Eine Vielzahl von Entwicklungen in der Human-, Zahn- und Veterinärmedizin hat in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass Resistenzen gegenüber Antibiotika bis heute weiter global zunehmen. Diesem Trend entgegenzuwirken und ein rationales Antibiotika-Verordnungsverhalten bei akuten Atemwegsinfektionen zu fördern, war das Ziel des Innovationsfondsprojektes RESIST. Der Evaluationsbericht zeigt nun, dass eine bessere Arzt-Patienten-Kommunikation, gezielte Fortbildungen für Mediziner sowie anschauliche Patienteninformationen entscheidend dazu beitragen, die Verordnungsrate zu senken.
Das Projekt „RESISTenzvermeidung durch adäquaten Antibiotikaeinsatz bei akuten Atemwegsinfektionen“ führte der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und acht Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) vom 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2019 bei 2.460 Haus-, Kinder- und HNO-Ärzten sowie bei Fachärzten für Innere Medizin durch. Behandelt wurden über eine Million Ersatzkassenversicherte mit akuten Infektionen der Atemwege. RESIST wurde vom Institut für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Rostock sowie dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) wissenschaftlich begleitet.
Ein elementarer Bestandteil des Projekts war die Onlinefortbildung, die sich auf zwei Schwerpunkte fokussierte: Auffrischung des vorhandenen Wissens zur rationalen Antibiotikatherapie bei akuten Atemwegsinfektionen und Arzt-Patienten-Kommunikation. Wie die begleitende Prozessevaluation zeigte, bewerteten die teilnehmenden Ärzte insbesondere die mittels Videosequenzen aufgezeigten Lösungsmöglichkeiten für herausfordernde Gesprächssituationen und die Hinweise für eine gelungene Kommunikation im Sinne des Shared-Decision-Making als hilfreich. Durch die Anwendung der vorgeschlagenen Kommunikationstechniken gelang es einem Teil der Ärzte, die Konsultationsdauer zu verkürzen und gleichzeitig die eigene Zufriedenheit und die der Patienten bezüglich der Behandlungssituation zu steigern.
Neben der Onlinefortbildung bekamen die Ärzte auch Praxis- und Patienteninformationen wie Flyer, Praxisposter und Infozept mit Tipps zum Umgang mit Erkältungskrankheiten als Alternative zum Rezept. Zusätzlich wurde nach rund einem Jahr ein Feedback-Newsletter zum Verordnungsverhalten an die Teilnehmer versandt.
Innerhalb des Studienzeitraumes sank die Verordnungsrate von Antibiotika bei akuten Atemwegsinfekten deutschlandweit bei Patienten der an RESIST beteiligten Fachgruppen um 16 Prozent. Während in der Wintersaison vom vierten Quartal 2016 bis zum ersten Quartal 2017 noch 29 Prozent der Patienten mit akutem Atemwegsinfekt ein Antibiotikum erhielten, waren es im Zeitraum vom vierten Quartal 2018 bis zum ersten Quartal 2019 nur noch 24 Prozent. Wird der Blick nur auf die Teilnehmer gerichtet, kann eine noch stärkere Reduktion festgestellt werden: Hier gelang es, die Verordnungsrate im gleichen Zeitraum auf 20 Prozent zu senken. Hätten alle Ärzte ein mit den RESIST-Teilnehmern vergleichbares Verordnungsverhalten aufgewiesen, hätten allein in der Wintersaison vom vierten Quartal 2018 bis zum ersten Quartal 2019 über 950.000 Patienten weniger, die an einer akuten Atemwegsinfektion litten, ein Antibiotikum erhalten.
Der Blick auf die einzelnen Indikationen (Infektionen der oberen und unteren Atemwege, Pneumonie und Influenza) zeigt bei den Teilnehmern eine signifikant stärkere Reduktion der Verordnungsrate gegenüber den Nicht-Teilnehmern überall dort, wo eine Antibiose optional und in der Regel verzichtbar ist. Bei der Lungenentzündung (Pneumonie) hingegen, die die Gabe eines Antibiotikums erforderlich macht, konnten keine Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern festgestellt werden. Die Ärzte verzichteten also nicht generell, sondern sehr gezielt auf nicht unbedingt erforderliche Verordnungen.
Neben der Verordnungsentscheidung konnte auch die Wirkstoffauswahl optimiert werden. So zeigt die Evaluation, dass die teilnehmenden Ärzte dem Leitgedanken von RESIST – „So schmal wie nötig, so breit wie möglich“ – folgten und häufiger als zuvor und auch häufiger als Nicht-Teilnehmer zu einem Antibiotikum mit einem schmaleren Wirkspektrum griffen. Hervorzuheben sind an dieser Stelle die Fluorchinolone, die in der ambulanten Versorgung als Mittel der Reserve der Behandlung von schweren Infektionen vorbehalten sein sollten. Nach RESIST (vom vierten Quartal 2018 bis zum ersten Quartal 2019) verordneten 80 Prozent der teilnehmenden Ärzte maximal fünf Prozent der Patienten mit einer Infektion der unteren Atemwege ein Fluorchinolon. Vor RESIST (vom vierten Quartal 2016 bis zum ersten Quartal 2017) waren es hingegen nur 68 Prozent. Erfreulich ist auch der nachgewiesene reduzierte Einsatz von Cephalosporinen, da diese in Deutschland im ambulanten Bereich vergleichsweise häufig zum Einsatz kommen, oft aber durch Antibiotika mit einem für die Indikation und in Bezug auf die Resistenzsituation besser geeignetem Profil ersetzt werden können.
Ulrike Elsner, vdek-Vorstandsvorsitzende
„Die Evaluation zeigt, dass wir RESIST erfolgreich umsetzen konnten. Das ist keine Selbstverständlichkeit, da viele Innovationsfondsprojekte mit Rekrutierungsproblemen kämpfen. Mit den insgesamt fast 2.500 teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten ist uns dies sehr gut gelungen. Dieser Erfolg beruht auch auf der Zusammenarbeit starker und versierter Partner und zeigt, dass die gemeinsame Selbstverwaltung funktioniert. Wir hoffen, dass der Innovationsausschuss sich der positiven Bewertung anschließt und das Konzept dauerhaft Eingang in die Versorgung findet.“
Dr. Stephan Hofmeister, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender KBV
„RESIST hat gezeigt, dass mit relativ einfachen Mitteln großes Engagement bei den Projektbeteiligten und messbare Erfolge zu erzielen sind. Mit dem Maßnahmenpaket aus ärztlichen Online-Fortbildungen, Aufwandsentschädigungen zur Teilnahme sowie Informationsmaterialien für Patienten ist es gelungen, einen noch behutsameren Umgang mit Antibiotika bei akuten Atemwegserkrankungen zu erreichen. Der zuvor schon im Vergleich zu anderen Ländern bewusste Umgang der Ärzte hierzulande mit Antibiotika und der bereits vorhandene weiter rückläufige Trend bei den Verordnungen konnten im Rahmen des Projekts noch einmal verbessert werden.“