Leitlinie Sectio Caesarea: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/015- 084.html; (2) https://www.arbeitskreis-frauengesundheit.de/2014/06/20/fachtag-2014-zeit-zu-handeln-die-kaiserschnittrate-senken-die-normale-geburt-foerdenr/; (3) Berechnung aus den O/E-Werten der Bundesauswertungen Geburtshilfe (2016, 2017, 2018) – z. B. https://iqtig.org/downloads/auswertung/2018/16n1gebh/QSKH_16n1-GEBH_2018_BUAW_V02_2019-07-23.pdf; (4) IQTIG Bundesauswertungen Geburtshilfe: https://iqtig.org/qs-verfahren/peri/#recordingmodule37; (5) NGZ: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/publikationen/nationales-gesundheitsziel-gesundheit-rund-um-die-geburt-727604
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