3 Fragen an Christian Zahn

Christian Zahn ist seit 2014 Präsident der Association Internationale de la Mutualité (AIM), dem internationalen Dachverband von Krankenversicherern auf Gegenseitigkeit (Mutualität). Der Verband setzt sich weltweit für die Entwicklung und den Erhalt eines universellen Zugangs zu hochwertiger und bezahlbarer Gesundheitsversorgung ein. AIM gehört zu den Unterzeichnern des Manifestes für ein soziales Europa.

Porträt Christian Zahn, Präsident der Association Internationale de la Mutualité (AIM)

Warum dieser Aufruf für ein soziales Europa im Vorfeld der Europawahlen 2019?

AIM ist der größte Zusammenschluss von Krankenversicherern auf Gegenseitigkeit in Europa. Wir setzen uns für eine soziale und solidarische Krankenversicherung für alle EU-Bürger ein. Im Moment sehen wir aber eine große Gefahr für das freie, demokratische und soziale Europa, welches wir in den vergangenen gut 60 Jahren aufgebaut haben. Als AIM unterstützen wir daher das Manifest, weil es einerseits die Bürger aufruft, sich um Europa zu bemühen, und andererseits zeigt, was Europa insbesondere im Sozialbereich, dem Kitt dieser Gesellschaft, geleistet hat und noch leisten kann.

Inwiefern ist die EU mit Blick auf die Gesund­heitspolitik eine Errungenschaft?

Die EU hat im Bereich Gesundheit sehr eingeschränkte Handlungsbefugnisse. Die Finanzierung und Organisation der Gesundheitssysteme liegt in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Dennoch leistet die EU einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitspolitik. Indem sie die Systeme vergleicht und im Rahmen des Europäischen Semesters Empfehlungen zur Nachhaltigkeit ausspricht, fördert sie die Weiterentwicklung der nationalen Gesundheitssysteme. Darüber hinaus fördert sie die Zusammenarbeit der nationalen Systeme. Die europäische Krankenversicherungskarte, zukünftig das europäische elektronische Rezept und eine einheitliche elektronische Patientenakte (ePA) sind sichtbare Errungenschaften der EU-Politik. Damit wird die EU für seine Bürger ganz praktisch sichtbar und erlebbar. Europa baut damit auch Barrieren in den Köpfen der Menschen ab. Wir müssen nicht mehr darüber nachdenken, ob wir im Falle eines medizinischen Notfalls im Ausland behandelt werden. Wir können einfach losfahren. Das trägt zum Zusammenhalt bei, baut Vorurteile ab und fördert die Identifikation.

Vor welchen konkreten gesundheitspolitischen Herausforderungen steht die EU in den nächs­ten Jahren?

Ich denke, die EU und die nationalen Gesundheitssysteme stehen vor drei großen Herausforderungen. Zum einen muss die EU die Standards entwickeln, auf deren Basis die vielfältigen digitalen Anwendungen von der ePA bis zu Gesundheits-Apps, die jetzt in den Mitgliedstaaten entwickelt werden, sicher kommunizieren können. Zum anderen zeigt die Entwicklung, dass selbst die leistungsfähigsten Länder, wie Deutschland, bei der aktuellen Zunahme hochpreisiger Arzneimittel irgendwann an ihre Grenzen stoßen werden. Deshalb müssen wir eine europäische Lösung finden, wie ein gleicher und gerechter Zugang zu solchen Behandlungs-formen geschaffen werden kann. Diese Lösung zu finden, wird nicht einfach sein. Sie setzt voraus, dass unsere hohen Standards der Nutzenbewertung und der damit verbundenen Preisbildung auf europäische Ebene übertragen werden. Und als letzten und wichtigsten Punkt muss die EU Wege finden, wie Gesundheitssysteme, die durch die Finanzkrise fast zerstört wurden, wieder aufzubauen und krisensicher aufzustellen sind. Auf Solidarität basierende Systeme, wie die Mutualitäten, haben sich in der Krise als äußert resistent erwiesen und könnten einen wichtigen Beitrag hierzu leisten.

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