Grosse Koalition

Inhaltlich sind die Weichen gestellt

CDU, CSU und SPD haben am 7. Februar 2018 ihre Koalitionsabsprachen präsentiert. Der CSU-Parteivorstand hat dem Koalitionsvertrag am Folgetag zugestimmt, die CDU muss das Ergebnis am 26. Februar auf einem ordentlichen Parteitag zur Diskussion stellen. Die SPD-Basis kann bis zum 2. März Mitternacht ihr Votum zum Koalitionsvertrag abgeben. Es bleibt zu hoffen, dass anschließend eine handlungsfähige Regierung gebildet werden kann. Das Gesundheitswesen würde in einer neuen großen Koalition (GroKo) sicherlich nicht billiger, wohl aber ein Stück gerechter.

Der zentrale gesundheitspolitische Baustein ist die Rückkehr zur Parität in der Krankenversicherung zum 1. Januar 2019. Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) macht sich seit Jahren für eine stärker paritätische Finanzierung stark; jetzt soll neben dem allgemeinen Beitragssatz auch der bisherige Zusatzbeitragssatz von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hälftig finanziert werden. Für die Versicherten führt dies zu einer Entlastung von nahezu sieben Milliarden Euro im Jahr oder im Durchschnitt 0,45 Beitragssatzpunkten. Die Zuschüsse zur Krankenversicherung für die Bezieher von Arbeitslosengeld (ALG) II sollen schrittweise bis zur Kostendeckung angehoben werden. Die Entlastungswirkungen für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hängen davon ab, wie schnell und umfassend dies umgesetzt wird. Zu Beitragseinbußen könnte es bei der Gruppe der Geringverdiener kommen. Diese sollen durch eine Ausweitung der Midijob-Regelung von Sozialbeiträgen über das bereits bestehende Maß hinaus entlastet werden. Für „Kleine Selbstständige“ soll die Mindestbemessungsgrundlage auf 1.150 Euro reduziert werden. Das entspricht ungefähr dem 80. Teil der monatlichen Bezugsgröße. Der vdek hatte zu der Beitragsproblematik bei Selbstständigen mit geringen Einkünften bereits einen ähnlich gelagerten Vorschlag unterbreitet; mit dem gefundenen Ergebnis kann man zufrieden sein.

Fairer Wettbewerb, starke Selbstverwaltung

Die Koalitionsverhandler haben sich dafür ausgesprochen, die Selbstverwaltung zu stärken und die Sozialwahlen zu modernisieren. Dies entspricht den Forderungen des vdek. Auf dem richtigen Weg sind sie auch beim Kassenwettbewerb. Die Koalition will den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) mit dem Ziel eines fairen Wettbewerbs und dem Schutz vor Manipulationen weiterentwickeln. Der vdek hatte immer wieder auf die Benachteiligung ganzer Kassensysteme im Wettbewerb durch die bestehenden Unwuchten des RSA hingewiesen. Es ist richtig, dies anzugehen und den RSA künftig regelmäßig gutachterlich überprüfen zu lassen. Zur Beschleunigung der Verfahren sollen der Aufgabenkatalog und die Ablaufstrukturen beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gestrafft werden. Weiterhin soll die Unabhängigkeit der selbstverwalteten Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) gewährleistet und eine einheitliche Aufgabenwahrnehmung sichergestellt werden. Hierzu gibt es bundesweite Richtlinien und Arbeitsanleitungen; gravierende Defizite sind für den vdek nicht zu erkennen. Insofern besteht kein Handlungsbedarf. Die Unabhängigkeit der MDK ist heute schon gegeben.

Keine Bürgerversicherung, aber längere Sprechstunden

Zu einer Bürgerversicherung wird es nicht kommen. Dafür soll sich eine wissenschaftliche Kommission bis Ende 2019 mit der Honorarangleichung zwischen privater Krankenversicherung (PKV) und GKV beschäftigen. Danach soll entschieden werden, ob deren Vorschläge umgesetzt werden. Das ist auch gut so. Ein politischer Schnellschuss hätte im Zweifel dazu geführt, die GKV-Versicherten einseitig über höhere Honorarzahlungen zu belasten. Anstelle dessen haben sich die Verhandlungspartner mit dem „Sofortprogramm zur Verbesserung der Leistungen und des Zugangs zur Versorgung für GKV-Versicherte“ dafür entschieden, das Problem der Wartezeiten in den Arztpraxen bei seiner Wurzel zu packen. So sollen die Öffnungszeiten der Terminservicestellen bei den Kassenärztlichen Vereinig ungen (KV) verbindlich vorgeschrieben und ihr Geltungsbereich auf Haus- und Kinderärzte ausgeweitet werden. Daneben wird die Mindestöffnungszeit von Arztpraxen von 20 auf 25 Stunden heraufgesetzt. Beide Maßnahmen werden vom vdek ausdrücklich begrüßt.

