„Gesundheit ist Ländersache!“ Den Satz hört man oft in Brüssel, wenn es um Gesundheitspolitik geht. Ganz richtig ist er nicht, denn auch hier gibt es eine Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union (EU) und den Mitgliedstaaten.
Die Zuständigkeit für die Gestaltung der Gesundheitssysteme liegt grundlegend bei den Mitgliedstaaten. Die EU unterstützt die Länder aber bei der Verwirklichung gemeinsamer Ziele, bündelt Ressourcen und erlässt EU-weit geltende Rechtsvorschriften für Gesundheitsprodukte und -dienste. In das Kerngeschäft der EU fallen beispielsweise das Medizinprodukterecht, die Zulassung von Arzneimitteln, aber auch das „Brot- und Butter-Geschäft“, die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit im europäischen Raum.
Europäische Gesundheitsgesetzgebung findet aufgrund des Subsidiaritätsprinzips prinzipiell da statt, wo die Ziele durch nationale Regelungen allein nicht erreicht werden können. Die klassischen Felder liegen in der Prävention und Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren, in Fragen der Patientenmobilität und der Freizügigkeit von Ärzten und Gesundheitspersonal, aber auch beim Gesundheitsschutz.
Folgt man dem Wunsch einer Reihe von politischen Akteuren in Brüssel, aber auch in manchen EU-Mitgliedstaaten, soll die europäische Gesundheitspolitik künftig stärker werden. Hier spielen auch die frischen Eindrücke der Covid-19-Pandemie eine Rolle.
Das politische Zusammenspiel auf EU-Ebene wird durch drei zentrale Institutionen bestimmt: durch die Europäische Kommission, das Europäische Parlament (EP) und den Rat der Europäischen Union. Die EU ist darüber hinaus in eine internationale Ordnung eingebunden, die sich unter anderem in der Zusammenarbeit mit weltweiten Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausdrückt.
Europäische Kommission
Die Europäische Kommission ist das Exekutivorgan, sozusagen die Regierung der EU. Durch das alleinige Initiativrecht kann die EU-Kommission Vorschläge für Rechtsvorschriften erarbeiten, umsetzen und deren Einhaltung kontrollieren. Außerdem verwaltet sie den Haushalt und setzt politische Strategien und Programme, wie den Europäischen Krebsplan oder das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont Europa“ um.
Gesundheitskommissarin ist Stella Kyriakides aus Zypern. Die ihr zur Seite stehende Generaldirektion für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (GD SANTE) arbeitet daran, die Gesundheit der Menschen in der EU zu verbessern, zu schützen und die Gesundheitssysteme zu fördern. Sie will sicherstellen, dass alle in der EU vermarkteten Lebensmittel, Futtermittel und Arzneimittel sicher sind und EU-Standards weltweit gefördert werden.
Neben der GD SANTE sind auch andere Generaldirektionen in die Gesundheitspolitik eingebunden. So verwaltet die GD RTD (Forschung und Innovation) das gesamte EU-Forschungsbudget, das auch biomedizinische und gesundheitsbezogene Forschung finanziert. Die GD CONNECT (Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien) gestaltet maßgeblich Entscheidungsprozesse zu Digitalisierung, E-Health, Health Technology Assessment (HTA) und Künstliche Intelligenz. Die GD EMPL (Beschäftigung, Soziales und Integration) bearbeitet die Verordnungen für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Den EU-Bürgerinnen und -Bürgern sowie ihren Familienangehörigen wird garantiert, dass ihre Sozial- und Familienleistungen gezahlt werden und sie hinsichtlich der Leistungen bei Krankheit abgesichert sind, wenn sie in ein anderes EU-Land ziehen.
Europäisches Parlament
Im Mai 2019 wurde das EP zum neunten Mal direkt gewählt. Es kann zusammen mit dem Rat Legislativvorschläge annehmen oder ändern, parlamentarische Kontrolle ausüben und besitzt das Haushaltsrecht. In 20 Ausschüssen für die verschiedenen Politikbereiche werden Rechtsvorschriften vorbereitet. Der ENVI-Ausschuss (Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit) ist derzeit mit 81 Mitgliedern der größte Ausschuss des EP und federführend für Gesundheitsthemen. Den Vorsitz des ENVI-Ausschusses hat derzeit Pascal Canfin von der Fraktion Renew Europe aus Frankreich inne. Im Gesundheitsbereich ist der ENVI-Ausschuss insbesondere zuständig für Programme und spezifische Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit oder für pharmazeutische und kosmetische Erzeugnisse sowie Medizinprodukte. Die jüngste Verschiebung des Inkrafttretens der neuen Medizinprodukteverordnung wurde hier genauso verhandelt wie die im Juli beschlossene Entschließung zu Engpässen bei der Arzneimittelversorgung.
