vdek-Fachveranstaltung „Klimawandel und Gesundheit“

Stärker ins Handeln kommen

Inmitten von Protestaktionen der Vertragsärzteschaft und steigender Lebenshaltungskosten haben die Verhandlungen zum ärztlichen Honorar 2024 auf Bundesebene stattgefunden. Nach zähem Ringen und unter Beteiligung des Schiedsgremiums konnte am 13. September 2023 schließlich ein Ergebnis erzielt werden.

Diskutierten Lösungen für ein nachhaltiges Gesundheitssystem (v. l. n. r.): Dr. Ameli Gerhard (KLUG), Ulrike Elsner (vdek), Moderator Gerhard Schröder (Deutschlandfunk), Thomas Diekamp (AWO) und Johannes Wagner MdB (Bündnis 90/Die Grünen)

Der anthropogene, also durch den Menschen verursachte Klimawandel ist geprägt von einer enormen Zunahme von Treibhausgasen. Die Auswirkungen dieser globalen Erwärmung zeigen sich in vielerlei Hinsicht, von extremen Wetterlagen wie Hitzewellen, Wirbelstürmen, Überschwemmungen und Flächenbränden über schleichende Umweltveränderungen wie Gletscherschmelze und abnehmende Artenvielfalt bis hin zu gesellschaftlichen Veränderungen wie Zunahme von Armut und sozialer Ungleichheit. Besonders betroffen von der Klimakrise ist der Gesundheitssektor: Der Klimawandel beeinflusst die menschliche Gesundheit in vielschichtiger Weise, was die Versorgung vor Herausforderungen stellt. Der Klimawandel sei uns in der Gesellschaft präsent, sagte vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner eingangs. „Weniger präsent hingegen ist, dass der Gesundheitssektor für 5,2 Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Und weniger präsent ist auch, dass der Klimawandel ein erhebliches Risiko für die gesundheitliche Versorgung und den Gesundheitsbereich hat.“ Gefordert seien an dieser Stelle alle im Gesundheitswesen, etwa bezüglich der Ergreifung von Maßnahmen zur Vermeidung von klimatischen Auswirkungen und zur Anpassung des Gesundheitssystems. Auch der vdek und die Ersatzkassen sehen sich in der Pflicht: Im vergangenen Jahr verabschiedete die vdek-Mitgliederversammlung ihre Resolution „Klima und Gesundheit zusammen denken“. Darin setzen sich der vdek und seine Mitgliedskassen für eine klimaneutrale Gestaltung des Gesundheitswesens ein, bekennen sich zu ihrer Verantwortung und wollen bis 2030 klimaneutral agieren.

Rolle des Gesundheitswesens

Dass der ökologische Fußabdruck des Gesundheitssystems deutlich gesenkt werden müsse, bekräftigte Dr. Ameli Gerhard, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V. (KLUG). Die Allianz gründete sich im Herbst 2017, um über die erheblichen gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise aufzuklären und Gesundheitsberufe zu befähigen, die notwendige Transformation hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft zu bewerkstelligen. „Es ist viel passiert in den letzten sechs Jahren, aber nicht schnell genug“, warnte Gerhard in ihrem Impulsvortrag zur Rolle des Gesundheitswesens in der sozial-ökologischen Transformation. Sie diagnostizierte die Klimakrise als medizinischen Notfall und zählte auf: steigende Krankheitslast, Extremwetterereignisse, hitzebedingter Produktivitätsverlust, neue Pandemien, Nahrungsmittelknappheit, lokale und regionale Konflikte um knapper werdende Ressourcen. Dabei seien immer besonders vulnerable Gruppen von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen, das heißt Kinder, ältere Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen und armutsbetroffene Menschen.