Gute medizinische Versorgung sicherstellen

Der Entwurf des Koalitionsvertrages bekennt sich zu einer guten, flächendeckenden medizinischen Versorgung. Zur Stärkung der Apotheken soll auf besonderen Wunsch der Union der Versandhandel mit Fertigarzneimitteln verboten werden. Dies erscheint rückwärtsgewandt; schließlich stellt der Versandhandel eine sinnvolle Versorgungsoption dar, die von vielen genutzt wird – nicht nur im Arzneimittelbereich. Im Weiteren sollen die Strukturfonds der KV erhöht, verbindlicher ausgestaltet und im Verwendungszweck flexibilisiert werden. Zulassungssperren in ländlichen und strukturschwachen Gebieten sollen entfallen, die KV mehr Möglichkeiten für Eigeneinrichtungen erhalten. Der „Masterplan Medizinstudium 2020“ soll in Bezug auf den Studienzugang, die Stärkung der Allgemeinmedizin und die Landarztquote zügig umgesetzt werden. Überhaupt soll den Gesundheitsberufen mehr Verantwortung übertragen werden.

Ärzte, die in ländlichen Regionen tätig sind, Hausärzte und die „sprechende Medizin“ sollen besser vergütet werden. Die Länder bekommen ein Mitberatungs- und Antragsrecht in den Zulassungsausschüssen der KV. Der Innovationsfonds soll mit einem Volumen von 200 Millionen Euro jährlich fortgesetzt werden und auch dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ermöglichen, eigene Modellprojekte einzubringen. Bislang sind richtigerweise Modellprojekte der Ministerien aus den Ressorthaushalten finanziert worden. Etwas überraschend enthält der Entwurf des Koalitionsvertrages auch eine Erhöhung der Festzuschüsse für Zahnersatz von 50 auf 60 Prozent. Sinnvoll wäre es gewesen, zunächst Transparenz über die tatsächlichen Kosten der Versorgung mit Zahnersatz herzustellen, welche die Versicherten auf Basis privater Mehrkostenvereinbarungen mit den Zahnärzten tragen, um gezielt finanziellen Überforderungen der Versicherten entgegenzuwirken.

Bessere Pflege in Krankenhäusern

Die Investitionen in den Krankenhäusern sollen erhöht werden. Dazu hält der Koalitionsvertrag nicht mehr bereit als die Fortführung des Strukturfonds beim Bundesversicherungsamt (BVA), der aus Mitteln des Gesundheitsfonds gespeist wird. Der Fonds hilft zwar, notwendige Strukturbereinigungen einzuleiten; er ersetzt aber nicht die mangelnde Investitionsförderung durch die Länder. Weiter sollen verbindliche Personalbemessungsinstrumente eingeführt und die Personaluntergrenzen im Krankenhaus auf alle bettenführenden Abteilungen erweitert werden. Die Pflegepersonalkosten sollen aus den Fallpauschalen (DRG) herausgelöst werden mit Umstellung auf eine Pflegepersonalkostenvergütung.

Diese Maßnahmen könnten Transparenz über die Pflegeaufwände herstellen und dazu beitragen, dass die Pflege auch am Bett ankommt – sofern sie nicht missbraucht werden, um das Selbstkostendeckungsprinzip durch die Hintertür wieder einzuführen. Die geplante vollständige Refinanzierung der Tarifsteigerungen könnte zudem verführen, Vergütungsforderungen „durchzureichen“. In der Krankenhausplanung soll die Zentrenbildung fortgesetzt werden und damit der in der letzten Krankenhausreform eingeschlagene Weg zu mehr Qualität in der Versorgung. In ländlichen Gebieten sollen die Krankenhäuser zusätzliche Aufgaben übernehmen. Das Hygienesonderprogramm wird abermals verlängert. Solange aber die Krankenhäuser keine Transparenz über die Ursachen fehlender Hygiene schaffen, können keine wirksamen Maßnahmen zur Beseitigung ergriffen werden. Die Versicherten müssten über die Hygieneverhältnisse in den Krankenhäusern informiert werden, damit sie sich vor Wahl eines Krankenhauses daran orientieren können.

