Der Rettungsdienst ist unverzichtbar, wenn es um (lebens-)bedrohliche Notfälle geht. Jedoch kommt dieser oft auch dann zum Einsatz, wenn eigentlich der Ärztliche Bereitschaftsdienst zuständig wäre. Um sowohl den Einsatz des Rettungsdienstes wirtschaftlicher zu betreiben als auch die Versorgung der Patienten angemessen sicherzustellen, sind eine bessere Planung und Reduzierung der Leitstellen der richtige Weg.
Die Anfang der 1990er Jahre europaweit eingeführte einheitliche Notrufnummer 112 gilt zu Recht als eine der Erfolgsgeschichten in der Europäischen Union (EU). In Deutschland ist diese Nummer bei den Bürgern für Brände, Katastrophen sowie medizinische Notfälle weithin bekannt. Weniger bekannt ist, dass der Notruf 112 nicht für alle akuten Vorfälle zuständig und angemessen ist. Die Reaktionsmöglichkeiten der 112-Leitstellen beschränken sich in Deutschland aktuell weitgehend auf die Alarmierung von hochqualifiziert besetzten Rettungstransportwagen (RTW) sowie eventuell von arztbesetzten Notarzteinsatzfahrzeugen (NEF). Allerdings sieht unser Gesundheitssystem für alle akuten, aber nicht (lebens-)bedrohlichen Notfälle vor, dass diese vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst versorgt werden. Jüngste Analysen der BARMER haben nochmals bestätigt, dass bei einer Vielzahl der von der 112 ausgelösten Einsätze keine so dringende medizinische Bedrohung vorlag, die den Einsatz der hochqualifizierten RTW rechtfertigen.
Ein Grund für diese bundesweite Überversorgung liegt auch in der historisch bedingten Verortung des Rettungsdienstes bei den Bundesländern. Rettungsdienst ist nicht Teil der Gesundheitsversorgung im bundesrechtlichen SGB V, vielmehr liegt die grundgesetzliche Gesetzgebungskompetenz bei den Bundesländern. Der rechtliche Oberbegriff hierfür ist die Gefahrenabwehr, die neben dem Rettungsdienst auch den Brand- und Katastrophenschutz umfasst. Dem folgend haben sich in den 16 Bundesländern jeweils 16 Landesrettungsdienstgesetze (LRDG) mit unterschiedlichen Versorgungsstandards und -strukturen entwickelt. Ein Ergebnis davon ist zum Beispiel, dass es je Bundesland unterschiedliche Hilfsfristen gibt, also die Zeit, die ein RTW brauchen soll, bis ein Notfallort erreicht ist.
Weiterhin wird durch die LRDG die konkrete Planung des Rettungsdienstes auf die Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte verlagert. Damit setzen in Deutschland über 400 kommunale Entscheider die jeweiligen LRDG um. Dies führt beispielsweise in Hessen und Nordrhein-Westfalen dazu, dass es nahezu in jedem Landkreis/ jeder kreisfreien Stadt eine eigene Leitstelle und einen eigenen Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) gibt. Das verursacht kleinräumige Unterschiede in der Versorgungsqualität, die sich zum Beispiel in der Freigabe von bestimmten Notfallmaßnahmen für das Rettungspersonal durch ÄLRD äußern. So werden beispielsweise Patienten mit akuten Herzproblemen in einigen Regionen bereits durch die meist früher eintreffenden Notfallsanitäter mittels eigenverantwortlich eingeleiteter Maßnahmen versorgt, in anderen Regionen muss dafür auf das Eintreffen des Notarztes gewartet werden.
Während also die föderalen Zuständigkeiten regional ungleiche Versorgungsqualität verursacht, folgt die Finanzierung trotz formal-rechtlicher Unterschiede de facto bundesweit einem gleichen Muster. Gemeinsam ist allen LRDG, dass die Kosten, die bei der Durchführung des Rettungsdienstes entstehen, von den Kostenträgern (dies sind zu etwa 90 Prozent die gesetzlichen Krankenkassen) zu erstatten sind. Die Basis für deren Kalkulationen sind dabei die Aufträge der Kommunen an die durchführenden Leistungserbringer, den Rettungsdienst für einen regionalen Bereich sicherzustellen. Ein solcher Auftrag umfasst unter anderem die Bereitstellung eines RTW an einem bestimmten Standort für 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr. Diese rettungsdienstliche Vorhaltung ist erst einmal unabhängig davon, wie viele Einsätze dieses Fahrzeug bedienen muss. Die Vorhaltekosten für einen RTW summieren sich im Bundesschnitt auf etwa 600.000 bis 700.000 Euro pro Jahr. Die Refinanzierung erfolgt durch die Division der Kosten durch die Anzahl der voraussichtlichen Einsätze. Diese Einzelpreise füllen das Jahr über die Vorhaltekosten im Sinne eines jahresbezogenen Vollkostenbudgets auf.
Da die Krankenkassen diese Leistungen für ihre Versicherten ohne Vorleistung direkt übernehmen, gibt es in jedem Bundesland eine Beteiligung an der Kostenermittlung. Allerdings haben die Kostenträger aufgrund der gesetzlichen Vorgaben durch die LRDG bei der Aushandlung der Preise kaum Spielraum, da mit dem für einen RTW vorzuhaltenden Rettungspersonal etwa 80 Prozent der Kosten de facto fix sind und lediglich nachgewiesen werden müssen, etwa in Form anonymisierter Gehaltslisten.
Hauptansatzpunkt für eine wirtschaftliche Steuerung des Rettungsdienstes ist daher nicht die Verhandlung der Vorhaltekosten, sondern die Planung der notwendigen RTW und NEF. Da unbestritten ist, dass ein Großteil der im Rettungsdienst transportierten Patienten nicht die Versorgung durch RTW und gegebenenfalls NEF benötigt, besteht hier ein enormes Wirtschaftlichkeitspotenzial. Ebenso könnten durch eine deutliche Reduzierung der Anzahl der 112-Leitstellen erhebliche Verbesserungen in der Steuerung und Versorgung der Patienten erreicht werden, da Prozesse wie die Notrufabfrage und das Qualitätsmanagement systematisiert und standardisiert würden. Vorbilder für diese überfälligen Strukturverbesserungen finden sich in unmittelbarer Nachbarschaft, zum Beispiel in Dänemark, den Niederlanden oder auch in Teilen von Österreich.
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