Mit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 ist schnell klar geworden, dass dadurch in diesem und dem nächsten Jahr Mehrausgaben und ein erheblicher Finanzdruck auf die Leistungserbringer und die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ausgelöst werden. Zur Stabilisierung der Zusatzbeitragssätze der Krankenkassen ist aus heutiger Sicht neben den bis jetzt schon eingebrachten Mitteln ein weiterer Steuerzuschuss in Höhe von 16,6 Milliarden Euro nötig.
Der entstehende Finanzdruck bei den Krankenkassen wurde in einem Ministergespräch am 4. September 2020 dargelegt. Das Ergebnis: Gesundheitsminister Jens Spahn wird sich für zusätzliche Steuermittel für die GKV zur Stabilisierung des Zusatzbeitragssatzes beim Finanzministerium einsetzen. Denn die Bundesregierung hat in den Koalitionsvereinbarungen fixiert, dass der Gesamtsozialversicherungsbeitrag nicht über 40 Prozent ansteigen darf.
Ausgabenseite
Coronabedingt ist auf der Ausgabenseite einerseits die Inanspruchnahme von Leistungen zurückgegangen, im Krankenhaussektor und im Reha-Bereich wurden planbare Leistungen zur Schonung von Kapazitäten bei Betten und Personal aufgeschoben. Für die damit verbundenen Ausgabenausfälle wurden schnell für die verschiedenen Leistungserbringergruppen durch die Bundesregierung Schutzschirme aufgespannt, die zum Teil direkt aus Bundesmitteln oder aus Mitteln der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds finanziert wurden. Andere coronabedingte Nettomehrausgaben, wie etwa Schutzausrüstung, symptomabhängige Test- und Impfkosten, sind von den Krankenkassen zu tragen.
Einnahmeseite
Auf der Einnahmeseite sind aber insbesondere durch den stärksten Konjunktureinbruch seit Bestehen der Bundesrepublik Beitragsgrundlagen für die GKV weggebrochen, die aufgrund der speziellen Finanzierungsmechanik der GKV im Wesentlichen nicht in 2020 (die in 2019 geschätzten Zuweisungen an die Krankenkassen stehen fest), aber in 2021 zu Buche schlagen werden. Die Beitragsmindereinnahmen 2021 werden die Zuweisungshöhe an die Krankenkassen aus dem Gesundheitsfonds bestimmen. Die fast stagnierende Einnahmeentwicklung und die ungebremst fortschreitende Ausgabenentwicklung werden die Deckungslücke bei den Krankenkassen vergrößern.
Die Ergebnisse der von Bundesgesundheitsministerium (BMG) und GKV gemeinsam getroffenen Einschätzung der finanziellen Lage für den Gesundheitsfonds beziehungsweise die Liquiditätsreserve und die Krankenkassen werden im Folgenden erläutert.
Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds
Anfang des Jahres belief sich der Mittelbestand auf 10,2 Milliarden Euro. Diese Reserven wurden genutzt, um Schutzschirme für Leistungserbringer und bestimmte coronabedingte Ausgaben zu finanzieren (−2,4 Milliarden Euro). Aus der Liquiditätsreserve werden vor allem auch die Minderbeitragseinnahmen der GKV infolge des Konjunktureinbruchs finanziert, denn die Zuweisungen an die Krankenkassen sind festgelegt (−3,7 Milliarden Euro). Die Mindereinnahmen bei den Beiträgen aus Versorgungsbezügen in Höhe von geschätzten −1,1 Milliarden Euro gehen auch zulasten der Liquiditätsreserve. Da die Liquiditätsreserve eine Mindestreserve von 4,3 Milliarden Euro nicht unterschreiten darf, wurde im Sommer 2020 kurzfristig ein Sonderbundeszuschuss in Höhe von 3,5 Milliarden Euro beschlossen. Ende 2020 könnte sich letztendlich schätzungsweise ein neuer Mittelbestand in Höhe von 5,6 Milliarden Euro ergeben.
Bereits heute sind weitere gesetzlich vorgegebene Entnahmen aus der Liquiditätsreserve vorgesehen. Die Rücklagen könnten Ende 2021 in etwa auf die Höhe der Mindestreserve von über vier Milliarden Euro absinken.
Fazit: Damit entsteht zurzeit kein weiterer Handlungsbedarf zur Auffüllung der Liquiditätsreserve auf die gesetzlich vorgegebene Mindestreserve.
Krankenkassen
Im ersten Halbjahr 2020 wiesen die Krankenkassen einen Überschuss von 1,3 Milliarden Euro aus. Dieser resultiert aus der Corona-Situation mit den temporär entstandenen Leistungsausfällen mit entsprechend geringeren Abrechnungen im ambulanten und stationären Bereich. Für das Gesamtjahr 2020 kann aber nicht mit einem Überschuss gerechnet werden, umgekehrt muss infolge der allgemeinen Kostenentwicklung und der verschiedenen Gesetzeswirkungen (insbesondere durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) und Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG)) mit einem Defizit von bis zu drei Milliarden Euro gerechnet werden.
Für die Ausgaben der Krankenkassen 2020 wird ein Volumen von 258,2 Milliarden Euro (+4,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr) geschätzt. Daraus resultiert eine GKV-weite Unterfinanzierung der Krankenkassen in Höhe von rund −18 Milliarden Euro für das Jahr 2020. Diese Mittel sind über Zusatzbeiträge der Kassen aufzubringen. Der durchschnittliche GKV-Zusatzbeitragssatz 2020 würde sich unter den getroffenen Annahmen rechnerisch auf 1,2 Prozent belaufen. Damit liegt dieser 0,1 Prozent über dem vom BMG zum 1. November 2019 festgelegten durchschnittlichen GKV-Zusatzbeitragssatz nach §242a SGB V von 1,1 Prozent für 2020.
In der Ausgangssituation 2020 entsteht also schon ein Beitragssatzanpassungsdruck, der die Kalkulation 2021 mitbeeinflusst.
Der eigentliche Finanzdruck für die Krankenkassen entsteht in 2021, weil die konjunkturbedingten Minderbeitragseinnahmen 2020 und 2021 die Zuweisungen 2021 bestimmen. Die Einnahmen nehmen nach der Schätzung nur um 1,1 Milliarden Euro (+0,4 Prozent) zu (siehe Grafik).
Demgegenüber steigen nach den Schätzungen die Ausgaben um 16,5 Milliarden Euro (+6,2 Prozent). Als quasi von einer Normalentwicklung abweichende Effekte kommen Corona-Mehrausgaben und eine Normalisierung der Leistungserbringung hinzu. Daraus resultiert eine GKV-weite Unterfinanzierung der Krankenkassen in Höhe von −33,4 Milliarden Euro für das Jahr 2021. Diese Mittel wären über Zusatzbeiträge der Kassen aufzubringen. Die Deckungslücke der GKV wäre damit, insbesondere aufgrund der schwachen Einnahmenentwicklung, deutlich angewachsen. Der durchschnittliche GKV-Zusatzbeitragssatz 2021 würde sich unter den getroffenen Annahmen rechnerisch auf 2,2 Prozent belaufen, damit verdoppeln.
Fazit: Für das Ziel eines konstanten durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes wäre ein zusätzlicher Bundeszuschuss in Höhe von 16,6 Milliarden Euro für 2021 notwendig. Damit wäre die Voraussetzung geschaffen, gemäß Koalitionsvereinbarung den Anstieg des Gesamtsozialversicherungsbeitragssatzes über 40 Prozent hinaus zu verhindern.