Gesundheitspolitik

Stabilisierung der Finanzen muss Priorität haben

Die Ersatzkassen bleiben die beliebteste Kassenart in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Sie konnten im Vergleich zum Vorjahr sowohl bei den Mitglieds- als auch bei den Versichertenzahlen weiter zulegen. Ihr Ziel ist es weiterhin, eine bedarfsgerechte Versorgung zu organisieren. Dafür braucht es aber eine verlässliche Finanzierung der GKV. Zudem muss die Rolle der Selbstverwaltung als Mitgestalter gestärkt werden.

Nach der jüngsten Erhebung vom Dezember 2022 sind rund 28,5 Millionen Menschen bei den Ersatzkassen versichert (s. Abb. 1), gut 250.000 mehr als im Dezember 2021. Mit einem Marktanteil in Höhe von bundesweit 38,3 Prozent sind die Ersatzkassen damit nach wie vor Marktführer in der GKV und das seit nunmehr 14 Jahren in Folge. Ein Blick auf die Bundesländer zeigt, dass die Ersatzkassen auch in elf Bundesländern die Marktführerschaft innehaben. In Berlin, Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein versichern sie sogar mehr als 50 Prozent der gesetzlich Versicherten. „Die Menschen vertrauen den bundesweit tätigen Ersatzkassen – das spornt den vdek und seine Mitgliedskassen an, weiterhin eine gute Versorgung für die Versicherten zu organisieren“, so vdek-Verbandsvorsitzender Uwe Klemens auf der Neujahrs-Pressekonferenz des vdek am 24. Januar 2023. Notwendig aber sei eine verlässliche und nachhaltige Finanzierung der GKV.

Illustration: Verteilung der GKV-Versicherten auf Kassenarten

Abb. 1: Verteilung der GKV-Versicherten auf Kassenarten

Mit dem im vergangenen Jahr verabschiedeten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sind die Finanzen für 2023 gesichert. Das gesetzliche Maßnahmenpaket aus Bundeszuschuss, Darlehen, Abbau der Rücklagen der Krankenkassen sowie des Gesundheitsfonds, Effizienzreserven der Leistungserbringenden sowie der Erhöhung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes kann die GKV kurzfristig stabilisieren. „Doch die Ausgabenspirale dreht sich weiter“, warnte Klemens. 2023 werde ein Anstieg der Leistungsausgaben um rund fünf Prozent durch Mengen- und Preissteigerungen in allen Leistungsbereichen erwartet. Und 2024 würden die Ausgaben der GKV nach Schätzung des vdek weiter um rund vier Prozent steigen. Gleichzeitig sei damit zu rechnen, dass sich die Einnahmen verringern, weil einmalige Maßnahmen aus dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz in 2023 in Höhe von zusammen neun Milliarden Euro entfallen wie zum Beispiel der Bundeszuschuss oder der Vermögensabbau der Krankenkassen.

Illustration: Finanzen

Eine nachhaltige Finanzreform der GKV müsse deshalb weiter ganz oben auf der politischen Agenda stehen, forderte Klemens. Ansonsten würden die Zusatzbeitragssätze 2024 weiter steigen (s. Abb. 2). Die Forderungen der Ersatzkassen sind nach wie vor die gleichen: die kostendeckende Finanzierung der Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld (Einsparungen: rund zehn Milliarden Euro), die Absenkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent (Einsparungen: sechs bis sieben Milliarden Euro) und eine Dynamisierung des Steuerzuschusses, wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Mit diesen Maßnahmen könnte die GKV deutlich entlastet werden, zeigte sich Klemens überzeugt.

