Die Bundestagwahl steht vor der Tür. Zeit, sich auch als Verband neu zu positionieren und Forderungen zu artikulieren. Im Interview wirft vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner einen Blick auf notwendige gesundheitspolitische Maßnahmen, um die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) jetzt zukunftsfest zu machen.
Ein großes Thema im Wahlkampf ist die Coronakrise. Wie hat das Gesundheitssystem diese Ausnahmezeit bislang bewältigt?
Das Gesundheitssystem reagierte auf diese besondere Herausforderung extrem flexibel und im Sinne der Versicherten. Es wurden viele pragmatische Lösungen gefunden, etwa die Ausweitung von Video-Sprechstunden und die Krankschreibung per Telefon. Zugleich wurden Maßnahmen auf den Weg gebracht, die zuvor undenkbar schienen, beispielsweise die Substitution heilkundlicher Tätigkeiten, Bevorratungspflichten für Krankenhausapotheken oder auch Handelskontrollen für kritische Gesundheitsgüter. Dazu kamen weitreichende Rettungsschirme für Leistungserbringer, zu denen auch die GKV in großem Umfang beitrug. Insgesamt bewährte sich die GVK als Systempfeiler und stellte die Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme unter Beweis. Die Prinzipien der sozialen und der gemeinsamen Selbstverwaltung waren Garant für schnelle und ausgeglichene Entscheidungen in Zeiten der Krise.
Die Corona-Pandemie sorgte für einen Digitalisierungsschub. Was bedeutet das für die Zukunft?
Die Digitalisierung bietet im Gesundheitswesen enorme Chancen für Diagnostik, Therapie und Forschung. Dabei muss sie so gestaltet werden, dass die Versorgung qualitativ besser, sicherer und effizienter wird. Schon früh haben die Ersatzkassen mit besonderen Projekten wichtige Impulse zur Digitalisierung der Gesundheitsversorgung gesetzt. Die weltweit erste App auf Rezept (BARMER), die erste elektronische Gesundheitsakte in Deutschland (TK) und Pilotprojekte zum elektronischen Rezept sind nur einige der zahlreichen Beispiele für die Innovationskraft der Ersatzkassengemeinschaft. Die Digitalisierung des Gesundheitssystems ist ein laufender Prozess, wir wollen nun diesen Digitalisierungsschub nutzen, um den Versicherten weitere sinnvolle digitale Angebote zu machen. Dabei gilt es, alle beteiligten Akteure abzuholen und mit einzubinden. Dafür müssen wir die Akzeptanz für digitale Prozesse weiter steigern, was am besten gelingt, indem wir die individuellen Chancen und Vorteile aufzeigen: Digitalisierung macht es möglich, dass wir Termine bei Ärzten oder Therapeuten online buchen können. In der elektronischen Patientenakte (ePA) können wir schon heute Behandlungsdaten, Arztbriefe oder Medikationspläne hinterlegen und Notfalldaten oder persönliche Erklärungen speichern. Die ePA konsequent weiterzuentwickeln, ist unser gemeinsames Ziel und wird dazu führen, die vielen Vorteile spürbarer bei den Versicherten ankommen zu lassen. Es bleibt wichtig, die Akzeptanz und positiven Erfahrungen der Videobehandlungen dauerhaft auf andere Bereiche wie etwa die Physiotherapie zu übertragen. Die ersten wichtigen Schritte sind die Ersatzkassen erfolgreich gegangen, auch künftig werden wir diesen Weg gemeinsam fortsetzen.
Welche Themen stehen noch oben auf Ihrer gesundheitspolitischen Agenda?
Wir brauchen dringend einen Umbau der Krankenhauslandschaft, das hat die Corona-Pandemie leider einmal mehr deutlich gemacht. Schwer an Covid-19 Erkrankte, die beispielsweise intensiv beatmet werden mussten, wurden vorwiegend an hochspezialisierten Fachkrankenhäusern oder Krankenhäusern der Schwerpunktversorgung behandelt. Wir brauchen eine verstärkte Spezialisierung und Leistungskonzentration in der Krankenhauslandschaft. Nicht alle Krankenhäuser müssen alle Leistungen anbieten. Die Versicherten sind bereit, auch längere Fahrtzeiten in Kauf zu nehmen, wenn dadurch die Versorgung qualitativ besser wird. Gleichzeitig müssen wir die Versorgung auf dem Land sicherstellen, etwa durch den Ausbau Medizinischer Versorgungszentren und neue Lösungen wie mobile Fahrdienste. Wir fordern, eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung zu etablieren, um einen flächendeckenden Zugang zur sektorenübergreifenden Versorgung zu gewährleisten. Und nicht zuletzt liegen uns die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung am Herzen. Beispielsweise belasten hochpreisige Arzneimittel die GKV immer stärker. Besonders das erste Jahr der freien Preisbildung im Bereich der Arzneimittel muss entfallen, die verhandelten Erstattungsbeträge müssen rückwirkend ab dem ersten Tag nach Markteintritt gelten. Die sogenannten Mondpreise müssen der Vergangenheit angehören.
Die GKV-Finanzen stehen mächtig unter Druck durch die Corona-Pandemie, aber auch durch kostenintensive Gesetze der letzten Legislatur. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Finanzentwicklung nicht aus dem Ruder läuft?
Die zentrale Aufgabe der nächsten Bundesregierung muss es sein, für 2022 und die Folgejahre eine verlässliche und solide Finanzierungsgrundlage für die GKV zu schaffen. Dazu haben wir Vorschläge gemacht: Die Steuerzuschüsse zur Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen sollten angehoben werden. Zudem sollte der Mehrwertsteuersatz für mehrwertsteuerpflichtige GKV-Leistungen (im Wesentlichen Arzneimittel) auf sieben Prozent abgesenkt werden. Der Beitrag für Hartz-IV-Bezieher: innen muss angepasst werden, um die bestehende Finanzierungslücke dieser systemfremden Aufgabe zu schließen. Und man wird die Dynamik bei den Ausgaben und die Vergütungssteigerungen sowie die Themen Qualität und Effizienz stärker in den Blick nehmen müssen. Außerdem gilt es weiterhin, Wettbewerbsverzerrungen systematisch auszuschließen, dazu sollte der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) aufbauend auf der Reform des Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetzes konsequent weiterentwickelt werden.
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