Der Bundesgesundheitsminister hat am 9. März 2023 die Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege vorgestellt. Im Mittelpunkt der Strategie steht der Ausbau der elektronischen Patientenakte (ePA) zur zentralen Datenplattform für Gesundheitsinformationen, die dann sowohl in der konkreten Versorgung der Patienten als auch zu Forschungszwecken genutzt werden kann.
Von dem Ziel, 80 Prozent der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit einer ePA auszustatten, sind wir derzeit noch weit entfernt. Durch eine Reihe von datenschutzrechtlichen Hürden können sowohl die Zugangswege als auch die Benutzerfreundlichkeit der ePA derzeit nicht das bieten, was Versicherte von modernen digitalen Anwendungen erwarten. Daher ist es auch nicht überraschend, dass die Zahl der eingerichteten Akten bei unter 700.000 stagniert. Nach den vorliegenden Abrechnungsdaten wurden bis Mitte 2022 sogar nur etwa 30.000 ePA überhaupt durch Vertragsärztinnen und Vertragsärzte mit medizinischen Daten befüllt.
Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass das vorgesehene Opt-out-Verfahren nicht nur das „automatische“ Einrichten einer ePA für alle Versicherten umfasst, die nicht widersprechen. Wie von den Ersatzkassen gefordert, sollen laut Digitalstrategie auch die Befüllung und der Zugriff durch Leistungserbringende regelhaft möglich sein, ohne kompliziertes Freigabeverfahren. Gleichzeitig werden die Versicherten weiterhin die Möglichkeit haben, detaillierte Einstellungen über eine App auf ihrem Smartphone vorzunehmen – aber eben nur dann, wenn sie sich näher mit ihren Gesundheitsdaten in der ePA beschäftigen möchten.
Auch für die Berufsgruppen, die die ePA im Alltag verstärkt nutzen werden, wird es einfacher werden: Mittelfristig sollen bestimmte Informationen aus den Praxisverwaltungs- und Krankenhausinformationssystemen automatisch in die Akten übernommen und krankheitsspezifisch – also übersichtlicher – dargestellt werden. Diese Maßnahmen können allerdings nur dann wirken, wenn neben den Krankenkassen als ePA-Anbieter auch die anderen Beteiligten stärker in die Pflicht genommen werden. Das bedeutet aus Sicht der Ersatzkassen, dass Vertragsärztinnen und Vertragsärzte die relevanten Informationen regelhaft einstellen müssen. Gleichzeitig muss durch ein Zertifizierungsverfahren sichergestellt werden, dass die Softwarehäuser die Anforderungen an ihre Produkte tatsächlich erfüllen und eben nur dann ihre Produkte in den Praxen und Krankenhäusern anbieten dürfen. An diesen beiden Punkten sollte die Koalition in den anstehenden Gesetzgebungsverfahren für mehr Verbindlichkeit sorgen.
Die Digitalisierungsstrategie sieht insgesamt eine Stärkung der gematik vor, sie soll zu einer Digitalagentur umgebaut werden. In diesem Zusammenhang plant der Gesetzgeber jedoch, die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung nunmehr vollständig aus der Gesellschafterstruktur auszuschließen. Dass die GKV trotzdem weiterhin die Kosten fast vollständig tragen soll, passt damit schon ordnungspolitisch nicht zusammen. Gleichzeitig bietet die Strategie die große Chance, das deutsche Gesundheitswesen endlich bei der Digitalisierung voranzubringen und die immer noch bestehenden Vorbehalte abzubauen. Vor diesem Hintergrund ist es für den Erfolg dieses Projektes wichtig, alle relevanten Stakeholder auch weiterhin in die Entscheidungsprozesse einzubinden.
Die ePA könnte außerdem die Chance bieten, mithilfe schnell verfügbarer Daten Versicherte über passgenaue Versorgungskonzepte zu informieren. An dieser Stelle sollte der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen verbessern, mit denen die Krankenkassen noch stärker als Versorgungsmanager für ihre Versicherten agieren könnten. Eine Verknüpfung der bundesweiten und regionalen Versorgungsverträge der Ersatzkassen mit den Daten aus der ePA bringt zusätzliche Qualität und Effizienz in die medizinische Behandlung. Außerdem sollten auch die Behandlungsdiagnosen aus der vertragsärztlichen Versorgung schneller den Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden, damit sie auf dieser Grundlage den Versicherten rechtzeitig entsprechende Versorgungsangebote machen können.
Neben diesen und anderen Inhalten der Digitalisierungsstrategie, die voraussichtlich in den nächsten Wochen ihren Weg in ein Digitalgesetz finden werden, soll außerdem ein sogenanntes Gesundheitsdatennutzungsgesetz die Verwendung von Informationen zum Beispiel aus der ePA für die Forschung regeln. Bisher werden ausschließlich Abrechnungsdaten der Krankenkassen in einem Forschungsdatenzentrum beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gesammelt, die dann der nicht-kommerziellen Forschung zur Verfügung gestellt werden. Die Digitalisierungsstrategie sieht nun vor, neben einer Ausweitung der Datenquellen auf medizinische Informationen und Register auch privatwirtschaftlichen Unternehmen Zugriff zu gewähren. Hierfür soll ebenfalls ein Opt-out-Verfahren für die Versicherten eingeführt werden. Dies ist nachvollziehbar und entspricht den Regelungen in anderen europäischen Ländern sowie den Überlegungen der EU-Kommission für einen Europäischen Gesundheitsdatenraum. In der konkreten Ausgestaltung muss gewährleistet sein, dass diese Daten auf jeden Fall so pseudonymisiert werden, dass ein Rückschluss auf konkrete Personen im Nachhinein nicht möglich ist. Außerdem würden Unternehmen stark von der Nutzung der GKV-Versichertendaten profitieren, wenn sie neue Therapieverfahren entwickeln. Dies muss dann auch bei der Preisgestaltung zugunsten der Krankenkassen berücksichtigt werden.
Insgesamt ist die Digitalisierungsstrategie für Gesundheit und Pflege eine gute Grundlage für eine moderne, vernetzte Versorgung. Wie so häufig kommt es jedoch auch hier auf die konkrete Ausgestaltung in den folgenden beiden Gesetzesvorhaben an. Dabei muss die Ausrichtung, statt einer Fokussierung auf das technisch Mögliche den Nutzen für die Versicherten und ihre Versorgung in den Vordergrund zu stellen, unbedingt beibehalten werden.
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