Infografik: Beitragssätze in der GKV

Abb. 2: Beitragssätze in der GKV

„Was dagegen nicht mehr geht, ist, die Finanzlöcher aus den Rücklagen der Krankenkassen und aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zu finanzieren“, betonte Klemens. Das hindere die Politik aber nicht daran, auf die noch vorhandenen minimalen Reserven des Gesundheitsfonds zuzugreifen, um damit kurzfristige politische Projekte umzusetzen. Als jüngstes Beispiel führte er die durchaus berechtigten Vorhaltekosten im Krankenhaus für die Bereiche Kinder- und Jugendheilkunde und Geburtshilfe an. Hier würden ohne Beteiligung der Selbstverwaltung den Bundesländern in den Jahren 2023 und 2024 jeweils 378 Millionen Euro aus dem Gesundheitsfonds zur Verfügung gestellt. Das Geld wird politisch verteilt nach dem sogenannten Königssteiner Schlüssel – einem Verteilungsschlüssel, der nach Meinung Klemens’ aus Versorgungssicht unsinnig sei und nicht die tatsächlichen Bedarfe berücksichtige. Ein weiteres Beispiel sei der Kabinettsentwurf zur Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). „Die Krankenkassen sollen 15 Millionen Euro jährlich zahlen, ohne dass sie über die Selbstverwaltung an der Entscheidung über die Verwendung der Gelder beteiligt werden“, kritisierte der vdek-Verbandsvorsitzende. Das seien aber Gelder der Beitragszahlenden und kein Nebenetat oder Sondervermögen des Bundesgesundheitsministeriums.

Stärkung der Selbstverwaltung

Für Klemens zeige sich hier auch ein problematischer Umgang der Politik mit der Selbstverwaltung. Äußerungen aus der Gesundheitspolitik zeigten deutlich, dass die Rechte und die Handlungskompetenz der Selbstverwaltung eingeschränkt werden sollen. Die Selbstverwaltung werde als intransparente Lobbygruppe bezeichnet. Ihr werde ein Mitgestaltungsrecht, zum Beispiel bei der Krankenhausreform, verweigert.

„Ob der Staat es besser kann als die Selbstverwaltung, ist zu bezweifeln“, sagte er. Die ausgabenintensive Gesundheitspolitik der letzten Regierungen noch vor Corona habe dazu geführt, dass die Krankenkassen aktuell von Jahr zu Jahr die Finanzierungslöcher in der GKV stopfen müssen. Und es lasse sich nicht feststellen, dass dadurch die Versorgung zwangsläufig qualitativ besser geworden ist. Die Selbstverwaltung – die gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Versicherten – sei dafür da, die Beitragszahlenden vor Überforderung zu schützen und für eine qualitativ hochwertige Versorgung zu sorgen. Nach Ansicht von Klemens werde das in den kommenden Jahren enorm wichtig sein, denn es gehe darum, das Versorgungsniveau bei steigenden Anforderungen zu wahren und dies auch finanziell stemmen zu können. „Die Selbstverwaltung steht zu ihrer Verantwortung“, betonte Klemens. Sie habe ein Interesse daran, die Versorgung nachhaltig und qualitativ im Sinne der Versicherten zu verbessern.

Illustration: Sozialwahl

Sozialwahl ist gelebte Demokratie

In diesem Jahr steht auch wieder die Sozialwahl an. Bei den Ersatzkassen sind rund 22 Millionen Versicherte wahlberechtigt, mit der Deutschen Rentenversicherung zusammen sind es rund 52 Millionen Menschen. Bezogen auf die Zahl der Wahlberechtigten ist die Sozialwahl damit nach der Europa- und der Bundestagswahl die drittgrößte Wahl in Deutschland. Den Versicherten werden ab dem 20. bis zum 28. April dieses Jahres die Wahlunterlagen zugeschickt. Dann heißt es: wählen und die Demokratie in den Sozialversicherungssystemen stärken. Klemens verwies auf die große Bedeutung dieser Wahlhandlung: „Das ist ein zutiefst demokratischer Wahlakt. Das Handeln der ehrenamtlich tätigen Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter erhält damit seine Legitimation.“ Es werde daran gearbeitet, die Sozialwahl auch als Online-Wahl stattfinden zu lassen, was mit großen technischen Herausforderungen verbunden sei. Zudem müssen die Wahllisten künftig mindestens zu 40 Prozent weiblich besetzt sein. Das sei nach Worten von Klemens ein Meilenstein und trage zur Modernisierung und Repräsentativität der Selbstverwaltung bei. Die Ersatzkassen bieten ihren Versicherten eine echte Wahl und haben sich bewusst gegen eine sogenannte Friedenswahl entschieden.

