Die Soziale Pflegeversicherung (SPV) steht vor großen finanziellen Herausforderungen. Daher sind tragfähige Konzepte für eine zukunftsfeste Finanzierung dieser wichtigen Säule der Sozialversicherung gefragt. Zwei wesentliche Dinge müssen unbedingt angegangen werden: Den steigenden Finanzbedarf der SPV abzusichern und die zunehmende finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen zu begrenzen.
Die Finanzlage in der SPV ist angespannt. Die Pflegereformen der Vergangenheit gingen mit erheblichen Leistungsverbesserungen für alle Pflegebedürftigen und einer Erweiterung des Personenkreises an Leistungsberechtigten einher. Man kann heute davon ausgehen, dass allein die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Jahr 2017 einmalig bis zu sieben Milliarden Euro gekostet hat und jährliche Mehrausgaben von mindestens zwei Milliarden Euro nach sich ziehen. Die demografische Entwicklung trägt ein Übriges zur Ausgabensteigerung bei: Waren im Jahr 2000 rund 1,8 Millionen Bundesbürger auf Leistungen aus der SPV angewiesen, sind es aktuell knapp über vier Millionen Menschen. Trotz der Beitragssatzanhebung im Jahr 2019 auf 2,95 beziehungsweise 3,05 Prozent werden die Rücklagen in der SPV in 2021 die Mindestreserve wieder unterschreiten und in 2023 voraussichtlich aufgebraucht sein.
Die coronabedingten Mehrausgaben für die SPV (Finanzielle Schutzschirme und Corona-Prämie) belaufen sich nach aktuellen Auswertungen des Verbands der Ersatzkassen e. V. (vdek) bereits auf rund 1,9 Milliarden Euro. Diese werden einmalig und überwiegend mit dem Steuerzuschuss von 1,8 Milliarden Euro abgedeckt. Aber bereits die mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) angelegte Verlängerung des finanziellen Schutzschirms (rund 0,3 Milliarden Euro) und die im Gesundheitsversorgungsverbesserungsgesetz (GVPG) enthaltenen Maßnahmen zur Finanzierung von zusätzlichen Pflegehilfskräften (0,3 Milliarden in 2021 und dann jährlich 0,6 Milliarden Euro) sind damit nicht mehr abgedeckt.
Dauerhafter Steuerzuschuss
Mit dem einmaligen Steuerzuschuss von 1,8 Milliarden Euro ist ein erster Schritt getan, der die Finanzsituation der SPV aber nicht dauerhaft stabilisiert. In §8 SGB XI ist explizit die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die pflegerische Versorgung der Bevölkerung genannt. Die Absicherung des Pflegerisikos ist also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss daher dauerhaft durch einen Steuerzuschuss mit hoher Verbindlichkeit und unabhängig von konjunkturellen Schwankungen gesichert werden. Ein solcher Zuschuss könnte regelgebunden zum Beispiel als Anteil der Leistungsausgaben ausgestaltet werden, der im Gleichtakt mit den Ausgaben der Pflegeversicherung steigt.
Die Verlagerung der Kosten der medizinischen Behandlungspflege von der SPV in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist im Übrigen keine tragfähige Finanzierungsalternative, handelt es sich hierbei doch nur um einen „Verschiebebahnhof“ zulasten der GKV, welcher die ohnehin sehr angespannte Finanzsituation der Krankenkassen weiter verschärfen und in der Folge zwangsläufig zu weiteren Beitragssatzsteigerungen führen würde. Auch wäre diese Verlagerung mit einem erheblichen Bürokratieaufwand bei den Krankenkassen verbunden. Die Leistungen müssten zukünftig durch einen Arzt gesondert verordnet und von der Krankenkasse genehmigt werden.