Ein Rahmenwerk zur Lösung der Klima- und Gesundheitskrise biete das Konzept von Planetary Health, erläuterte Gerhard. „Das Konzept beschreibt letztlich die voneinander abhängige Vitalität aller anthropogenen und ökologischen Systeme. Wenn man sich das überlegt, ist das ja auch ganz logisch. Es kann keine menschliche Gesundheit auf diesem Planeten geben, wenn die Ökosysteme nicht intakt sind.“ Der Weg zum Ziel, Gesundheit für alle innerhalb planetarer Grenzen zu schaffen, sei die sozial-ökologische Transformation. „Und das erfordert die Anstrengung von Politik, Industrie, Handwerk, Wissenschaft, Forschung, Kultur und Zivilgesellschaft.“ Den Gesundheitssektor schloss sie mit ein. Gerhard verkündete aber auch gute Nachrichten: „Die sozial-ökologische Transformation bietet wahnsinnig viele Chancen für uns im Gesundheitssektor. Fast alle Maßnahmen, die CO2-Emissionen reduzieren, sind auch vorteilhaft für unsere Gesundheit.“ Die Rede ist von sogenannten Co-Benefits. Allein in Deutschland könnten KLUG zufolge pro Jahr mehrere zehntausend Todesfälle durch verminderte CO2-Emissionen verhindert werden. Gerhard verwies beispielhaft auf Mobilität und Ernährung. Aktivitäten wie Laufen und Radfahren reduzierten Treibhausgasemissionen – derzeit seien Transport und Mobilität für 23 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich – und beugten zugleich Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Diabetes, Demenz und Krebsarten vor, zudem steigerten sie die mentale Gesundheit. Ähnliche Präventionseffekte zeige eine vorwiegend pflanzenbasierte Ernährung bei gleichzeitiger Reduzierung der CO2-Emissionen. „Es gibt so viel zu gewinnen im Zuge der sozial-ökologischen Transformation“, sagte Gerhard und verwies auf mehr Lebensqualität, bessere Gesundheit, die Reduktion von Gesundheitskosten und auf höhere Gerechtigkeit auf gesellschaftlicher Ebene. „Aber: Uns bleibt wenig Zeit.“

Maßnahmen auf europäischer Ebene

Bis 2045 soll Deutschland treibhausgasneutral sein, das sieht die Neufassung des Klimaschutzgesetzes vor, das das Bundeskabinett im Juni dieses Jahres auf den Weg brachte. Im Europäischen Klimagesetz verpflichtet sich die Europäische Union (EU), bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen; bereits 2030 sollen die Treibhausgasemissionen innerhalb der EU um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 gesunken sein. Entsprechenden Handlungsbedarf betonte auch Sibylle Reichert, Direktorin der Association Internationale de la Mutualité (AIM) mit Sitz in Brüssel. In ihrem Impulsvortrag zu den Aktivitäten in Sachen Klima und Gesundheit auf europäischer Ebene verwies sie auf eine Auswertung des medizinischen Fachjournals The Lancet, die unterschiedliche Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit aufzeige, von psychischen Erkrankungen über Allergien und Atemwegserkrankungen bis hin zu Unterernährung und Vergiftungen.

Zudem stellte Reichert eine Studie aus Belgien vor, in der untersucht wurde, wie sich die Luftverschmutzung auf die Kosten der Krankenversicherung auswirkt. Wenn die Luft viel besser wäre, könnten allein in Belgien rund 43 Millionen Euro durch vermeidbare Besuche bei Hausärztinnen und Hausärzten jährlich eingespart werden, so das Ergebnis. „Abgesehen von den gesundheitlichen Effekten haben die Krankenkassen auch daher ein Interesse an Klimaneutralität“, sagte Reichert. Die AIM als internationaler Dachverband für Krankenversicherungen auf Gegenseitigkeit, in dem der vdek Mitglied ist und somit die Interessen der Ersatzkassen auf internationaler Ebene vertritt, veröffentlichte im Oktober dieses Jahres Empfehlungen für klimaresiliente Gesundheits- und Sozialsysteme.

Verantwortung von Politik und Gesellschaft

Lösungen für ein nachhaltiges Gesundheitssystem wurden anschließend unter der Moderation von Gerhard Schröder vom Deutschlandfunk diskutiert. Für Johannes Wagner, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, stand fest, dass allererstes Ziel sein müsse, die Emissionen zu reduzieren. „Aber es ist ein Balanceakt“, warnte er, denn: „Wie schnell und radikal können wir sein, um die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen?“ Zugleich brauche es Impulse aus der Gesellschaft, um Dinge anzugehen, sagte Wagner. Natürlich müsse dann die Politik auch in die Umsetzung gehen. Er bilanzierte, dass die Politik vor allem ein Umsetzungsproblem habe und im Gesundheitsbereich zudem eine Wissenslücke. „Wir haben zu spät angefangen zu schauen, wo hier die Stellschrauben sind, an denen wir drehen müssen.“ Narkose-Gase, Ernährung im Krankenhaus und Hygiene-Vorschriften seien Bereiche, wo regulatorisch wahrscheinlich einiges zu machen wäre.

