AIM-Preisbildungsmodell

Instrument für faire Arzneimittelpreise

Vor dem Hintergrund der gerade vorgestellten allgemeinen Pharmaregulierung der Europäischen Kommission ist es interessant, einen Blick auf die Entwicklungen des 2021 von der Association Internationale de la Mutualité (AIM) vorgestellten Rechners für faire Preise zu werfen. Dieses AIM-Preisbildungsmodell soll helfen, einen fairen Preis für neue oder bestehende Arzneimittel zu berechnen und ihn mit dem gezahlten oder ausgehandelten Preis zu vergleichen. Es zeigt sich, dass diese AIM-Initiative großen Rückhall in Brüssel und den Mitgliedstaaten gefunden hat.

Illustration: Arzneimittelpreise

Bei dem Rechner handelt es sich um ein praktisches Instrument mit klaren Vorschlägen für Parameter zur Preisbildung. Damit trägt er zu den europäischen und internationalen Debatten über faire Preise und die Transparenz der Forschungs- und Entwicklungskosten von Arzneimitteln sowie zu der Erschwinglichkeitsagenda der Europäischen Kommission bei. Im Folgenden finden sich Beispiele der praktischen Anwendung des Rechners seit 2021.

Medizin für die Gesellschaft

Die niederländische Plattform „Medizin für die Gesellschaft“ nutzte das AIM-Modell, um einen kostenbasierten Preis für Mexiletin für erwachsene Patienten mit nicht-dystropher Myotonie (NDM) zu berechnen. Ziel war es, anhand von Informationen über die Entwicklungskosten zu beurteilen, ob Preiserhöhungen gerechtfertigt sind. Das Team kam zu dem Schluss, dass die mit dem AIM-Modell berechneten Preise in Europa deutlich unter den aktuellen Listenpreisen für Mexiletin liegen, und schlug vor, dass „kostenbasierte Preismodelle die Diskussion über eine faire Preisgestaltung und die Entscheidungsfindung über die Kostenerstattung für neu zu entwickelnde Arzneimittel für seltene Krankheiten unterstützen können, wenn zuverlässige Informationen über die Kosten verfügbar sind.“

Grundlage für Studie

Die Techniker Krankenkasse (TK) hat den AIM-Rechner in einer Studie benutzt, die sie 2021 zusammen mit der Universität Bremen veröffentlichte. Er wurde auf einen Warenkorb von Arzneimitteln in Deutschland angewendet mit dem Ergebnis, dass die tatsächlichen Preise doppelt bis 13-mal so hoch waren wie der von der TK berechnete faire Preis. Die TK stellte fest, dass die Anwendung des AIM-Rechners zu jährlichen Einsparungen in Höhe von 13 Milliarden Euro in ganz Deutschland führen könnte. Zudem kommt sie zu dem Schluss, dass der Rechner eine Bereicherung in der Diskussion um faire Arzneimittelpreise darstellt und als zusätzliche Information für Preisverhandlungen sowie als Anreiz für die Hersteller zu sehen ist, Transparenz über Forschungs- und Produktionskosten zu schaffen.

Teilnahme an ASCERTAIN (*)

AIM ist Teil des Konsortiums ASCERTAIN (Affordability and Sustainability improvements through new pricing, Cost-Effectiveness and ReimbursemenT models to Appraise iNnovative health technologies). Dabei handelt es sich um ein Projekt, das durch das Forschungsprogramm „Horizon Europe“ der Europäischen Union finanziert wird. Das Ziel ist es, am Ende der vierjährigen Projektlaufzeit zu einer besseren Vorwegnahme und Berechnung der Preisgestaltung, Health Technology Assessment (HTA) und Erstattungsbedingungen für innovative Gesundheitstechnologien (IHT) für drei Krankheitsbereiche beizutragen: Präzisionskrebsmedikamente, Zell- und Gentherapie sowie Medizinprodukte oder In-vitro-Diagnostika. Der AIM-Rechner ist integraler Bestandteil dieses Projekts.

Kampagne und Petition Das belgische AIM-Mitglied Solidaris hat eine Kampagne für faire Arzneimittelpreise gestartet. Belgien gibt jährlich mehr als 5,4 Milliarden Euro für die Erstattung von Arzneimitteln aus. Die Kosten für die Arzneimittel tragen zwar dazu bei, die Gesundheit der Belgier zu verbessern, aber die Ausgaben für Arzneimittel, die in Krankenhäusern an ambulante Patienten abgegeben werden, sind in den letzten Jahren mit Wachstumsraten von rund 20 Prozent pro Jahr explodiert. Solidaris wandte das AIM-Modell auf sieben Arzneimittel an und stellte fest, dass die derzeit gezahlten Preise den berechneten fairen Preis um bis zu 18 Mal übersteigen. Würde der für die sieben ausgewählten Arzneimittel berechnete faire Preis verwendet, könnte Belgien eine Milliarde Euro einsparen, was 20 Prozent der derzeitigen Ausgaben für Arzneimittel entspricht. Solidaris veröffentlichte auch eine Petition, um die Elemente des fairen Preises in das Preisfestsetzungsverfahren der belgischen Behörden zu integrieren.

Blick nach vorne

Preisgestaltung und Kostenerstattung sind rein nationale Themen. Deswegen findet der AIM-Rechner auch in der kürzlich von der Europäischen Kommission vorgestellten Pharmaregulierung keinen Niederschlag. Es herrscht jedoch auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene die Überzeugung, dass die Bezahlbarkeit von Arzneimitteln eine Gefahr darstellt für solidaritätsbasierte Systeme und damit für unsere Krankenkassen sowie für den gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung allgemein. Daher ist es wichtig, mithilfe des AIM-Modells das Ungleichgewicht aufzuzeigen, das bei Arzneimittelpreisen herrscht. Es gilt, eine Bresche in die starke Interessensvertretung der Pharmaindustrie zu schlagen, um die Systeme auch in Zukunft nachhaltig zu gestalten und den Zugang für alle ohne Diskriminierung zu gewähren.

Logo: Funded by the European Union

* Das ASCERTAIN-Projekt wird von der Europäischen Union finanziert. Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die des Autors/der Autoren und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder der Europäischen Exekutivagentur für Gesundheit und Digitales (HaDEA) wider. Weder die Europäische Union noch die Bewilligungsbehörde können für diese verantwortlich gemacht werden. Finanzhilfevereinbarung 101094938.

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