GKV-Finanzierung

Beitragssatzerhöhungen müssen ein Ende haben

Bis heute fehlen für eine verlässliche und stabile Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nachhaltige Reformen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite. Auch mit Blick auf die soziale Pflegeversicherung (SPV) sind bislang keine mittel- und langfristigen Lösungen in Sicht. Die Politik ist dringend gefordert, eine zukunftsfeste und solidarische Finanzierung sicherzustellen, anstatt Versicherte und Arbeitgeber mit höheren Beiträgen zu belasten.

Die Ersatzkassen setzen alles daran, ihren mehr als 28 Millionen Versicherten (Abb. 1) eine moderne und qualitativ hochwertige Versorgung zu tragbaren Beitragssätzen anzubieten. Sie sind und wollen für die Versicherten attraktiv sein, die steigenden Versichertenzahlen der Ersatzkassengemeinschaft bestärken sie darin (Abb. 2). Doch wird dies aufgrund steigender Ausgaben und nicht umgesetzter Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag immer schwieriger.

Infografik: Verteilung der GKV-Versicherten auf Kassenarten

Abb. 1: Verteilung der GKV-Versicherten auf alle Kassenarten

Infografik: Versicherte der Ersatzkassen

Abb. 2: Versicherte der Ersatzkassen in Millionen, 2010-2023

Uwe Klemens, ehrenamtlicher Vorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek), hat auf der Neujahrs-Pressekonferenz des vdek am 24. Januar 2024 die Bundesregierung entsprechend aufgefordert, endlich für eine verlässliche und stabile Finanzierung der GKV zu sorgen. „Jahr für Jahr steht die GKV vor einer neuen Finanzierungslücke und der Politik fällt nichts weiter ein, als die Versicherten und Arbeitgeber mit höheren Beiträgen zu belasten und sich der Rücklagen der Krankenkassen zu bedienen.“ Das müsse ein Ende haben, ebenso wie die ständige Subventionierung des Bundeshaushalts durch die Beitragszahlenden.

Klemens verwies darauf, dass die Beitragsspirale sich auch in diesem Jahr – zum fünften Mal in Folge – weiter nach oben drehe (Abb. 3).

Infografik: GKV – Beitragssätze

Abb. 3: Entwicklung der GKV-Beitragssätze, 2010-2024

Die wesentlichen Gründe dafür seien teure Gesetzgebungspläne und zwar konkret höhere Vergütungen für stationäre und ambulante Leistungen. Nach Prognose des GKV-Schätzerkreises werden die Ausgaben 2024 über alle Leistungsbereiche hinweg mit voraussichtlich 5,8 Prozent deutlich stärker steigen als die Einnahmen mit rund 2,1 Prozent. Insgesamt stehen den Einnahmen von geschätzt 283 Milliarden Euro Ausgaben in Höhe von 314 Milliarden Euro gegenüber. „Das ist eine Ausgabensteigerung von 17 Milliarden Euro von 2023 auf 2024“, betonte Klemens.

Deshalb hat dieses Jahr für zahlreiche Mitglieder mit einer Beitragssatzerhöhung ihrer Krankenkasse begonnen. 45 Krankenkassen, darunter auch mitgliederstarke Kassen, mussten ihren Zusatzbeitragssatz zum 1. Januar 2024 teilweise erheblich anheben; es gab Erhöhungen um bis zu 0,8 Prozentpunkte. Ebenfalls 45 Krankenkassen ließen ihn unverändert, vier senkten ihn. Von den sechs Ersatzkassen konnten vier ihren Beitragssatz stabil halten, zwei mussten ihn erhöhen. Die Spanne der Zusatzbeitragssätze reicht bei den insgesamt 94 Krankenkassen nun von 0,7 bis 2,7 Prozent (Abb. 4).

GKV – Spanne der Zusatzbeitragssätze

Abb. 4: Spanne der Zusatzbeitragssätze in der GKV

Diejenigen Krankenkassen, die ihren Zusatzbeitragssatz stabil halten konnten, seien nur deshalb in der Lage, weil sie noch über Rücklagen verfügten, erklärte Klemens. Es zeige sich aber auch, dass viele Krankenkassen einen höheren Anstieg ihrer Ausgaben hätten, als die vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) empfohlene Erhöhung von 0,1 Prozentpunkten abdecke. Zu berücksichtigen ist, dass das letzte Jahr maßgeblich durch den gesetzlich verordneten Rücklagenabbau geprägt war. Die Krankenkassen mussten aufgrund dessen ihre Rücklagen bisher um insgesamt 10,5 Milliarden Euro reduzieren. „Das ist Geld, welches die Mitglieder und Arbeitgeber zuvor als Beiträge eingezahlt haben“, betonte Klemens. Folglich hätten die Beitragszahlenden den Löwenanteil zum Ausgleich des Defizits beigetragen, was von der Politik leider fast immer unerwähnt bliebe. „Es ist klar“, so Klemens: „Die Reserven der GKV sind fast aufgebraucht.“

Mit Blick auf die Einnahmenseite bemängelte Klemens, dass wieder nur leere Versprechungen gemacht würden. Vor allem die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag, den Steuerzuschuss für die GKV zu dynamisieren (Abb. 5) und den Bund zu verpflichten, in eine kostendeckende Finanzierung der Beiträge für Bürgergeldempfängerinnen und Bürgergeldempfänger einzusteigen – rund zehn Milliarden Euro pro Jahr –, schienen ein reiner Papiertiger zu sein. Das mache der Verweis auf die angespannte Haushaltslage in dem Finanzpapier deutlich, das das BMG Anfang Januar 2024 veröffentlichte und in dem sogar ausgeführt werde, dass der Bundeszuschuss in Relation zur Ausgabenentwicklung einen Wertverlust von vier Milliarden Euro zu verzeichnen habe.

