Patient*innen sind heute gefordert, sich zunehmend eigenverantwortlich für den Erhalt ihrer Gesundheit zu engagieren, als kritische Verbraucher*innen eine aktive Rolle zu übernehmen und an Entscheidungen der Gesundheitsversorgung partizipativ mitzuwirken. Dazu benötigen sie Unterstützung – auch aus dem Gesundheitswesen selbst.
Eine eigenverantwortliche Rolle können die Versicherten nur dann zu ihrem Vorteil und im Einklang mit ihren Bedürfnissen und Präferenzen ausgestalten, wenn sie sich als selbstbestimmte Patient*innen wahrnehmen und sich zur Entscheidungsfindung ermächtigt fühlen. Dies wiederum setzt eine entsprechende Informationsgrundlage und damit die Bereitschaft und Fähigkeit voraus, Gesundheitsinformationen zu suchen, sie sich aus geeigneten Quellen zu beschaffen, die Informationen zu verstehen, einzuordnen und kritisch zu reflektieren. Die Informationskompetenz als ein Kernelement der Gesundheitskompetenz wird damit zu einem Schlüsselfaktor des Empowerments von Patient*innen und Versicherten.
Wissensklüfte überwinden
Obwohl mittlerweile über zahlreiche Quellen eine Vielzahl an Gesundheitsinformationen zur Verfügung steht, profitieren nicht alle Bevölkerungsgruppen in gleicher Weise von den verfügbaren Wissensressourcen. Vielmehr sind die vorhandenen Wissensklüfte und informationellen Ungleichheiten mit sozialen und gesundheitlichen Ungleichheiten verknüpft, wie das Schaubild zeigt.
Im positiven Sinne heißt das aber auch, dass die Motivation zur Informationssuche und -aneignung, eine erfolgreiche Aufklärung und die Förderung von Informationskompetenzen einen Beitrag zur Reduktion sozialer und gesundheitlicher Benachteiligung entfalten beziehungsweise die gesundheitliche Chancengleichheit und Gesundheitsversorgung verbessern können.
Informationshandeln noch wenig im Forschungsfokus
Während das Augenmerk bislang stark auf Wissen, Motivation und Fähigkeit zur Gesundheitsinformationssuche (Gesundheitskompetenz) der Patient*innen gerichtet ist, werden das hiermit verbundene eigentliche Informations- und Kommunikationshandeln und der Prozess der Informationsverarbeitung bislang eher vernachlässigt. Noch ist beispielsweise nicht hinreichend geklärt, wie sich die Informationskompetenzen – in Abhängigkeit von den gesundheitlichen und sozialen Lagen sowie den situativen Alltagskontexten der einzelnen Personen – in der Informationsauswahl (nach Anbietern und Kanälen) niederschlagen.
Das Gesundheitsinformationshandeln ist ein überaus aktiver, komplexer und zielgerichteter Auswahl- und Verarbeitungsprozess. Die Selektionsentscheidung basiert auf den situativen Informations- und Unterstützungsbedürfnissen, die mit dem Ziel der Bewältigung von Unsicherheiten, der Deutung unbekannter oder problematischer Situationen oder des Ausgleichs eines subjektiven oder objektiven Aktualitäts- oder Wissensdefizits verbunden sind. Es kann somit auch als eine Bewältigungsstrategie verstanden werden.
Angesichts der hohen Bedeutung der (digitalen) Gesundheitskompetenz für das patient*innenseitige Empowerment und der beschriebenen Inhärenz der Informationskompetenz als ein Kernelement der Gesundheitskompetenz stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang die Gesundheitskompetenz mit dem Informationshandeln steht. Am Beispiel der Suche nach Gesundheitsinformationen im Internet und der Nutzung von Gesundheits-Apps haben Studien gezeigt, dass die digitale Gesundheitskompetenz und die eigene, aktuell therapiebedürftige Belastungssituation die stärksten Vorhersagevariablen des Informationshandelns darstellen. Die Gesundheitskompetenz wirkt mit anderen Faktoren zusammen, erweist sich aber als besonders einflussreich. Wir sollten also bedenken, dass die Gesundheitskompetenz nicht alleine, sondern letztlich erst über das Informations- und Kommunikationshandeln auf gesundheitsrelevante Entscheidungen und das Gesundheitsverhalten wirkt.