Natürlich spielt Gesundheit auch in die Arbeit anderer Ausschüsse mit hinein. Wichtig ist immer, die Berichterstatterinnen oder Berichterstatter für die relevanten Themen („Dossiers“) zu kennen. Diese sind Abgeordnete, die das Thema durch den politischen Prozess tragen und die parlamentsseitige Meinungsbildung unterstützen. Für das der EU-Kommission so wichtige Anliegen der Krebsbekämpfung wird sich im September sogar ein Sonderausschuss konstituieren.
Rat der Europäischen Union
Der Rat der Europäischen Union wird häufig auch „Ministerrat“ genannt. Er besteht aus den jeweiligen Fachministerinnen und Fachministern der EU-Mitgliedstaaten. Der Rat der EU gestaltet und verabschiedet gemeinsam mit dem EP EU-Rechtsvorschriften, koordiniert politische Maßnahmen der Mitgliedstaaten und entwickelt die Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Der Vorsitz wechselt halbjährlich mit dem EU-Ratsvorsitz, daher haben derzeit die deutschen Bundesministerinnen und Bundesminister den Vorsitz inne. EU-Legislativvorhaben im Gesundheitsbereich werden in der Regel in den Ratsarbeitsgruppen „Öffentliche Gesundheit“ und „Arzneimittel und Medizinprodukte“ beraten. Die Ergebnisse beziehungsweise noch zu klärende Punkte aus beiden Gremien werden über den Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV1) dem Rat der für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz zuständigen Ministerinnen und Minister („EPSCO-Rat“) zur endgültigen Beschlussfassung vorgelegt. Umgekehrt berichtet die Ständige Vertretung der Bundesrepublik bei der EU in Brüssel in sogenannten „D-Briefings“ über die Diskussionen im Rat sowie den Fortgang der Beratungen in den zuständigen Ratsarbeitsgruppen. Für die Beobachter sind diese Termine wertvoll und tragen zur politischen Einordnung bei. Referatsleiter für Gesundheit bei der Ständigen Vertretung ist Ortwin Schulte (Interview).
WHO und Agenturen als weitere Akteure
Auf globaler Ebene koordiniert die WHO als Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf die weltweiten Anstrengungen für die öffentliche Gesundheit, über gemeinsame Gesundheitsziele oder die Nutzbarmachung von Forschungsergebnissen. Die WHO bringt sich aber auch operativ ein, zum Beispiel über den Aufbau von Gesundheitssystemen in Entwicklungsländern oder Impfaktionen. Ihr Büro in Kopenhagen arbeitet für die Europäische Region der WHO mit ihren 53 Mitgliedstaaten. Ihm angeschlossen ist das Europäische Zentrum für Umwelt und Gesundheit (ECEH) in Bonn. Dieses fungiert als wissenschaftliches Kompetenzzentrum des WHO-Regionalbüros für Europa.
Weiterhin gibt es eine Reihe von Agenturen, die an die Generaldirektionen der Kommission angeschlossen sind. Ihre Errichtung erfolgt als Rechtsakt der EU-Organe. Als eine Art „nachgeordnete Behörde“ haben sie auch operative Aufgaben. Exemplarisch werden nachfolgend vier Agenturen vorgestellt.
EMA: Überwachung von Arzneimitteln
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) koordiniert die Bewertung und Überwachung von Arzneimitteln innerhalb der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Anhand ihrer Bewertung entscheidet die Europäische Kommission, ob ein Arzneimittel zur Vermarktung in der EU zugelassen wird. Die EMA wurde 1995 gegründet und hat ihren Sitz in Amsterdam.
ECDC: Abwehr gegen Infektionskrankheiten
Kernaufgabe des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ist die Stärkung der europäischen Abwehr gegen Infektionskrankheiten. Die Analyse und Auswertung von Daten aus EU-Ländern über 52 übertragbare Krankheiten erfolgt mithilfe des europäischen Überwachungssystems. Das ECDC wurde 2005 gegründet und hat seinen Standort in Stockholm.
EMCDDA: Informationen über Drogen und Drogensucht
Die Hauptaufgabe der EMCDDA (Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht) ist die Bereitstellung von gesicherten Informationen über Drogen und Drogensucht. Diese Informationen dienen der EU und den Mitgliedstaaten als Faktengrundlage für politische Entscheidungen und Initiativen zur Bewältigung des Drogenproblems. 1993 wurde die Agentur mit Sitz in Lissabon gegründet.
EU-OSHA: Für mehr Gesundheit am Arbeitsplatz
Die EU-OSHA (Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz) erfasst, analysiert und verbreitet Informationen für Beschäftigte im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Die Agentur fördert eine Kultur der Risikoprävention zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Europa und tritt als Vermittler auf. Sie wurde 1994 gegründet und hat ihren Sitz in Bilbao.
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Interview Ortwin Schulte (Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union)
„In Krisenzeiten ist die EU besonders stark“
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