GKV – Bundeszuschuss

Abb. 5: GKV-Bundeszuschuss in Milliarden Euro, 2004-2024

Das besagte Papier enthält Empfehlungen für eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung, die jedoch aus Sicht des vdek keine zukunftsfeste Finanzierung bieten. Zwar erkenne es Reformbedarf auf der Einnahmen- wie der Ausgabenseite an, jedoch seien die Vorschläge nicht zielführend, es fehle an konkreten Maßnahmen und einem Zeitplan. „Stattdessen sollen die Krankenkassen – sprich die Beitragszahlenden – steigende Gesundheitsausgaben finanzieren“, kritisierte Klemens. Der Ausgleich an die Mitglieder der GKV für gesamtgesellschaftliche Aufgaben sei also real sogar gesunken. Auf der Ausgabenseite werde von Strukturreform gesprochen, deren Finanzwirkungen offen seien. Als Provokation wertete Klemens, dass die Leistungen der Mitglieder zur Konsolidierung der GKV in dem Papier übergangen würden. Man lese zwar von den Beiträgen der Leistungserbringerinnen und -erbringer, aber dass das Abschmelzen von Rücklagen und Anheben von Zusatzbeiträgen direkt aus den Taschen der Beitragszahlenden komme, scheine man auszublenden.

Die GKV wird in diesem Jahr über 300 Milliarden Euro für die Versorgung ausgeben, das sind etwa 4.200 Euro pro Versicherten. Nach einer aktuellen vdek-Schätzung steigen 2024 die Ausgaben allein im Krankenhausbereich auf 99 Milliarden Euro, in der ambulanten ärztlichen Versorgung auf 50 Milliarden Euro und im Bereich Arzneimittel auf 53 Milliarden Euro. „Dafür erwarten wir eine gute Versorgung und effiziente Versorgungsstrukturen für unsere Versicherten“, betonte Klemens und nannte Reformen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite eine prioritäre Aufgabe für 2024.

Soziale Pflegeversicherung braucht langfristige Lösungen

Auch für die Pflegeversicherung habe die Ampelregierung im Koalitionsvertrag mehr versprochen, als sie bislang halten konnte, so Klemens weiter. Positiv für die Pflegebedürftigen in stationären Pflegeeinrichtungen sei, dass bei den Eigenanteilen die Zuschüsse der SPV zum 1. Januar 2024 nochmals erhöht wurden, was die Pflegebedürftigen temporär entlaste. Trotzdem stiegen die Eigenanteile aufgrund der rasanten Preis- und Lohnentwicklung Jahr für Jahr weiter an. „Zwar schließt die SPV in 2023 voraussichtlich mit einem leichten Überschuss von zwei Milliarden Euro ab, das reicht aber nicht aus, um die steigenden Pflegekosten zu finanzieren“, erklärte Klemens. Von einer mittel- oder langfristigen Stabilität könne keine Rede sein. Die in 2023 beschlossenen Leistungsverbesserungen wie die erhöhten Zuschüsse zu den Eigenanteilen in stationären Pflegeeinrichtungen kosteten mehr Geld und die Zahl der Anspruchsberechtigten steige weiter. 2022 waren fast 4,9 Millionen Menschen in der SPV pflegebedürftig, in 2030 wird mit bis zu 5,8 Millionen zu rechnen sein.

Klemens forderte die Koalition auf, die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige von etwa 3,7 Milliarden Euro aus Bundesmitteln zu finanzieren und die von der SPV vorfinanzierten 5,5 Milliarden Euro für die Corona-Schutzschirme mit Steuergeldern zurückzuzahlen. Für die nachhaltige Finanzierung der SPV brauche es zudem die Verpflichtung der privaten Pflegeversicherung, sich mit einem Finanzausgleich an der SPV zu beteiligen. Allein dies könne zu einer Entlastung von bis zu zwei Milliarden Euro jährlich führen. Nicht zuletzt sollten endlich die Länder ihrer Verantwortung für die Finanzierung der Investitionsanteile in der stationären Altenpflege in Höhe von aktuell 485 Euro je Monat nachkommen.

Die Pflege sei auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, betonte Klemens. Immer nur weiter die Beitragszahlenden mit steigenden Pflegekosten zu belasten, könne daher nicht die Lösung sein. Die Koalition habe den gesetzlichen Auftrag, bis zum 31. Mai 2024 Empfehlungen für eine langfristige Finanzierung vorzulegen. Viel Zeit bleibe ihr nicht mehr, für eine stabile Finanzierung zu sorgen. Aber es wäre ein wichtiges Signal für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige wie auch für die Beitragszahlenden, gerade in herannahenden Wahlkampfzeiten. „Wir nehmen die Koalition beim Wort“, sagte Klemens, „und wir haben klare Erwartungen.“

Der vdek hat zu den Herausforderungen der Finanzierung konkrete Vorschläge eingebracht und steht für weiteren Austausch zur Verfügung. Für Klemens steht fest: „Das gemeinsame Ziel aller Beteiligten muss es sein, eine moderne und qualitativ hochwertige Versorgung auch in Zukunft zu tragbaren Beitragssätzen sicherzustellen.“

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