Notfall wird sektorenübergreifend erprobt

Zur Weiterentwicklung der sektorenübergreifenden Versorgung soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Einbeziehung der Regierungsfraktionen des Bundestages Vorschläge erarbeiten. Ein konkreter Einstieg ist bei der Notfallversorgung geplant. Landeskrankenhausgesellschaften und KV sollen in gemeinsamer Finanzierungsverantwortung die Versorgung sicherstellen. Handlungsempfehlungen zur Neugestaltung der Notfallversorgung hatte der vdek bereits im September 2016 durch eine gutachterliche Analyse gegeben.

Pflege genießt einen besonderen Stellenwert

Für die Pflege soll ein Sofortprogramm aufgelegt werden, um zusätzliche Stellen in der Alten- und Krankenpflege zu fördern, für die flächendeckende Anwendung von Tarifverträgen Sorge zu tragen und um 8.000 neue Fachkraftstellen für die medizinische Behandlungspflege in Pflegeeinrichtungen zu schaffen. Nach dem Prinzip der „Verschiebebahnhöfe“ sollen diese Stellen aber durch die GKV finanziert werden. Zur Bekämpfung der Personalknappheit soll eine Ausbildungsoffensive erfolgen, ein Wiedereinstiegsprogramm entwickelt werden, Anreize für die Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit gesetzt werden, die Gesundheitsvorsorge für die Beschäftigten verbessert und Pflegehelfer zu Pflegefachkräften qualifiziert werden. Auch eine konzertierte Aktion Altenpflege ist angedacht zur Unterstützung der pflegenden Angehörigen, insbesondere durch Weiterentwicklung der Angebote der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie der Tages- und Nachtpflege und einen verbesserten Zugang zu Rehabilitationsleistungen. Eine abschließende Bewertung des Maßnahmenbündels ist erst nach Vorlage konkreter Umsetzungsvorschläge möglich. Das Ziel, eine gute Pflege nachhaltig personell zu sichern, wird vom vdek aber uneingeschränkt mitgetragen. Angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt ist dies eine anspruchsvolle Aufgabe. Zielführend erscheint, gesetzlich dafür Sorge zu tragen, dass die Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen.

Prävention

Für die Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes von 2015 sollen Eckpunkte erarbeitet werden. Es soll auch geprüft werden, ob ein Patientenentschädigungsfonds in den Fällen helfen kann, wo bestehende Haftungsregelungen nicht greifen. Hier steht ein Modell im Raum, das vom Hamburger Senat forciert wird. Im Weiteren sollen die Impfquoten verbessert und ein Nationales Gesundheitsportal aufgebaut werden, das Informationen über die Strukturen des Gesundheitswesens und medizinische Fragestellungen bereithält. Gut ist, dass sich eine neue große Koalition für die Reduzierung des Antibiotikaverbrauchs und die Verhinderung von Antibiotikaresistenzen einsetzen will. Dieses Ziel wird vom vdek, der sich hier seinerseits stark engagiert, ausdrücklich unterstützt. Der öffentliche Gesundheitsdienst soll gestärkt werden. Das ist überfällig.

Digitalisierung erfordert höchste Priorität

Die Telematikinfrastruktur soll ausgebaut, die Patientenakte für alle Versicherten eingeführt, neue Zulassungswege für digitale Anwendungen geschaffen und die Interoperabilität hergestellt werden. Dies alles ist bereits angestoßen worden. Gut ist, dass die GKV mit ihrer Forderung durchgedrungen ist, das Fernbehandlungsverbot zu lockern. Das E-Health-Gesetz soll anwendungsbezogen überarbeitet werden, künftig der Impfpass, der Mutterpass und das Untersuchungsheft digital gespeichert und das Zahnbonusheft digital verwaltet werden. Verordnungen sollen ohne Arztbesuch digital vergeben werden können. Bereits im Koalitionsvertrag von 2013 war der flächendeckende Ausbau des Leitungsnetzes bis 2018 vereinbart worden. Dies ist für weite Teile von Deutschland noch nicht umgesetzt. Betroffen sind hiervon letztendlich auch viele Kommunikationspartner innerhalb des Gesundheitswesens mit ihren Praxen und Einrichtungen, genauso wie die Kassen mit ihren bestehenden und potenziell neuen Online-Versorgungsangeboten. Deshalb muss der technische Ausbau des Glasfasernetzes mit höchster Priorität erfolgen.

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