Pflegeunterstützungs– und Entlastungsgesetz

Die Pflegereform greift zu kurz

Baustellen gibt es in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) wahrlich genug. Lange hat sich die Bundesregierung mit gesetzgeberischen Antworten Zeit gelassen, nun liegt endlich ein Entwurf für ein Pflegeunterstützungs– und Entlastungsgesetz (PUEG) vor. Kann dieses Gesetz die drängenden Probleme lösen? Klar ist: Die Finanzierung auf solide Beine zu stellen, gelingt mit diesem Entwurf nicht.

Illustration: Pflege

Es ist nicht nur der demografische Wandel, welcher der SPV zusetzt. Zu den größten Herausforderungen in der Pflege zählen aktuell vor allem die Finanzierungsfragen. So wird für 2023 ein Finanzdefizit von rund drei Milliarden Euro erwartet (im letzten Jahr betrug das Defizit noch 2,25 Milliarden Euro), im Falle der Pflegebedürftigkeit müssen Heimbewohner immer höhere Zuzahlungen aufbringen und im ambulanten Bereich können sich die Betroffenen wegen hoher Inflationsraten immer weniger Leistungen einkaufen. Und dann gilt es, auch noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umzusetzen, wonach der Beitragssatz spätestens ab Juli 2023 die Zahl der Kinder stärker zu berücksichtigen hat.

Auch zahlreiche Leistungsverbesserungen und verschiedene versicherungsfremde Leistungen verschärfen obendrein die Finanzlage. Dazu zählen zum Beispiel die in der Corona-Pandemie aufgelegten Pflegeschutzschirme, die der Sicherung der Pflegeinfrastruktur dienten. Rund 5,5 Milliarden Euro dieser Ausgaben wurden der SPV bis dato nicht vom Bund erstattet. Und mit 3,7 Milliarden Euro jährlich schlagen darüber hinaus noch die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige auf der Ausgabenseite zu Buche.

Finanzielle Stabilität nicht in Sicht

Die Koalitionspartner hatten sich daher bereits im Koalitionsvertrag auf eine finanzielle Stabilisierung geeinigt und unter anderem in Aussicht gestellt, die 3,7 Milliarden Euro für die Rentenbeiträge der pflegenden Angehörigen mittels Steuergelder zu refinanzieren. Im vorliegenden Kabinettsentwurf sucht man jedoch vergeblich nach Rechtsvorschriften, die eine finanziell verlässliche Unterstützung des Bundes regeln würden. Diese scheinen der engen Finanzlage des Bundes und dem Verteilungskampf der Ressorts zum Opfer gefallen zu sein.

Stattdessen findet man einen Arbeitsauftrag an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Bis 31. Mai 2024 sollen Empfehlungen für eine stabile und dauerhafte Finanzierung vorgelegt werden und zwar unter Beteiligung des Finanzministeriums, des Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sowie des Familienministeriums. Man fragt sich: Warum erst nächstes Jahr und nicht unverzüglich? Und warum muss man solche Arbeitsaufträge gesetzlich regeln? Im Grunde ist es ein Eingeständnis, dass man sich auf konkrete gesetzliche Regelungen nicht verständigen kann und erst im kommenden Jahr in der Lage sieht, sich damit zu beschäftigen.

Immerhin: Kleinere Finanzmaßnahmen aus der Rubrik „guter Wille“ findet man im Gesetzentwurf. So wird die jährliche Zuführung an den Pflegevorsorgefonds auf 2024 verschoben, das spart in diesem Jahr 1,7 Milliarden Euro. Auch die Rückzahlung des vom Bund gewährten Darlehens in Höhe von einer Milliarde Euro wird bis ins Jahr 2028 verlagert.

Ansonsten muss es dann wohl erst mal der Beitragszahler richten. Der allgemeine Beitragssatz wird von derzeit 3,05 auf 3,4 Prozent angehoben. Die Bundesregierung erhält eine Verordnungsermächtigung für weitere Beitragsanpassungen im Falle, dass der Mittelbestand der Pflegeversicherung eine Monatsausgabe laut Haushaltsplänen der Pflegekassen zu unterschreiten droht. Immerhin wurde bei der Ermächtigungsgrundlage gegenüber einem früheren Entwurf insofern nachgebessert, als dass der Bundesrat seine Zustimmung zur Verordnung geben muss. Es bleibt aber der fade Beigeschmack, dass man aufreibende Debatten im Bundestag umgehen und den Fokus auf Beitragsanpassungen legen will.

Beitragsabschläge bei Eltern

Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits am 7. April 2022 entschieden, dass es verfassungswidrig ist, dass beitragspflichtige Eltern in der SPV unabhängig von der Zahl der von ihnen betreuten und erzogenen Kinder mit gleichen Beiträgen belastet werden. Bis Ende Juli 2023 muss ein verfassungsgemäßer Zustand hergestellt werden. Der Gesetzentwurf zum PUEG enthält nun diese Konkretisierungen.

Zunächst wird der Beitragszuschlag für Kinderlose von 0,35 auf 0,6 Prozent erhöht, das ergibt für Kinderlose einen Gesamtbeitrag von 4,0 Prozent. Für Eltern mit einem Kind ist der allgemeine Beitragssatz von 3,4 Prozent maßgebend. Der neue Beitragsabschlag gilt ab dem zweiten Kind und beträgt 0,25 Beitragssatzpunkte. Dies führt zu gestaffelten Beitragssätzen jeweils anstelle von 3,4 Prozent:

  • Bei Eltern mit zwei Kindern beträgt der Beitragssatz 3,15 Prozent.
  • Bei Eltern mit drei Kindern beträgt der Beitragssatz 2,9 Prozent.
  • Bei Eltern mit vier Kindern beträgt der Beitragssatz 2,65 Prozent.
  • Bei Eltern mit fünf Kindern und mehr beträgt der Beitragssatz 2,4 Prozent.

