Die Finanzsituation in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird auch im Jahr 2022 angespannt bleiben. Durch die Corona-Pandemie wird sie ähnlich wie in diesem Jahr in zusatzbeitragsrelevanter Dimension belastet.
Die in der Pandemiezeit fortgeltenden Regelungen zur Kurzarbeit, die nur langsam rückläufige Arbeitslosigkeit und voraussichtlich niedrigere Lohnsteigerungen werden die Einnahmesituation in der GKV weiter beeinträchtigen. Die Beitragseinnahmen liegen nach wie vor in ihrer Entwicklung und ihrem Niveau deutlich unterhalb des Wachstumspfads und des Niveaus der GKV-Ausgaben. Damit kann der Beitragsausfall 2020 in naher Zukunft nicht kompensiert werden, auch wenn die Konjunkturprognosen aktuell recht optimistisch sind. Dies hat Auswirkungen auf die Festlegung der Zuweisungen für 2022 an die Krankenkassen, denn diese hängen von der Höhe der erwarteten Einnahmen ab. Gleichzeitig kann zusammen mit den Corona-Ausgaben 2021 für Tests und Impfungen aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds deren gesetzlich vorgegebene Mindestreserve nicht gehalten werden. Um diese Minderung der Liquiditätsreserve in 2021 und vor allem ein Unterschreiten der Mindestreserve zu verhindern, regelt der Gesetzgeber aktuell, dass die bisher aus der Liquiditätsreserve gezahlten Ausgaben nach der Test- und Impfverordnung durch Steuermittel refinanziert werden. Sollten nach Auffüllen der Mindestreserve aus diesen Steuermitteln noch Beträge im Gesundheitsfonds in diesem Jahr vorhanden sein, können sie mit zur Deckung der Finanzlücke verwendet werden. Allerdings wird dann immer noch eine Deckungslücke für 2022 vorhanden sein.
Entlastungen der Leistungsausgaben
Die mit der Pandemie verbundenen und zu großen Teilen aus Bundesmitteln finanzierten Zusatzausgaben und eine verringerte Leistungserbringung führten zu Entlastungen der Leistungsausgaben. Diese Entlastungswirkungen werden im weiteren Verlauf dieses Jahres voraussichtlich nicht fortbestehen und mit dem Fortschritt der Impfungen und der Bekämpfung der Pandemie ausklingen. Der altbekannte Effekt in der GKV, dass die Ausgaben der Krankenkassen deutlich schneller steigen als die beitragspflichtigen Einnahmen, kommt wieder in vollem Umfang zum Tragen. Die Pandemie hat diesen durch zahlreiche Gesetze in der jüngsten Vergangenheit ausgelösten Effekt nur unterbrochen, aber nicht aufgehoben.
Vor diesem Hintergrund wird es eine Reihe von Anstrengungen brauchen, um die zu erwartende Finanzlücke zu schließen. Auf der Zielgeraden zum Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) fixierte der Gesetzgeber Eckpunkte, um eine erhebliche Mehrbelastung der Beitragszahlenden und einen Anstieg der Lohnnebenkosten zu vermeiden. Konkret wurde zur Stabilisierung der Beiträge in der Kranken- und Pflegeversicherung festgeschrieben, dass der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz der Krankenkassen auch im kommenden Jahr auf dem Niveau von 1,3 Prozent gehalten werden soll. Um dies zu gewährleisten, wurde im GVWG für 2022 bereits ein zusätzlicher Bundeszuschuss in Höhe von sieben Milliarden Euro festgeschrieben.
Anpassung des Bundeszuschusses
Dies wird nach derzeitigen Einschätzungen aber nicht reichen. Die Bundesministerien für Gesundheit (BMG) und Finanzen (BMF) sollen daher nach Vorliegen der aktuellen Zahlen den Bundeszuschuss entsprechend anpassen, um die mit der Festschreibung des durchschnittlichen Zusatzbeitrages verbundene Sozialgarantie im Jahr 2022 auch einhalten zu können. Vorgesehen ist, dass der zusätzliche definierte Bundeszuschuss durch Rechtsverordnung und mit Zustimmung des Bundestages verabschiedet und dafür die bereits feststehende Sondersitzung des Bundestages am 7. September 2021 genutzt wird. Die interministerielle Abstimmung über den tatsächlichen Bundeszuschuss soll nach Vorliegen der vorgezogenen KV45-Meldungen für das erste Halbjahr 2021 Ende August 2021 gemeinsam fachlich eingeschätzt werden.
Nach der Bundestagwahl sollte die Zeit genutzt werden, Reformschritte für eine nachhaltige Finanzierung der GKV vorzubereiten. Dazu gehören Steuermittel zur Abgeltung der versicherungsfremden Leistungen in der GKV und eine Anpassung der Beiträge für ALG-II-Empfänger. Die Unterfinanzierung für diese Versichertengruppe wird heute allein von der GKV geschultert und mit dem heutigen Steuerzuschuss nicht abgegolten. Eine IGES-Untersuchung von 2017 kommt zu dem Schluss, dass die Deckungslücke hier bei zehn Milliarden Euro liegt. Außerdem sollte für die steuerpflichtigen GKV-Leistungsbereiche die Mehrwertsteuer generell auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent abgesenkt werden. Nicht zuletzt sollte geprüft werden, wo Effizienzreserven im System realisiert werden können. Ohne diese Maßnahmen ist die GKV auch aufgrund der demografischen Entwicklung auf Dauer nicht nachhaltig zu finanzieren.
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