Digitalisierung weiter vorantreiben

Ein weiteres großes Anliegen ist es den Ersatzkassen, dass die GKV ihren Versicherten einen einfachen Zugang zu einer modernen Gesundheitsversorgung ermöglicht. Deshalb brauche es in diesem Jahr dringend Fortschritte im Bereich der Digitalisierung. Klemens hob zwei positive Beispiele hervor, wie digitale Prozesse zu guten Lösungen führten: Erstens wird seit Jahresbeginn die zweite Stufe der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) erfolgreich umgesetzt. Damit entfällt für Millionen Versicherte der Versand des „gelben Scheins“ an ihre Arbeitgeber – immerhin jährlich etwa 77 Millionen Dokumente. Die Krankenkassen erhalten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits seit Mitte 2022 auf digitalem Weg. Zweitens wurde ebenfalls zum Jahresbeginn das elektronische Beantragungs- und Genehmigungsverfahren im Zahnarztbereich eingeführt, zum Beispiel bei Zahnersatz oder kieferorthopädischen Behandlungen. Dadurch wird der Verwaltungsaufwand für alle Beteiligten erheblich reduziert und die Versicherten können schneller behandelt werden.

Versichertenfreundliche Lösungen seien in diesem Jahr auch bei der elektronischen Patientenakte (ePA) erforderlich, so Klemens. Ihre Potenziale für die Versorgung seien seit Jahren bekannt – gerade deshalb könne die Zahl von knapp 600.000 angelegten ePA nicht zufriedenstellend sein. Das sind weniger als ein Prozent aller GKV-Versicherten. Daher begrüßte Klemens, dass die Bundesregierung in den nächsten Monaten die Rahmenbedingungen für das sogenannte Opt-Out-Verfahren schafft. Auf diese Weise erhalten alle Versicherten eine ePA – es sei denn, sie widersprechen.

Doch mit 74 Millionen leeren ePA werde noch keine Versorgungsverbesserung erreicht, mahnte Klemens. „Erst mit einer strukturierten und regelmäßig befüllten ePA kommen wir wirklich voran. Dafür muss die Balance zwischen Datenschutz und Nutzen für Versicherte und Versorgung neu austariert werden.“ So müssten die Befüllung der ePA und der Zugriff darauf für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte der Regelfall sein – ohne dass es ein kompliziertes Freigabeverfahren gebe. Das Opt-Out-Verfahren müsse also nicht nur für die Einrichtung der ePA gelten, sondern auch für das Lesen und Einstellen von Informationen. „Hier erwarten die Ersatzkassen von der Politik ein stimmiges Gesamtpaket und bringen sich gerne mit ihren Überlegungen ein.“

vdek-Verbandsvorsitzender Uwe Klemens auf der vdek-Neujahrs-Pressekonferenz 2023

Gleichzeitig müsse auch die Nutzung der ePA in den Arztpraxen vereinfacht werden, so Klemens weiter. Konkret bedeute das aus Sicht des vdek, dass Leistungserbringende verpflichtet werden müssen, bestimmte Inhalte in die ePA aufzunehmen, beispielsweise Labor- und Röntgenbefunde, aber auch Impfdaten und Medikationsinformationen sowie Entlassbriefe nach einer Krankenhausbehandlung. Zudem müssen Ärztinnen und Ärzte auf Daten aus der ePA im Praxisalltag einfach und schnell zugreifen können. Statt einer reinen Dokumentenablage müssen die Informationen dort in strukturierter Form vorliegen, damit sie schnell ausgewertet und genutzt werden können. Und nicht zuletzt müssen auch die Anbieterinnen und Anbieter von Softwaresystemen für Arztpraxen und Krankenhäuser stärker in die Pflicht genommen werden. Es sollten nur noch Anwendungen zum Einsatz kommen dürfen, die eine nutzerfreundliche Verwendung der ePA und der anderen Telematik-Anwendungen ermöglichen. Hierfür braucht es ein erweitertes Zertifizierungsverfahren.

Die Ersatzkassen hoffen außerdem, dass im Laufe des Jahres auch das elektronische Rezept (E-Rezept) flächendeckend eingeführt und dann einfach mit Einstecken der Gesundheitskarte in der Apotheke eingelöst werden kann. Auch hier fordert der vdek – gerade von den Datenschutzbehörden – einen stärkeren Fokus auf konstruktive und versichertenfreundliche Lösungen. „Die Ersatzkassen wollen eine vernünftige Versorgung für ihre Versicherten“, betonte Klemens. Dazu gehöre in diesen Zeiten vor allem auch eine funktionierende Digitalisierung im Gesundheitswesen.

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