Private Pflegeversicherung beteiligen
Angesichts der finanziellen Herausforderungen in der SPV bleibt unerklärlich, wieso sich die private Pflegeversicherung nicht an dem gemeinsamen Solidarausgleich finanziell beteiligt. Bis heute findet keine ausgewogene Lastenverteilung zwischen den beiden Systemen statt, da die Versicherten in der privaten Pflegeversicherung eine deutlich günstigere Alters- und Geschlechtsstruktur aufweisen. Bei gleichem Leistungsrecht und gleichen Beurteilungskriterien betragen die durchschnittlichen Leistungsausgaben nur 40 Prozent der Ausgaben in der SPV. Hier findet aktuell eine unsolidarische Risikoselektion statt. Ein solcher Finanzausgleich könnte die SPV um bis zu zwei Milliarden Euro jährlich entlasten.
Die SPV ist so angelegt, dass – je nach Grad der Pflegebedürftigkeit – gesetzlich festgelegte Leistungsbeträge gewährt werden. Waren diese Beträge bei Einführung der SPV (1995) der Höhe nach noch geeignet, die durchschnittliche Pflegevergütung abzudecken, zeigt sich heute, dass die Pflegebedürftigen erheblich finanziell belastet werden. Dabei hat diese Belastung eine Dimension angenommen, die zumindest im stationären Bereich die Schwelle der Tragfähigkeit vieler Pflegebedürftiger überschreitet. Im Schnitt bezahlt aktuell jeder stationär versorgte Pflegebedürftige für pflegebedingte Aufwendungen, Ausbildungsumlage, Investitionskosten sowie Unterkunft und Verpflegung zusammen monatlich durchschnittlich rund 2.000 Euro (Stand 1. Juli 2020). Im ambulanten Bereich sind die Effekte monetär so eindeutig nicht zu beziffern, da die Eigenanteile der Pflegebedürftigen nicht genau angegeben werden können. Gegebenenfalls verzichten die Pflegebedürftigen auch auf eine weitergehende Versorgung durch ambulante Pflegedienste.
Kurz- und mittelfristig werden weiterhin steigende Löhne und insbesondere auch das neue Personalbemessungssystem in der Pflege die Vergütungssätze und damit die finanzielle Belastung für die Pflegebedürftigen steigen lassen. Um eine kurzfristig spürbare Entlastung für die Pflegebedürftigen zumindest bei den pflegebedingten Eigenanteilen zu schaffen, sollten die im SGB XI verankerten Leistungsbeträge einmalig angehoben werden. Im vollstationären Bereich könnte damit der vom Pflegebedürftigen zu tragende einrichtungseinheitliche Eigenanteil reduziert werden. Im ambulanten Bereich könnten die Pflegebedürftigen sich mehr Leistungen einkaufen, was auch zu einer Entlastung der pflegenden Angehörigen führen würde.
Länder in der Pflicht
Daneben darf nicht aus dem Blick geraten, dass als weiterer wesentlicher Kostenblock für den Pflegebedürftigen die Investitionskosten (453 Euro/Monat) anfallen. Dabei ist Förderung von Investitionskosten gemäß den Vorschriften des SGB XI Aufgabe der Länder. Bei Einführung der SPV sollte so eine Kompensation für die damalige erhebliche finanzielle Entlastung der Länder bei der Sozialhilfe durch die Einführung der SPV erreicht werden. Dieser Aufgabe kommen die Länder bis heute nicht umfassend nach und nutzen die unverbindliche Regelung im SGB XI, um sich ihrer finanziellen Verantwortung zu entziehen. Möglich wird dies, indem die Investitionskosten auf die Vergütungssätze und damit auf die Pflegebedürftigen umgelegt werden. Eine verbindliche Verpflichtung der Länder zur Übernahme der Investitionskosten ist auch eine zentrale Voraussetzung, um eine gleichmäßigere Versorgung der Bevölkerung mit stationären Pflegeleistungen in Ballungsgebieten und im ländlichen Raum sicherzustellen.
Die SPV braucht möglichst kurzfristig ein solides Finanzierungskonzept. Ein dauerhafter Steuerzuschuss muss ein Bestandteil eines solchen Konzeptes sein, denn Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch müssen die finanziellen Eigenanteile im Leistungsfall begrenzt werden, da sie eine kritische Marke erreicht haben und ansonsten eine Entsolidarisierung droht. Und die Länder sind gefragt, bei den Investitionskosten endlich ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen und nicht länger den Pflegebedürftigen die Kosten hierfür aufzubürden.