Herausforderungen für einzelne Akteursgruppen
Aus der hier nur schlaglichtartig skizzierten, recht komplexen Gemengelage heraus lassen sich einige Kommunikationsherausforderungen für unterschiedliche Akteursgruppen ableiten:
Jene, die Gesundheitsinformationen oder eHealth-/mHealth-Angebote bereitstellen, müssen diese an den Informationsbedarfen, -interessen, -kompetenzen und -routinen des Kommunikations- und Informationsverhaltens der Nutzer*innen ausrichten. Hierbei sollte bedacht werden, dass man die jeweilige Zielgruppe dort „abholen“ muss, wo sie eigentlich gar nicht gezielt nach Gesundheitsinformationen sucht, beispielsweise beim Online-Gaming oder in sozialen Online-Netzwerken. Neben der Evidenzbasierung und Unabhängigkeit der Inhalte sowie hohe Darstellungs- und Vermittlungsqualitäten sind vor allem die Niedrigschwelligkeit und Usability der Angebote, ihre Verständlichkeit, aber auch ihre Nutzungsfreundlichkeit oder der „Fun Factor“ von Bedeutung. Die qualitätsgesicherten Angebote müssen als vertrauenswürdig erkennbar und vor allem leicht auffindbar sein, was durch Suchmaschinenoptimierung oder andere Maßnahmen des (Online-)Marketings zu erreichen ist.
Die „Health Professionals“ – also das medizinische Fachpersonal und insbesondere die Ärzteschaft – sind gefordert, die Informationsbedürfnisse ihrer Patient*innen zu erkennen, sie in ihrem Informationshandeln zu unterstützen und konstruktiv mit Informationsdefiziten, etwaigen Fehlinformationen und der aus Expertensicht auch nicht angemessenen Informationssuche umzugehen. Um individuell bedarfsgerecht Orientierung und Navigationshilfe geben zu können, gilt es, die eigenen Kommunikations- und Digitalkompetenzen zu stärken. Hierzu gehört auch, die eigene Präsenz im Internet zu reflektieren.
Die Patient*innen und Versicherten sind ihrerseits gefordert, ihre partizipative und aktive Rolle anzunehmen und die eigenen Gesundheits- und Medienkompetenzen zu stärken, um sich selbstbestimmt, zielorientiert und souverän im „Informationsdschungel“ bewegen zu können. Doktor Google zu fragen, stellt dabei nicht per se ein Problem dar, aber es bedarf eines gewissen Hintergrundwissens und der Kompetenz zur Qualitätsbeurteilung von Informationen und einer Sensibilität für die Vertrauenswürdigkeit von Quellen.
Ohne entsprechende Rahmenbedingungen können die genannten Akteursgruppen ihren Herausforderungen jedoch nicht gerecht werden. So ist es letztlich auch eine sozial- und gesundheitspolitische Aufgabe, den rechtlichen Rahmen und Innovationsanreize für qualitätsgesicherte Gesundheitsinformationsangebote sowie den verlässlichen und bedarfsgerechten Zugang zu Gesundheitsinformationen zu schaffen. Ebenso müssen qualitätsgesicherte und unabhängige Angebote sowie entsprechende Förderprogramme zur Stärkung der Gesundheitskompetenz und insbesondere der Informationskompetenz langfristig finanziert sein. Angesichts der vielen noch offenen Fragen zum Zusammenwirken von Gesundheitskompetenz und Gesundheitsinformationsverhalten sollte zudem die wissenschaftliche Forschung in diesem Feld gezielt gefördert werden.
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