Kinder- und Jugendärzte sind in ihrer täglichen Praxis regelmäßig mit psychischen Auffälligkeiten bei Kindern konfrontiert. In diesem Zusammenhang kommt der vorausschauenden Beratung und Aufklärung von Eltern eine große Bedeutung zu, gerade bei Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status. Die Merkblätter „Seelisch gesund aufwachsen“ bieten Kinder- und Jugendärzten nun anschauliche Unterstützung für ihre wichtige primärpräventive Arbeit.
Nach den Daten der ersten Erhebung der KiGGS-Studie zeigen in Deutschland fast 22 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren psychische und psychosomatische Auffälligkeiten (siehe Tabelle Seite 27). Ein Großteil dieser Kinder und Jugendlichen stammt aus sozial prekären Verhältnissen. Das bedeutet: Ein niedriger sozioökonomischer Status der Familie, also mangelnde Bildung der Eltern, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, schlechte Wohnverhältnisse, zum Teil auch Sucht oder konflikthafte Elternbeziehungen, können Kinder und Jugendliche seelisch krank machen. Ursache der psychischen Erkrankung sind natürlich nicht die zu kleine Wohnung oder das mangelnde Geld, sondern mangelnde emotionale, soziale und intellektuelle Ressourcen solcher Familien. Eltern, die tagtäglich mit den Widrigkeiten ihres Alltags kämpfen müssen, haben weder Zeit noch Kraft, ihren Kindern vorzulesen, mit ihnen zu kuscheln, zu kochen und gemeinsam zu essen, sich auszutauschen, zuzuhören, Anteil zu nehmen. In vielen dieser Familien gibt es keine verlässlichen Bindungen, die Kinder so sehr brauchen.
Anders als Infekte vergehen psychische Auffälligkeiten nicht einfach nach einiger Zeit. Im Gegenteil: Emotionale Vernachlässigung in früher Kindheit gilt als bedeutendster Risikofaktor für eine abweichende Entwicklung im Kindes- und Jugendalter mit einer hohen Persistenz in das Erwachsenenleben.
Wie können Kinder- und Jugendärzte helfen?
71 Prozent der Kinder- und Jugendärzte schätzen subjektiv eine Zunahme der psychosozialen Belastungen junger Familien, 92 Prozent sehen darin eine Herausforderung. Das Bewusstsein für das Thema und die Bereitschaft zu helfen ist unter Kinder- und Jugendärzten groß. Sie bringen dafür auch gute Voraussetzungen mit. Studien zeigen, dass der Rat von Kinder- und Jugendärzten gut angenommen wird, denn es gibt ein Vertrauensverhältnis zu den Patienten und Patienteneltern. Zudem gibt es durch die Vorsorgeuntersuchungen regelmäßigen Kontakt. Die überwiegende Zahl – um die vier Millionen Kinder unter sechs Jahren – wird in kinder- und jugendärztlichen Praxen betreut. Im Rahmen der in Deutschland gesetzlich geregelten Früherkennungsuntersuchungen U1 bis U9, von der Geburt bis zum Alter von sechs Jahren, erhalten Eltern umfassende Informationen insbesondere zur körperlichen Entwicklung ihrer Kinder. Die Merkblätter „Seelisch gesund aufwachsen“ bieten nun eine Möglichkeit, den Eltern auch ganz gezielt Kenntnisse zu den altersbezogenen seelischen Bedürfnissen von Kindern zu vermitteln und Müttern und Vätern Handlungsempfehlungen an die Hand zu geben. Ein praxisnaher Baustein für die wichtige primärpräventive Arbeit der Kinder- und Jugendärzte, gerade vor dem Hintergrund zunehmender psychischer Auffälligkeiten bei ihren kleinen Patienten.
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