Krankenhausstrukturreform

Fachkräftemangel im Krankenhaus intelligent bekämpfen

Die Krankenhausstrukturen sind hierzulande nicht mehr zeitgemäß. Eine hohe Krankenhausdichte vergrößert den Fachkräftemangel. Die Monopolkommission setzt in ihrem Gutachten auf Markt beziehungsweise Wettbewerb und verkennt die Besonderheiten des Gesundheitsmarktes. Die Länder halten an ihrer strukturkonservierenden Krankenhausplanung und mangelnden Investitionsbereitschaft fest. Die Krankenhausstrukturreform muss an den richtigen Stellschrauben drehen, um dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen.

Krankenschwester am Bett eines Patienten

Das zweite Jahrzehnt des neuen Jahrtausends war gekennzeichnet durch eine hohe Erwerbsquote und steigende Einkommen, was sich auf Beitrags- und Steuereinnahmen positiv ausgewirkt hat. Leider wird in solchen Zeiten ungern daran gedacht, dass sich die Zeiten auch ändern können. Geopolitische Spannungen, Lieferengpässe, Inflation, Energie- und Rohstoffkrise und letztendlich immer noch die Pandemie geben zumindest Zweifel auf, ob die Wettervorhersage für die Volkswirtschaft bei heiter bis sonnig bleiben wird. Eins ist heute aber sicher: Spätestens ab 2025 schlägt der demografische Wandel voll zu. Wenn der erste starke Babyboomer-Jahrgang in Rente geht, kommt es zur unumkehrbaren Rentenlücke, die zu Einnahmerückgängen bei Steuern und Beitragsmitteln führen wird. Auf der anderen Seite erhält der Fachkräftemangel nochmals einen Schub und gleichzeitig wird die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen ansteigen. Die Krankenhausstrukturen sind auf diese Entwicklung nicht vorbereitet.

Alternde Gesellschaft – sinkende Fachkräftezahl

Bei den derzeit vielfältigen Problemen, die auch die stationäre Versorgung tangieren, sticht der demografische Wandel heraus. Einerseits gibt es strukturschwache Gebiete, die überaltern, und es fällt schwer, junge Fachkräfte in diese Regionen zu locken. Andererseits gibt es Ballungsgebiete mit Bevölkerungszuwächsen, die gleichzeitig Investoren in der Gesundheitsversorgung anlocken, was zu einem Überangebot führt. Das Kernproblem dabei ist, dass die Gesellschaft älter wird und somit vermehrt Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen wird. Gleichzeitig wird die Zahl der Fachkräfte, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, nicht größer, sondern auf absehbare Zeit kontinuierlich kleiner. Umso schlimmer ist es, wenn mit Fehlversorgung in den Ballungsgebieten Personal gebunden wird, das anderenorts fehlt. Der Fachkräfteeinsatz muss der medizinischen Behandlungsbedürftigkeit und nicht kommerziellen Interessen folgen.

Keine Finanzierung von Phantompflegekräften

Dem Fachkräftemangel, der gerade in der Pflege besonders hoch ist, versucht man mit Pflegepersonalbedarfszahlen zu begegnen. „PPR 2.0“ ist das angebliche Wundermittel. Diese Sollvorgaben können nicht die Zahl der am Arbeitsmarkt verfügbaren Fachkräfte erhöhen. Sie können nur den Mangel an Fachkräften aufzeigen, ihn jedoch nicht beheben. Krankenhausträger haben ein Interesse an diesen Sollvorgaben, da sie sich eine Sollbedarfsfinanzierung wünschen. Sie wollen das Geld für Fachkräfte, die man für eine angemessene Behandlung benötigt, unabhängig davon, ob diese auch verfügbar sind: eine interessante „Geschäftsidee“, die der derzeitigen Trägerstruktur der Krankenhäuser entgegenkommen sollte. Auch das Pflegebudget, das alle Kosten erstattet, kann nicht die reale, sondern nur die kalkulatorische Zahl an Pflegekräften erhöhen. Der angebliche Stellenzuwachs im Pflegebudget gibt Zweifel auf, wenn zugleich in der Intensiv- und Kinderkrankenpflege massive Engpässe gemeldet werden. Anscheinend kommt es nur zu buchhalterischen Verschiebungen pflegeähnlicher Berufsgruppen in das Pflegebudget.

