Arzneimittelgesetze

Wichtige Reform und schwieriger Balanceakt

Mit ihrem Vorschlag für neue Arzneimittelgesetze hat sich die Europäische Kommission einen Spagat auferlegt. Sie will den Zugang, die Verfügbarkeit und die Bezahlbarkeit von Arzneimitteln EU-weit sicherstellen. Gleichzeitig soll die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie gestärkt werden.

Illustration: Europäische Gesundheitspolitik, Finanzen

Im Vorfeld wurde kommissionsintern hart gerungen und der Veröffentlichungstermin mehrfach verschoben. Am 26. April 2023 präsentierten Vizekommissionspräsident Margaritis Schinas und Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides ein „ausbalanciertes Paket“. Mit den Vorschlägen für neue Arzneimittelgesetze sollen auf dem Verordnungsweg unmittelbar gültige und rechtlich verbindliche Regelungen geschaffen werden. Daneben soll ein Richtlinienvorschlag die Mitgliedstaaten dazu anhalten, entsprechende Regelungen für Arzneimittel in nationales Recht umzusetzen. Bis dahin wird es noch dauern. Die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament zu den Arzneimitteldossiers werden in die nächste Legislaturperiode fallen. Und für die notwendige Arbeit im Detail sowie die Konkretisierung verschiedener Vorschriften über sogenannte delegierte Rechtsakte hat die Kommission einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren vorgesehen.

Im Zentrum der neuen Arzneimittelgesetze stehen drei große Themen: der Exklusivitätsschutz für die Vermarktung neuer Arzneimittel, die gezielte Neuentwicklung von hochwirksamen Antibiotika und die Bekämpfung von antimikrobiellen Resistenzen sowie das bessere Management von Versorgungsengpässen.

Marktexklusivität

Der Unterlagen- und Markenschutz verschafft einem pharmazeutischen Unternehmen bei neuen Arzneimitteln eine „Monopolstellung“. Die Europäische Kommission will die heute geltenden zehn auf acht Jahre verkürzen, um einen früher einsetzenden Generikawettbewerb zu ermöglichen. Sie stellt aber gleichzeitig zusätzliche Exklusivitätszeiten in Aussicht, sofern politische Auflagen erfüllt werden, zum Beispiel wenn mit dem neuen Arzneimittel therapeutische Lücken geschlossen werden können. Die Industrie lehnt einen konditionalen Schutz ab, während Kostenträger und Patientenorganisationen sich an längeren Exklusivitätszeiten stören. Eine Bewertung muss in Betracht ziehen, dass der letzte effektive Schutz eines Arzneimittels in vielen Fällen aber durch das parallel geltende Patentrecht gegeben ist. Regulatorische Anreize können sich dann ebenso wenig entfalten wie die Intensivierung des Generikawettbewerbs. Effektiv wäre, im Arzneimittelrecht und im Patentrecht auf eine gleichgerichtete Verkürzung von Schutzfristen hinzuwirken.

Engpässe

Pandemie und weltweit gestörte Lieferketten haben die zwischenzeitliche Nicht-Verfügbarkeit von Arzneimitteln überall in Europa auf die politischen Tagesordnungen gesetzt. Im Zuge der Arzneimittelrevision sollen pharmazeutische Unternehmen künftig systematische Pläne aufstellen, um Knappheiten zu verhindern. Die zuständigen nationalen Behörden werden verpflichtet, drohende Engpässe der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zu melden, damit diese gemeinsam mit der Europäischen Kommission Gegenmaßnahmen abstimmen kann. Im Fokus werden dabei „kritische Arzneimittel“ stehen. Die EMA arbeitet derzeit schon an einer entsprechenden Liste. Denn in politisch drängenden Bereichen soll nicht auf den Abschluss der langwierigen Gesetzgebungsverfahren gewartet werden. In die gleiche Richtung geht auch die Anfang Mai 2023 unter belgischer Federführung angestoßene Aufforderung an die Kommission, schon heute durchgreifende Sicherstellungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Europa überholt sich sozusagen selbst.

Antimikrobielle Resistenzen

Zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen sollen die Hersteller Stewardship-Pläne aufstellen, um ihre Produkte besser zu überwachen und Resistenzbildungen vorzubeugen. Antibiotika sollen nun auch überall in Europa verschreibungspflichtig und die Packungsgrößen therapiegerechter zugeschnitten werden. Die Europäische Kommission fordert darüber hinaus mit ihrem Vorschlag für eine Ratsempfehlung zur Intensivierung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Resistenz gegen antimikrobielle Mittel die Mitgliedstaaten dazu auf, ihre Möglichkeiten besser auszuschöpfen, um der schleichenden Gefahr von Antibiotikaresistenzen entgegenzuwirken. Mit einer Abstimmung im Rat ist noch in diesem Jahr zu rechnen. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die Länder die Vorgabe der Kommission, den Antibiotikaverbrauch in der Gesundheitsversorgung und der Langzeitpflege um EU-weit 20 Prozent (Deutschland 9 Prozent) zu senken, aufweichen werden.

Die große „Kröte“ im Arzneimittelpaket ist und bleibt aber der „Voucher“, ein übertragbarer Datenexklusivitätsgutschein. Mit seiner Hilfe soll die Entwicklung von besonders wirksamen Antibiotika mit einem zusätzlichen Jahr Marktexklusivität für ein anderes Arzneimittelprodukt belohnt werden können. Dieser „Voucher“ kann auch weiterverkauft werden und ist insbesondere für Hersteller umsatzstarker Arzneimittel hochinteressant. Das macht ihn zu einem ausgesprochen teuren Anreizinstrument. Denn ein Jahr zusätzlicher Marktschutz bringt Hunderte Millionen Euro Mehrumsatz – und entsprechende Mehrausgaben für die Krankenkassen.

Es bleibt abzuwarten, auf welche Regelungen sich die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament im Gesetzgebungsverfahren tatsächlich einigen werden. Feststehen dürfte aber schon heute, dass mit langen und schwierigen Verhandlungen gerechnet werden muss.

Weitere Artikel aus ersatzkasse magazin. (3. Ausgabe 2023)