Die Bundesregierung nimmt die Hilfsmittelversorgung ins Visier. Und sie tut gut daran. In vielen Bereichen herrscht Intransparenz. Für die Qualität der Versorgung ist das alles andere als förderlich.
Am 31. August 2016 hat das Bundeskabinett das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) beschlossen und den Startschuss für das parlamentarische Verfahren gegeben. Kernanliegen des Gesetzentwurfes ist es, die Qualität der Hilfsmittelversorgung zu verbessern. Der Gesetzentwurf umfasst aber auch Regelungen zu Heilmitteln, zur Wundversorgung und zum Schutz von Sozialdaten. Der Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens wird für das Frühjahr 2017 angestrebt, das Inkrafttreten für März 2017. Das Gesetz hat eine Vorgeschichte: In den letzten Jahren gab es vereinzelt Auswüchse im Zusammenhang mit den seit dem Jahr 2009 möglichen Hilfsmittelausschreibungen; konkret bei aufsaugenden Inkontinenzmitteln und bei Rollstühlen. Der nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen gegebene Zwang zum Abschluss eines Vertrages mit dem wirtschaftlichsten Anbieter hat Dumping-Angebote ermöglicht, die zu einer schlechten Versorgung geführt und das Ausschreibungsverfahren insgesamt diskreditiert haben. Das ging so weit, dass eine große Ersatzkasse eine Ausschreibung abbrechen musste, weil unseriös niedrige Angebote unterbreitet wurden. Ein veraltetes Hilfsmittelverzeichnis hat Versorgungsstandards definiert, an denen zum Teil mehr als zwanzig Jahre Produktentwicklung vorbeigegangen sind. Im Zuge der Ausschreibungen ist ein intransparenter Aufzahlungsmarkt entstanden: Welcher Patient am Ende welches Produkt bekommen hat und in welcher Höhe Aufzahlungen zu leisten waren, wusste am Ende nur der Lieferant der Hilfsmittel.
Das hat die Politik zum Handeln bewegt. Im Juni des vergangenen Jahres wurden Vertreter der Leistungserbringer, der Krankenkassen und Patientenvertreter zu einem nicht-öffentlichen Expertengespräch vor den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages geladen. Im Dezember folgten Eckpunkte zur Weiterentwicklung der Qualität der Hilfsmittelversorgung, im Juni 2016 ein Referentenentwurf und mit ihm das Bekenntnis, die bestehenden Probleme in einem eigenständigen Gesetzesverfahren lösen zu wollen. Der Gesetzentwurf zum HHVG sieht im Hilfsmittelbereich konkret Folgendes vor:
Hilfsmittelverzeichnis
Das Hilfsmittelverzeichnis wird bis zum 31. Dezember 2018 aktualisiert und soll im Weiteren immer die neuen Entwicklungen widerspiegeln. Mit dieser Arbeit hat der das Hilfsmittelverzeichnis führende GKV-Spitzenverband bereits begonnen. Er hat außerdem bis Ende des nächsten Jahres in einer Verfahrensordnung die Aufnahme von neuen Hilfsmitteln sowie die Fortschreibungen zu regeln. Die Hersteller müssen regelmäßig nachweisen, dass ihre Produkte den Anforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses entsprechen. Ansonsten wird das Produkt aus dem Verzeichnis entfernt. Sofern die Regelungen greifen und künftig mit einem Hilfsmittelverzeichnis gearbeitet werden kann, das eine wirtschaftliche Versorgung auf angemessenem Standard definiert, ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Versorgung getan worden.