„Wir müssen stärker ins Handeln kommen“, bekräftigte Elsner. Dafür brauche es die Politik, etwa mit Blick auf das Verwaltungshandeln der Krankenkassen. Beispielsweise gebe es Vorschriften, wie sich eine Krankenkasse bezüglich Wirtschaftlichkeit verhalten sollte. Da stelle sich die Frage, ob sich das Thema Nachhaltigkeit im SGB V verankern ließe, sodass die Krankenkassen in ihrem Handeln ganz anders agieren könnten, ohne in Risiken reinzulaufen. Darüber hinaus wies Elsner auf die Herausforderung hin, dass es an einem Mitdenken des Themas Klima und Gesundheit bei allen Handlungen fehle und genauso auch an einer klaren Zuordnung der Verantwortlichkeiten. Diese müssten gemeinsam mit der Politik definiert und transparent gemacht werden. Nicht zuletzt sah sie Bund und Länder auch als Investitionsträger in der Verantwortung, wenn es um Klimaschutzmaßnahmen im Gesundheitswesen geht. „Es ist ein Problem, wenn am Ende des Tages immer die Versicherten und Arbeitgeber alles bezahlen sollen über die sozialen Sicherungssysteme.“

Mehr Unterstützung aus der Politik forderte gleichermaßen Thomas Diekamp vom AWO Bundesverband. „Es lassen sich in der Pflege durchaus Potenziale heben, aber dafür braucht es die politische Ebene.“ Einiges lasse sich einfacher angehen, Stichwort Verpflegung, die einen sehr großen Anteil am CO2-Fußabdruck eines Pflegeheims ausmache, weil dort noch mit viel Fleisch verpflegt und leider viel weggeworfen werde. „Doch wenn ich auf den riesigen Bestand der Wohlfahrtspflege mit über 100.000 Gebäuden schaue – will sich da ein Pflegeheim umfangreich energetisch sanieren, stellt sich doch die Frage: Woher kommen die Mittel, wenn ich gemeinnützig bin, keine Gewinne erwirtschaften kann und keine Rücklagen bilden darf?“ Diekamp forderte neben mehr Klarheit zur Refinanzierung von Investitionen eine grundlegende Veränderung der Strukturen anstatt eines Ausbaus einzelner Leuchttürme. Für einen fundamentalen Wandel plädierte auch Gerhard. „Es wurde jahrelang die Versprechung gegeben, wir können Klimaschutz mit einem grünen Stempel nebenbei machen und sonst läuft alles weiter wie gehabt, aber so ist es eben nicht.“ Es brauche im Gesundheitswesen große Strukturreformen mit entsprechender Finanzierung. Dabei schöpfe sie viel Zuversicht aus Netzwerken wie KLUG und den Entwicklungen der letzten Jahre. Zudem setze sie große Hoffnung in die Zivilgesellschaft, der eine tragende Rolle zukomme, sowie in den Gesundheitsbereich als Multiplikator mit seinen Initiativen, die sich für Klima- und Gesundheitsschutz stark machten.

Verleihung des vdek-Zukunftspreises 2023

Initiativen, die mit ihren Projekten dazu beitragen, dem Klimawandel mit seinen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit entgegenzuwirken, standen auch im Fokus des diesjährigen vdek-Zukunftspreises. „Neben der Notwendigkeit, den Betrieb sämtlicher Einrichtungen klimaverträglicher zu gestalten, brauchen wir Lösungen, die die Menschen ganz konkret bei der Bewältigung klimawandelbedingter gesundheitlicher Belastungen unterstützen“, erklärte Uwe Klemens, ehrenamtlicher Verbandsvorsitzender des vdek und Vorsitzender der vdek-Zukunftspreis-Jury. Die Ersatzkassen prämierten Best-Practice-Beispiele, die auf innovative Art und Weise den Herausforderungen der Klimakrise begegnen und damit einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zu mehr Klimaresilienz leisten. „Dieses Engagement“, betonte Klemens, „möchten wir mit dem vdek-Zukunftspreis 2023 ausdrücklich würdigen und unterstützen“.

Resolution

Die Ersatzkassen haben auf der vdek-Mitgliederversammlung im Dezember 2022 eine Resolution mit dem Titel „Klima und Gesundheit zusammen denken“ verabschiedet. Darin setzen sich der vdek und seine Mitgliedskassen für eine klimaneutrale Gestaltung des Gesundheitswesens in absehbarer Zeit ein. Ihr selbstgestecktes Ziel ist es, bis spätestens 2030 klimaneutral zu werden. „Wir als Ersatzkassen mit rund 28 Millionen Versicherten haben eine große Verantwortung auch im Bereich des Klimaschutzes, die wir ernst nehmen“, betont Uwe Klemens, ehrenamtlicher Verbandsvorsitzender des vdek. „Es bedarf einer gemeinsamen Kraftanstrengung, dass das Gesundheitswesen seinen Beitrag zum Erhalt unserer Lebensgrundlage leistet. Klimaschutz ist Gesundheitsschutz.“

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