Alles neu macht der Mai. Binnen einer Woche brachte der Monat einen unterzeichneten Koalitionsvertrag, eine holprige Kanzlerwahl, eine Überraschung als Gesundheitsministerin und nicht zuletzt einen neuen Papst hervor. Gründe für Zuversicht gibt es einige, aber auch reichlich Wasser im Wein.

Fast einen Monat nach dem Abschluss der Verhandlungen haben CDU, CSU und SPD am 5. Mai 2025 ihren Koalitionsvertrag mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ unterzeichnet. Damit haben sich die Parteien auf die Grundlagen ihrer Zusammenarbeit in der 21. Legislaturperiode verständigt. 144 detaillierte, im Bereich der Gesundheitspolitik mit mehreren Prüfaufträgen gespickte Seiten zeugen von offensichtlich schwierigen Koalitionsverhandlungen. Über allem schwebt ein genereller Finanzierungsvorbehalt für alle Maßnahmen, die die einzelnen Ministerien umsetzen wollen. Bleibt also doch alles wie gehabt – viele Ankündigungen und am Ende die Blockade durch das Finanzministerium? Es spricht einiges dafür, dass es in dieser Koalition anders laufen könnte als in der zerstrittenen Ampel.
Ein Koalitionsvertrag ohne Visionen
Nüchtern betrachtet ist der Koalitionsvertrag aus Sicht der Ersatzkassen eine Enttäuschung. Mit wenigen Ausnahmen bleibt er Antworten auf die drängenden Handlungsbedarfe im Gesundheitswesen schuldig. Ein nachhaltiges Umdenken oder gar eine zusammenhängende Idee künftiger Versorgung fehlen völlig. Insbesondere wird die Verlagerung wichtiger politischer Entscheidungen in Kommissionen und Arbeitsgruppen der kritischen Situation nicht gerecht. Der Auftrag an eine Kommission, bis 2027 Lösungsvorschläge für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu erarbeiten, klingt nicht nach „Verantwortung für Deutschland“, sondern eher nach Vogel-Strauß-Taktik. Dazu passt, dass die im Sondierungspapier der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege noch enthaltenen Zusagen zur Stabilisierung der GKV-Beitragssätze in der GKV und in der sozialen Pflegeversicherung (SPV) mithilfe von Steuerzuschüssen und der Erstattung von Ausgaben für gesamtgesellschaftliche Aufgaben komplett gestrichen wurden. Allein die Zusage, den bisher durch die GKV zu finanzierenden Anteil am Krankenhaustransformationsfonds (2,5 Milliarden Euro pro Jahr ab 2026) aus dem Sondervermögen Infrastruktur zu finanzieren, wurde erhalten. Damit entfällt immerhin diese zukünftige Zusatzbelastung der Beitragszahlenden. Eine nachhaltige und vorausschauende Finanzierung von Gesundheit und Pflege sieht dennoch anders aus.
Trotzdem ist Schwarzmalerei nicht angesagt. Es ist nachvollziehbar, dass die Koalitionäre vor einem Kassensturz keine weitreichenden Versprechen in den Koalitionsvertrag aufnehmen wollten, die sie später wieder einkassieren müssen. Entsprechend relativiert sich die Funktion des Koalitionsvertrags durch den allgemeinen Finanzierungsvorbehalt. Auch können es sich Union und SPD nicht leisten, einem ungebremsten Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge tatenlos zuzuschauen, der ohne Gegenmaßnahmen droht. Es ist daher durchaus zu erwarten, dass Nina Warken, die neue Gesundheitsministerin, Maßnahmen zur Kostendämpfung auf den Weg bringt, um Spielraum für ihr Handeln zu gewinnen. Einen Beleg für eine im Vergleich zum Vorgänger deutlich veränderte Problemsicht hat die neue Ministerin auch gleich in ihren ersten Tagen geliefert, indem sie die Finanzlage in der GKV öffentlich als dramatisch beschrieben hat. Zudem hat sie als schnelle Maßnahme für Veränderungen bei den Zahlungsfristen des Bundeszuschusses gesorgt, um eventuelle Liquiditätsengpässe zu vermeiden. In ihrer Antrittsrede vor dem Deutschen Bundestag am 15. Mai 2025 hat sie zudem über den Koalitionsvertrag hinausgehend kurzfristige Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzen angekündigt.
Ministerin ohne Fach-, dafür mit Managementerfahrung
Apropos Nina Warken: Das Gesundheitsressort wechselt nach drei Jahren wieder in die Hände der CDU. Und die entsendet mit ihr eine Ministerin ins Kabinett, die zwar in der Gesundheitspolitik als ein unbeschriebenes Blatt gilt, als bisherige Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion in puncto Verhandlungs- und Kommunikationsgeschick jedoch mit allen Wassern gewaschen sein sollte. Gerade für den früher oder später notwendigen Austausch mit dem Finanzminister sollte sie im Vergleich zu ihrem Amtsvorgänger besser gewappnet sein.