Der Abschlag wird bis zum Ablauf des Kalendermonats gewährt, in dem das Kind das 25. Lebensjahr vollendet.

Es wird daran festgehalten, dass weiterhin die beitragsabführenden Stellen die Elterneigenschaft und dann auch die Anzahl der zu erfassenden Kinder zum Zwecke der Beitragsberechnung und -abführung prüfen. Damit werden die Lasten gerade bei der Ersterfassung der Anzahl der Kinder auf die beitragsabführenden Stellen und auf die Pflegekassen bei Selbstzahlern gleichmäßig verteilt.

Der Gesetzgeber hält mit dem PUEG die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Frist formal ein. Es wurde jedoch offenbar vergessen, dass die praktische Umsetzung bei den Pflegekassen und den beitragsabführenden Stellen zur Erfassung von Millionen von Eltern mit mindestens zwei Kindern erheblichen zeitlichen Vorlauf benötigt. Schließlich gibt es keine zentrale Stelle, bei der die notwendigen Daten gespeichert sind. Jetzt muss es eine Regierungskommission richten. Diese soll – bestehend aus dem BMG und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat sowie dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft – zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung und Gewährleistung eines möglichst effizienten, schnellen und digitalen Verwaltungshandelns ein Verfahren zur Erhebung und zum Nachweis der Anzahl der Kinder bis spätestens Juli 2023 entwickeln. Das reduziert vordergründig den Zeitdruck bei der Umsetzung.

Aus Sicht des vdek kann bis dahin jedoch kein IT-gestütztes Verfahren im Rahmen dieser Regierungskommission anwendungsreif erstellt werden; es wird Beschreibungen geben können, auf denen dann die IT-Umsetzung basieren wird. Es ist zudem wichtig, dass auch Vertreter der Kranken- und Pflegekassen bei der Entwicklung der Konzepte beteiligt werden. Dementsprechend wird den beitragsabführenden Stellen und den Pflegekassen ein Bearbeitungszeitraum zugestanden. Vorgesehen ist: Können die Abschläge von den beitragsabführenden Stellen und den Pflegekassen nicht ab dem 1. Juli 2023 berücksichtigt werden, sind sie so bald wie möglich, spätestens bis zum 31. Dezember 2024 zu erstatten.

Nur wenige Leistungsverbesserungen

Blickt man auf die Versorgungsseite, so ist positiv festzuhalten, dass der Dynamisierung von Leistungen eine eigene Vorschrift (§ 30 SGB XI) gewidmet wird. Das Instrument der Dynamisierung ist begrüßenswert, weil damit die Pflegebedürftigen vor der schleichenden Entwertung der Leistungen geschützt werden können. Die konkreten Regelungen sind jedoch leider nur halbherzig ausgestaltet. Nachdem in 2024 die Geldleistungen und ambulanten Sachleistungen um fünf Prozent angehoben werden, sollen sie im Jahr 2025 eine weitere Anpassung von fünf Prozent erfahren. Eine weitere Anpassung ist erst ab 2028 vorgesehen und soll sich am kumulierten Anstieg der Kerninflation der drei Vorjahre orientieren. Warum eine wirkliche Dynamisierung erst ab 2028 greift und sich an einem Index orientiert, der die Kostentreiber Energie und Lebensmittel nicht enthält, erklärt sich nur so, dass der finanzielle Spielraum zur Gegenfinanzierung stark limitiert ist. Dies gilt analog für die Erhöhung der Zuschüsse der Pflegeversicherung zu den Eigenanteilen der Pflegeheimbewohner, die je nach Aufenthaltsdauer um zehn bzw. fünf Prozent angehoben werden. Ein an sich guter Schritt, um die Pflege im stationären Setting bezahlbar zu halten, aber auch nur sehr zaghaft umgesetzt. Zudem stellt sich mal wieder die Frage, warum der Gesetzgeber nicht endlich die Länder in die Pflicht nimmt und die Pflegebedürftigen von den Investitionskostenanteilen in Höhe von derzeit durchschnittlich 451 Euro je Monat entlastet.

Unerfreulich ist auch, dass auf den letzten Metern die Regelung zur Einführung eines Gesamtbudgets für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege offenbar auch dem Finanzdiktat zum Opfer gefallen ist. Die langjährige vdek-Forderung hätte mehr Flexibilität bei der Inanspruchnahme der Leistungen und auch eine Entbürokratisierung bei den Pflegekassen gebracht. Ansonsten macht es den Anschein, dass Gesetzgeber und Ministerien immer noch der Auffassung sind, dass Pflegekassen und deren Verbände unerschöpfliche Personalressourcen vorhalten und der Fachkräftemangel nur aufseiten der Leistungserbringung Probleme bereitet. Zahlreiche Berichts- und Auskunftspflichten gegenüber dem Ministerium schaffen unnötige Bürokratie und Aufwände. Unverständlich ist auch, dass bei der Pflegebegutachtung an der Strafzahlung von 70 Euro pro Woche festgehalten wird, wenn die Begutachtung nicht binnen 25 Arbeitstage vorliegt. Dass es hier vor allem deshalb zu Zeitverzug kommt, weil für die Medizinischen Dienste schlichtweg nicht ausreichend Fachkräfte zu finden sind, wird offenbar immer noch nicht akzeptiert. Das für die Strafzahlung verausgabte Geld der Pflegekassen könnte wirklich besser in die Versorgung investiert werden.

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