Ausschreibungen
Die Krankenkassen können und sollen bei ihren Hilfsmittelausschreibungen künftig die Qualität stärker berücksichtigen. Dazu sollen Qualitätskriterien in der Leistungsbeschreibung verankert werden. Neben dem Preis sollen zu mindestens 40 Prozent Qualitätsaspekte wie der Kundendienst, Erreichbarkeit, Anwendungshilfen und Ähnliches berücksichtigt werden. Die Richtung, die der Gesetzgeber hier einschlägt, stimmt. Allerdings ist die Regelung hinsichtlich ihrer Umsetzung unklar und erzeugt hohe Rechtsunsicherheiten. Denn eine objektive Bewertung von Qualitätskriterien dürfte in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten erzeugen und wird Vergabenachprüfungsverfahren provozieren. Nur eine Öffnungsklausel für zusätzliche Kriterien, die über die Standards des Hilfsmittelverzeichnisses hinausgehen, würde den Krankenkassen wirkliche Spielräume bei den Ausschreibungen verschaffen. Im Übrigen sollte das Qualitätsgebot nicht nur auf Ausschreibungsverträge gelten, sondern auch für die Verträge, die über den Weg der öffentlichen Bekanntmachung geschlossen werden.
Mit dem HHVG sollen die Versicherten zudem die Wahl zwischen mehreren aufzahlungsfreien Hilfsmitteln erhalten. Ob dies immer umsetzbar sein wird, hängt maßgeblich vom Spezialisierungsgrad des jeweiligen Produkts ab. Krankenkassen soll es ebenfalls ermöglicht werden, sogenannte Mehrpartnermodelle auszuschreiben. Dadurch können bei einer Ausschreibung mehrere Hersteller den Zuschlag erhalten. Dies kann sinnvoll sein, um den Versorgungsablauf der Versicherten sicherzustellen, wenn beispielsweise ein Hersteller Lieferschwierigkeiten hat. Die Regelung kann aber auch zulasten der Wirtschaftlichkeit gehen, weshalb geprüft werden sollte, auf welche Produkte beziehungsweise Produktgruppen sie Anwendung finden soll.
Vertragscontrolling
Die Krankenkassen sollen künftig Stichproben- und Auffälligkeitsprüfungen durchführen. Hierfür soll es ihnen ermöglicht werden, die notwendigen Daten bei den Leistungserbringern anzufordern. Bei patientenbezogenen Daten ist eine vorherige Zustimmung des Patienten notwendig. Die Regelung gewährleistet, dass den Krankenkassen auch wirklich Daten vorliegen und ein effektives Vertragscontrolling ermöglicht wird.
Transparenz über Aufzahlungen
Zukünftig soll über die Abrechnung der Hilfsmittellieferanten auch die Höhe der Aufzahlungen erfasst werden. Bisher liegen diese Daten den Krankenkassen nicht vor, da Hersteller und Versicherte über die gewählte Versorgung und eine damit verbundene Aufzahlung eine privatrechtliche Vereinbarung schließen. Durch die neue Regelung können Krankenkassen auf mögliche Fehlentwicklungen aufmerksam werden und ihnen entgegenwirken, was gut ist. Hier besteht eine echte Chance, Licht in den Dschungel der Aufzahlungsmärkte zu bringen und die Versicherten zielgerichtet zu beraten und zu unterstützen.
Präqualifizierungsverfahren
Die für die Eignungsprüfung von Hilfsmittelherstellern, die an der Versorgung gesetzlich Versicherter teilnehmen wollen, zuständigen Stellen (Präqualifizierungsstellen) sollen künftig durch die Deutsche Akkreditierungsstelle überprüft und überwacht werden. In den Eckpunkten des Bundesministeriums für Gesundheit war vorgesehen, die Unabhängigkeit der Präqualifizierungsstellen von den Leistungserbringerorganisationen vorzuschreiben. Dies wird mit dem Gesetzentwurf leider nicht umgesetzt.
Schade ist, dass der Gesetzgeber das HHVG (noch) nicht genutzt hat, um den sogenannten externen Hilfsmittelberatern eine eindeutige Rechtsgrundlage zu verschaffen. Der Einsatz dieser Fachleute ist immer dann hilfreich, wenn es darum geht, eine Hilfsmittelversorgung auf ihre Zweckmäßigkeit und den bedarfsgerechten Einsatz im individuellen Wohnumfeld zu überprüfen. Es wäre schön, wenn im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hier noch nachgebessert würde.
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