Ohnehin ist fraglich, ob der neue Minister Lars Klingbeil (SPD) Haushaltspolitik ähnlich restriktiv versteht wie seinerzeit Christian Lindner (FDP). Zwar wird auch er kaum seine Zustimmung für die zu Beginn der Koalitionsverhandlungen freimütig angekündigten bis zu 17,3 Milliarden Euro Haushaltsmittel jährlich zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen geben. Signalisiert Warken zu Beginn der Legislaturperiode aber Kostenbewusstsein und die Bereitschaft zur Ausgabenbegrenzung, so stehen die Chancen angesichts gewachsener Haushaltsspielräume nicht schlecht, zumindest einen Einstieg in die Stabilisierung der GKV-Finanzen durch höhere Steuerzuschüsse zum Beispiel für Bürgergeldempfänger: innen auszuhandeln. Selbstredend wird dieses Vorhaben kein Selbstläufer. Dass sich im Koalitionsvertrag die seit Langem vom vdek vorgetragene Forderung wiederfindet, Einnahmen- und Ausgabenentwicklung bei GKV und SPV wieder in Einklang zu bringen – und zwar ohne eine weitere Belastung von Beitragszahler:innen – gibt aber Anlass zu Zuversicht. Problembewusstsein ist der erste Schritt auf dem Weg zu guten Reformen.
Notfallreform, Primärversorgung und Pflege zum Auftakt?
Zu Beginn der Regierungszeit dürfen dennoch andere Themen des Koalitionsvertrags im Fokus stehen. Die in der letzten Legislaturperiode bereits fertig ausgehandelte Reform der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes ist entscheidungsreif. Der überwiegende Konsens und der Handlungsdruck in diesem Versorgungsbereich prädestiniert die Reform geradezu als Vorreiterin auf der gesundheitspolitischen Agenda.
Viele Augen richten sich darüber hinaus auf die angekündigte Einführung eines „Primärarztsystems zur Patientensteuerung. Auch der vdek hat hierzu mit dem „persönlichen Ärzteteam“ einen Umsetzungsvorschlag eingebracht, der sich großen Interesses erfreut. Zur genauen Ausgestaltung insbesondere der Rolle der Hausärzt:innen besteht jedoch zwischen den Koalitionspartnern und offenkundig auch aufseiten der Ärzteschaft Klärungsbedarf, sodass bis zu einem Gesetzentwurf noch etwas Zeit ins Land gehen dürfte. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass die Koalition eine Reform, die den ungesteuerten Zugang zur Versorgung in geregelte Bahnen lenkt, prioritär verfolgt.
Nicht zuletzt haben sich die Koalitionsverhandler:innen intensiv mit einer Reform der Pflege befasst. Zwar soll zunächst eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe bis Jahresende Vorschläge für eine SPV-Finanzierungsreform erarbeiten. Ein halbes Jahr liegt allerdings in nicht allzu ferner Zukunft. Mit den an die Arbeitsgruppe gerichteten Fragen, wie die Stärkung pflegender Angehöriger gelingen kann, welchen Leistungsumfang es künftig braucht und wo versicherungsfremde Leistungen künftig verortet werden sollen (nicht in der SPV!), thematisiert die Regierung jedenfalls wichtige Punkte. Bis zu deren Klärung kann die Koalition an der Reform der Pflegeberufe arbeiten. Dabei kann sie auf Entwürfen aus der letzten Legislaturperiode für ein Pflegekompetenz- sowie ein Pflegeassistenzgesetz und zur Einführung der „Advanced Practice Nurse“ aufbauen.
Steht die Kanzlermehrheit, wenn es knifflig wird?
Was nicht passieren darf, ist eine Fortsetzung der Politik gesetzlich induzierter Ausgabensteigerungen, von denen es im Koalitionsvertrag leider einige gibt. Dazu gehört die Weiterentwicklung der AMNOG-Leitplanken mit dem Ziel, innovativen Therapien den Zugang zur Versorgung zu ermöglichen, die Senkung der Prüfquote bei Krankenhäusern zugunsten einer Stichprobenregelung, die (mit einem Prüfauftrag versehene) Entbudgetierung von Fachärzt:innen in unterversorgten Gebieten sowie verschiedene Maßnahmen für Vor-Ort-Apotheken wie die Erhöhung des Apothekenpackungsfixums. Auch die angekündigten Eingriffe in Kassenautonomie durch Verpflichtung zu gemeinsamen Vertrags- und Verwaltungsprozessen wären ein Irrweg in Richtung Einheitskasse und Staatsmedizin. Entscheidend wird am Ende sein, ob die neue Koalition die nötige Kraft aufbringt, mutige Strukturreformen durchzusetzen. Die Kanzlerwahl hat bereits angedeutet, dass es gerade bei kontroversen Themen schwierig werden könnte, die Kanzlermehrheit zusammenzuhalten. Ob dies ein einmaliges Ereignis war, getrieben durch persönliche Abrechnungen oder Unzufriedenheit über die Postenvergabe, oder eine dauerhafte Sollbruchstelle zwischen Union und SPD darstellt, bleibt abzuwarten. Das Ende der Ampel-Regierung sollte dieser Koalition Mahnung genug sein, dass die Wähler:innen jetzt konstruktives Regieren statt parteipolitischer Spielchen erwarten.
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