Sechs Landtagswahlen plus Bundestagswahl: Das Jahr 2021 verspricht, hochspannend zu werden. Zum einen weil die Ära Merkel zu Ende geht. Zum anderen weil die Urnengänge diesmal vor allem zur Abstimmung über den Umgang mit der Coronakrise geraten dürften. Noch voll im Eindruck des Zugemuteten und Unterlassenen wird belohnt oder abgestraft, bestätigt oder neu justiert. Gesundheitspolitik, wahlentscheidend wie nie.
Sind die Regierenden ihrer Verantwortung gerecht geworden? Hat sich die Opposition konstruktiv an der Pandemie-Bewältigung beteiligt oder bloß gebremst, getönt, Sand ins Getriebe geworfen? Wer muss für die Fehler geradestehen – die fehlende Schutzausrüstung zu Beginn, das Sterben in den Heimen, halbherzige Lockdowns, Unterspielen der Gefahr, überdrehte Schutzmaßnahmen, Impf-Verzögerungen? Und wem ist mit welchen Konzepten am ehesten zuzutrauen, Land und Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen? All das kommt in die Waagschale.
Klar ist, dass außer unmittelbarer Krisenbewältigung inhaltlich kaum mehr was laufen und Wahlkampfgeklingel alles übertönen wird. Das ist nicht unüblich in einer ausklingenden Legislatur. Doch diesmal könnte alles noch heftiger und schriller ausfallen als gewohnt. Einen Vorgeschmack hat bereits die SPD geliefert mit ihrer frühen und für einen Koalitionspartner doch recht geharnischten Kritik am Impfmanagement des Gesundheitsministers.
Allerdings stehen die beiden ersten Wahlen schon am 14. März ins Haus – und beide könnten folgenreich sein. Baden-Württemberg erwartet ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Grünen und CDU. In Rheinland-Pfalz bangt die dauerregierende SPD, ob sie im Sattel bleiben darf. Das politisch fragile Sachsen-Anhalt folgt im Juni. Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind dann wohl erst im September dran, mit dem Bundestag. Und Thüringen hat seine Wahlen ebenfalls in den Herbst verschoben, begründet durch hohe Infektionszahlen. Womöglich hofft die Linke dort aber auch auf die Vergesslichkeit der Wähler. Schließlich hat Ministerpräsident Bodo Ramelow eingestehen müssen, die Pandemiegefahr zu lange heruntergespielt zu haben.
Gelingt die Pandemiebewältigung?
Eines haben alle anstehenden Wahlen gemeinsam: Es hängt viel davon ab, ob und wie die Regierenden die Pandemie in den Griff bekommen. Im Bund wird daran vor allem die CDU gemessen – mit dem Fokus weniger auf der ohnehin abtretenden Kanzlerin als auf zwei ihrer Spitzenpolitiker. Ob der Daumen für den zeitweiligen Umfragehelden Jens Spahn oben bleibt, ist aufs Engste mit dem Erfolg von Coronamaßnahmen und Impfkampagne verbunden. Ob Wirtschaftsminister Peter Altmaier punktet oder stolpert, entscheidet sich daran, wie stark die Konjunktur einbricht und wie die Firmen die Krise überstehen. Erfolg oder Misserfolg beider gehen aufs Gesamtkonto der Regierungspartei. Bei einem Kanzlerkandidaten Armin Laschet käme die Befindlichkeit im bevölkerungsreichsten Bundesland dazu. Wenn es Söder macht, die Frage, ob man sich auch außerhalb Bayerns einen rigoroseren Krisenbändiger ersehnt und dieser nicht mit Aktionismus überzieht.
Rechtfertigen zu haben wird sich aber auch die SPD. Da sie sowohl den Finanzminister als auch den Sozial- und Arbeitsminister stellt, trägt sie auch direkt Verantwortung für finanzielle Schutzschirme, Kurzarbeiterregelung, soziale Flankierung. Konkurrenz machen den Sozialdemokraten hier neuerdings die Grünen mit vielen eigenen Ideen. Die Linkspartei wird abgestürzte Selbständige umwerben, die FDP versuchen, die Schuld für wirtschaftliche Folgewirkungen bei Union und SPD abzuladen. Spannend auch, ob die AfD von Verlierern der Krise gewählt wird oder ob den Populisten nicht doch ihre dreiste Fahrlässigkeit im Umgang mit Corona um die Ohren fliegt.
Und was ist mit den anderen Baustellen des Gesundheitssektors? Sie werden vor allem im Zusammenhang mit der Coronakrise eine Rolle spielen. Bei der Digitalisierung richtet sich der Blick darauf, ob und wie schnell die rückständigen Gesundheitsämter Anschluss ans 21. Jahrhundert finden. Beim Pflegenotstand, ob Kliniken und Heime wegen fehlender Fachkräfte nicht doch noch in die Knie gehen. Und ob es die Regierenden angesichts des Beinahe-Desasters nun vielleicht doch mal schaffen, die dringend benötigten Pflegekräfte nachhaltig zu entlasten und besser zu entlohnen.
Reformschub durch Corona
Für beides gilt: Die Pandemie hat Missstände und Rückständigkeiten schmerzhaft verdeutlicht und nötigen Reformen einen Schub verpasst. Im digitalen Sektor gilt das für die endlich auf den Weg gebrachte elektronische Patientenakte ebenso wie für die Einsicht, wie wichtig die Möglichkeit von Videobehandlung oder der Zugang zu Forschungsdaten ist. Bei der Pflege, dass der Beruf in einer alternden Gesellschaft systemrelevant ist und schleunigst aufgewertet gehört. Auch die Fehlentwicklung, immer mehr wichtige Arznei, Medizinprodukte und Impfstoffe in Billigländern produzieren zu lassen und sich dadurch in gefährliche Abhängigkeiten begeben zu haben, ist augenfällig geworden.
Bei der überfälligen Krankenhausreform sieht es anders aus. Klinikverbände fühlen sich durch Versorgungsengpässe während der Coronakrise in ihrer Forderung nach mehr Hilfen auch für kleine Häuser bekräftigt. Das könnte sich als kontraproduktiv für die dringend nötige Spezialisierung und Zentralisierung erweisen, die endlich angegangen werden müsste, durch Föderalismus und kommunale Begehrlichkeiten aber nicht von der Stelle kommt.
Ansonsten sind die im Koalitionsvertrag angekündigten Vorhaben größtenteils abgearbeitet. Spannend ist die Frage, ob es Spahn noch hinbekommt, seine Pläne zur Entlastung von Heimbewohnern umzusetzen. Der Minister will den Eigenanteil auf 700 Euro begrenzen, einen Gesetzentwurf dafür hat er im Coronastress aber noch nicht vorgelegt. Auf der Agenda stehen zudem noch ein Digitalversorgungs- und Pflegemodernisierungs-Gesetz, die versprochene Runderneuerung der Notfallversorgung, eine MTA-Reform und ein Restegesetz zur Gesundheitsversorgung.
Bleiben die Finanznöte der Kassen, die sich bereits auf den Gehaltskonten der Bürger bemerkbar machen und die in normalen Zeiten auch Wahlen verhageln können. Hilfreich für die Regierenden und insbesondere für Spahn, dass viele die gestiegenen Beiträge als Preis für die schlimme Pandemie empfinden und daher hinzunehmen bereit sind. Tatsächlich werden deren Folgekosten, etwa für Lockdowns und Einnahmeausfälle der Versicherer, erst 2022 so richtig zu Buche schlagen.
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