Koalitionsvertrag

Wichtige Projekte vorgenommen – Finanzierung seriös sicherstellen

Am 24. November 2021 ist über dem politischen Berlin weißer Rauch aufgestiegen, der neue Koalitionsvertrag wurde der Öffentlichkeit präsentiert. Bereits beim ersten Blick auf den 179-seitigen Vertrag wird deutlich: Die Koalition aus SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP will viele Baustellen angehen: etwa die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Strukturreformen in der Krankenhauslandschaft, die Versorgung in strukturschwachen Regionen, die Stärkung der Prävention und die Pflege.

Illustration: Koalitionsvertrag

In Sachen Finanzierung ist es begrüßenswert, dass die Ampel-Koalition den Steuerzuschuss künftig regelhaft dynamisieren will. An welcher Regel sich dies orientieren soll, bleibt jedoch unklar. Ein einfacher Inflationsausgleich wird wahrscheinlich nicht ausreichen. Daneben soll künftig ein höherer GKV-Beitrag für ALG-II-Empfänger:innen geleistet werden. Derzeit führt die Arbeitslosenversicherung lediglich einen pauschalen Beitrag an die GKV ab, der nicht kostendeckend ist. Ob der höhere Beitrag tatsächlich kostendeckend sein wird, ist ungewiss. Insbesondere der Arzneimittelbereich ist ein Kostentreiber in der GKV. Das Arzneimittelpreismoratorium soll erhalten bleiben. Zusätzlich soll das erste Jahr der freien Preisbildung für neue, patentgeschützte Arzneimittel zumindest teilweise entfallen. Der im Zuge des AMNOG-Verfahrens ermittelte Erstattungsbetrag soll bereits ab dem siebten Monat gelten. Einen noch weitergehenden Entlastungseffekt hätte die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes gebracht.

Die nachhaltige Finanzierung der GKV scheint der Koalition ein Anliegen zu sein, einzelne Vorschläge wurden auch von den Ersatzkassen gefordert. Allerdings hätten konkretere und entschiedenere Maßnahmen verabredet werden müssen. Für 2022 ist die finanzielle Situation gesichert, doch bereits ab 2023 drohen neue Herausforderungen. Da wird es auch nicht reichen, nur die Einnahmeseite zu reformieren, auch die Wirtschaftlichkeit der erbrachten Leistungen muss debattiert werden.

Umfassende Pflegereform geplant

In der Pflege will die Koalition einen neuen Anlauf für eine Reform wagen. Die Kurzzeit‑ und Verhinderungspflege soll zu einem flexiblen Entlastungsbudget zusammengefasst werden. Daneben sollen die Pflegegeldleistungen dynamisiert werden. Beides waren Forderungen des vdek. Dass die Behandlungspflege aus der sozialen Pflegeversicherung (SPV) in die GKV verschoben werden soll, ist ein finanzieller Verschiebebahnhof ohne eine Versorgungsverbesserung und vor allem ohne Gegenfinanzierung für die zusätzliche Belastung für die GKV. Zusätzlich soll der Beitrag zur Pflegeversicherung „moderat“ angehoben werden. Zudem will die Koalition durch eine Kommission prüfen lassen, die Pflegeversicherung um eine freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung zu ergänzen. Wie das konkret ausgestaltet werden soll, ist fraglich.

