In der Corona-Krise ist die Zahl der psychischen Erkrankungen in Deutschland gestiegen. Die beiden Corona-Wellen und die hiermit verbundenen gesellschaftlichen Lockdowns belasten die Menschen durch alle Bevölkerungsschichten und Generationen hinweg. Was die Corona-Pandemie mit der Psyche macht, erläutert Dr. Ernst Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).
Welche Gruppen von Menschen sind von psychischen Erkrankungen im Zuge von Corona besonders betroffen, gibt es hier bereits Zahlen?
Ernst Dietrich Munz: Die BPtK hatte nach der ersten Corona-Welle die internationalen Forschungsergebnisse ausgewertet, um Empfehlungen für die zweite Welle geben zu können. Danach erleben auch psychisch Gesunde häufig Unsicherheit, Angst und Niedergeschlagenheit. Doch diese psychischen Belastungen sind nicht gleich verteilt. Manche trifft die Pandemie härter, weil sie selbst oder Angehörige erkrankt sind oder weil sie als beruflich Pflegende oder Ärzt*innen ständigen Kontakt mit Corona-Kranken haben. Für bereits psychisch kranke Menschen stellen vor allem die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen und der Wegfall gewohnter Tagesstrukturen aber auch der Betreuungs- und Pflegeangebote große Probleme dar, auf die wir in der Therapie eingehen. Wir gehen davon aus, dass durch die Corona-Pandemie vor allem depressive Erkrankungen und Angststörungen zunehmen werden.
Wo liegt die besondere Problematik mit Blick auf sowohl junge Leute als auch ältere Generationen in Bezug auf den Anstieg psychischer Erkrankungen?
Die BPtK hat insbesondere davor gewarnt, ältere Menschen zu isolieren und mit ihren Ängsten allein zu lassen. Bei Hochbetagten kann deshalb neben der Angst vor einer Ansteckung auch die Angst entstehen, aufgrund von Corona allein zu sterben. Außerdem haben wir betont, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche lange Zeit unterschätzt wurden. Kinder und Jugendliche brauchen den Austausch mit Gleichaltrigen sehr. Zum anderen überforderte das Homeschooling viele Familien erheblich, vor allem wenn der Platz in den Wohnungen kaum reichte oder bei den Eltern auch noch das Homeoffice hinzukam. Dann konnte familiäre Nähe, die sonst trägt, in Dauerstress, Konflikte und sogar Gewalt umschlagen.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche wurden lange Zeit unterschätzt. Kinder und Jugendliche brauchen den Austausch mit Gleichaltrigen sehr.
Wie kann und sollten die Betroffenen unterstützt werden, welche Interventions- und Behandlungsmöglichkeiten seitens der Psychotherapie und anderen Berufsgruppen bestehen?
Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, haben die meisten Psychotherapeut*innen auf Videobehandlung umgestellt. Das ist längst nicht für jede Patient*in die beste Wahl, aber angesichts der Ansteckungsgefahr eine vertretbare Notlösung. Mit der Videobehandlung konnten wir auch nicht alle erreichen. Gefehlt hat uns, auch Akutbehandlung per Video und neuen Patient*innen, die unter großem Leidensdruck stehen, Hilfe per Telefon anzubieten zu können. Es gab selbstverständlich auch einen enormen Beratungsbedarf. Im Mai und Juni erreichten die Corona-Hotline in Baden-Württemberg, für die sich auch viele Psychotherapeut*innen engagierten, zwischen 600 und 1.000 Anrufe täglich.
Weitere Artikel aus ersatzkasse magazin. 6. Ausgabe 2020
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
Interview mit Prof. Dr. Thomas Mertens, Vorsitzender der STIKO
„Die Arbeit an einer Empfehlung vor Zulassung ist einmalig“
-