Die Anhebungen der Tarifgehälter im Bereich der Pflege erhöhen richtigerweise die Wertschätzung, die dieser Berufsstand verdient hat; die Zahl der Pflegekräfte erhöht sie nicht. Gerade in Bezug auf die Teilzeitquote ist das Gegenteil der Fall. Viele Pflegekräfte in Teilzeit mit Familie reduzieren bei höheren Gehältern die Arbeitszeit anstatt sie zu erhöhen, sodass sie mehr Zeit für die eigene Familie haben. Die Versuche, im Ausland Fachkräfte zu gewinnen, waren bislang der „Tropfen auf dem heißen Stein“. Die mediale Verkündung von angeblich erfolgreichen Rekrutierungserfolgen im Ausland dienen wahrscheinlich mehr dazu, das Narrativ „Gebt uns Geld und wir lösen das Problem“ zu beleben, als dass es wirklich zu einem nennenswerten Anstieg im bundesweiten Fachkräftebestand kommt.

Infografik: Fachkräftemangel in der stationären Versorgung

Richtige Stellschrauben statt Gießkannenprinzip

Mit Geld wird man die bundesweite Zahl der Schul-, Studien- und Ausbildungsabsolventen nicht mehr erhöhen können. Natürlich kann ein Träger Fachkräfte abwerben; in der bundesweiten Betrachtung ändert sich dadurch nichts. Insofern muss man für das Problem des Fachkräftemangels an den richtigen Stellschrauben drehen. Einem Fachkräftemangel in der stationären Versorgung kann man entgegenwirken, indem man die Fehlanreize zum medizinisch nicht notwendigen Fallzahlanstieg beseitigt und das ambulante Behandlungspotenzial von derzeit stationär durchgeführten Behandlungen tatsächlich ausschöpft. Leistungsintensität und -menge müssen auf das medizinisch Erforderliche reduziert werden. Der Fachkräfteeinsatz wird dadurch effizienter. Der Fallzahlrückgang während der Pandemie zeigt das vorhandene Potenzial auf. Die Einbeziehung einer Vorhaltekostenfinanzierung beziehungsweise degressiver Entgelte in die Vergütungssystematik ist dabei eine Möglichkeit. Der derzeitige Fehlanreiz einer rein fallzahlabhängigen Vergütung wird durch den Einbau einer mengenunabhängigen Finanzierungskomponente verringert. Die Finanzierung von Vorhaltekosten setzt jedoch voraus, dass nur notwendige Krankenhausstrukturen finanziert werden. Bislang bestimmen die Krankenhausträger unter monetären Aspekten ihr Leistungsangebot.

Die Länder schauen bei der Krankenhausplanung nur zu und schreiben diese Entwicklung in ihren Plänen einfach fest. Es bedarf einer aktiven und effizienten Planung der Länder in Zukunft. Hierzu bietet sich eine qualitäts- und leistungsorientierte Planung an, die in bundeseinheitlich differenzierten Leistungsgruppen und -bereichen sowie Versorgungsstufen denkt und sich nicht hinter einer nebulösen Krankenhausrahmenplanung versteckt. Das Gutachten „Krankenhauslandschaft Nordrhein-Westfalen“ liefert hierfür einen Ansatz. Unabdingbar ist es, dass sich die neue Art der Planung am verfügbaren Krankenhauspersonal orientiert statt an Luftschlössern für Leistungsbedarfe, für die Personal nicht zur Verfügung stehen wird. Eine Konzentration der Leistungsangebote hilft dabei, das knappe Fachpersonal effizienter auf benötigte Standorte zu verteilen. Die Krankenhausplanung muss das Ambulantisierungspotenzial bereits berücksichtigen. Der Ansatz der Leistungsgruppen ist auf ambulante Behandlungen zu erweitern. Sowohl bei den Überlegungen einer Krankenhausstrukturreform als auch bei der späteren Umsetzung muss es zu einem Dreiklang zwischen Bedarfsplanung, Ambulantisierung und Vorhaltekostenfinanzierung kommen; Stückwerk reicht nicht mehr!

Neue Wege gehen

Die Notwendigkeit einer Krankenhausstrukturreform wird von Krankenhäusern, Krankenkassen und auch der Politik gleichermaßen gesehen. Genau hier liegt aber das Problem. Wenn alle Beteiligten bei konträren Vorstellungen eine Reform befürworten, liegt es nahe, dass jeder ein anderes Grundverständnis über deren Inhalte und Ziele hat. Die Regierungskommission und der Gesetzgeber stehen in dem Dilemma, Kompromisse einzugehen und Abstriche in welche Richtung auch immer zu machen. Es ist zu befürchten, dass die Reform in Scheiben kommt und aus einer Reform kleine Reförmchen werden. Eins sollte allen verantwortlich denkenden Menschen in diesem Bereich klar sein: Eine große Reform in der nächsten Legislaturperiode kommt definitiv zu spät. Die Entscheidung, ob es um Renditeerwartungen oder Versorgungsnotwendigen geht, ist fällig. Der Realität eines immer größer werden Fachkräftemangels muss mit Effizienz begegnet werden. Die nächste Reform erfordert eine neue Denkweise.

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