Die Koalition will eine Strukturreform der Krankenhausversorgung unternehmen. Es ist beinahe unstrittig, dass einerseits im städtischen Raum eine Überversorgung herrscht, während im ländlichen Raum stellenweise Unterversorgung droht. In der Konsequenz bedeutet das eine Fehlversorgung. Die Koalition adressiert die Lösungsansätze korrekt. Zwischen Bund und Ländern muss es zu einer politischen Übereinkunft kommen. Die Krankenhausplanung soll weiterentwickelt werden, orientiert an Leistungsgruppen und Versorgungsstufen unter Berücksichtigung von Kriterien wie Erreichbarkeit und Demografie. Für den Bund-Länder-Pakt soll eine Regierungskommission Leitplanken entwickeln. Die Vergütung soll sich an den Versorgungsstufen unter Ergänzung eines differenzierten Systems von Vorhaltekosten orientieren. Eine differenzierte Vergütungssystematik fordert auch der vdek. Ein maximalversorgendes Uniklinikum hat andere Vorhaltekosten zu finanzieren als ein basisversorgendes Kreiskrankenhaus. Bereits seit langem fordern die Ersatzkassen zusätzlich eine Verdichtung von Leistungen in Spezialzentren. Das nutzt letztlich auch der Versorgungsqualität und der Patient:innensicherheit, ein Aspekt, den der Vertrag nicht adressiert. Qualitätsverbesserung durch Leistungskonzentration, das fehlt im Koalitionsvertrag. Dafür werden sich die Ersatzkassen auch in der neuen Legislaturperiode weiter stark machen.

Stärkung der ambulanten Versorgung

In strukturschwachen Kommunen sollen niedrigschwellige Beratungsangebote („Gesundheitskioske“) gefördert werden. Multiprofessionelle integrierte Gesundheits‑ und Notfallzentren sollen für eine wohnortnahe ambulante und kurzstationäre Versorgung ausgebaut werden. Es ist geplant, den Spielraum für regionale Versorgungsverträge zwischen Kassen und Leistungserbringern zu öffnen. Die Ambulantisierung soll durch Hybrid-DRG forciert werden. Der vdek sieht eine Stärkung der ambulanten Versorgung grundsätzlich positiv. Prävention und Vorsorge ist der Leitgedanke des Koalitionsvertrags. Primar‑ und Sekundärprävention sollen gestärkt und Nationale Präventionspläne zu Bereichen wie etwa Diabetes, Suizid oder auch umweltbedingten Erkrankungen formuliert werden. Aus Sicht des vdek ist besonders erfreulich, dass das nationale Gesundheitsziel „Gesund rund um die Geburt“ umgesetzt werden soll. Dieses Ziel ist im Aktionsbündnis Gesundheitsziele.de entwickelt worden, in dem sich der vdek seit vielen Jahren engagiert.

Digitalisierung im Fokus

Die Themen Digitalisierung und Entbürokratisierung stellt der Koalitionsvertrag weit oben auf die Agenda. Der Bürokratieabbau muss aber so gestaltet sein, dass darunter die Qualität der Versorgung nicht leidet. Die elektronische Patientenakte (ePA) soll zu einem Opt-Out-Modell weiterentwickelt werden. Ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz ist ebenfalls geplant. Der vorgesehene Ausbau der gematik zu einer digitalen Gesundheitsagentur darf allerdings nicht ohne die gemeinsame Selbstverwaltung passieren. Diese muss wieder stärker in die Gestaltungs‑ und Entscheidungsprozesse eingebunden werden.

Vermissen lässt der Koalitionsvertrag allerdings ein Bekenntnis zur Selbstverwaltung. Die Selbstverwaltung ist, gerade auch während der Pandemie, ein Erfolgsgarant und sichert eine versichertennahe und leistungsfähige Versorgung. Erfreulich ist, dass die vdek-Forderung für eine verbindliche, geschlechterparitätische Besetzung der Selbstverwaltungsgremien aufgegriffen wurde.

Die Koalitionäre übernahmen wichtige Vorschläge der Ersatzkassen. Das Ansinnen einer Krankenhausreform ist notwendig und die konkreten Vorschläge sind im Ansatz sachgerecht und sollten um den Aspekt Qualität ergänzt werden. Angesichts der vagen Festlegungen bleibt es fraglich, wie die GKV-Finanzsituation nachhaltig stabilisiert werden kann. Wenn die bisherigen und im Koalitionsvertrag vorgesehenen zusätzlichen Leistungen finanziert werden sollen, muss es eine ehrliche Debatte über eine seriöse Umsetzung geben.

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