Seit 2013 ist Tino Sorge CDU-Bundestagsabgeordneter, seit 2021 gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Während seiner Legislaturperioden hat er sich vor allem mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen beschäftigt. Im Interview mit ersatzkasse magazin. spricht er über die vom Bundesgesundheitsministerium angekündigte Digitalisierungsstrategie und wirft einen Blick auf weitere aktuelle gesundheitspolitische Herausforderungen.
Wo stehen wir in Deutschland in Sachen Digitalisierung im Gesundheitswesen und in der Pflege?
Tino Sorge: Mit den drei Digitalisierungsgesetzen der letzten Legislatur ist uns ein großer Sprung gelungen: Digitale Pflegeanwendungen wurden erstmals möglich, die Telemedizin ausgebaut, das elektronische Rezept und die digitale Patientenakte weiterentwickelt. Dennoch hätte vieles schneller und konsequenter vorangetrieben werden können.
Im März dieses Jahres hat der Bundesgesundheitsminister seine Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen vorgestellt. Wie bewerten Sie diese?
Der monatelange Strategieprozess hat nur zutage gefördert, was längst bekannt war. Digitalisierung ist ein Segen für unser Gesundheitswesen, wenn sie in Zusammenarbeit der wichtigen Akteure erfolgt und die Politik angemessene Leitplanken setzt.
Das Gesundheitsministerium plant, die gematik zu verstaatlichen. Die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung würden damit ausgeschlossen. Wie finden Sie das?
Das ist der endgültige Bruch mit den bisherigen Partnern. Krankenkassen und Kliniken sollen nun außen vor bleiben, ebenso die Ärzte- und Apothekerschaft. Gesundheitsminister Lauterbach setzt einen Weg fort, den er schon bei der Krankenhausreform eingeschlagen hat: Wichtige Akteure werden ausgeschlossen, dann werden im stillen Kämmerlein Entscheidungen vorbereitet. Der Staat ist aber eben nicht der bessere Unternehmer. Er sollte sich nicht zum Monopolisten zentraler Weichenstellungen machen.
Welche Rolle sollten die Krankenkassen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens spielen?
Die Krankenkassen haben vielerorts einen engen Draht zu den Versicherten. Quer durch alle Altersgruppen und Lebenssituationen erfahren sie aus erster Hand, wo Versicherte unzufrieden sind, wo digitale Lösungen Potenziale bieten und wo nicht. Digitalisierung ohne die Krankenkassen wäre grundfalsch.
Inwieweit muss der Zugang zu Daten erleichtert werden, vor allem mit Blick auf die Forschung, und wie lässt sich das in Einklang bringen mit dem Datenschutz?
Es versteht sich von selbst, dass auch private Unternehmen und Forschungseinrichtungen Zugang zu Gesundheitsdaten erhalten müssen. Schließlich sind sie es, die modernste Arzneimittel und Medizinprodukte entwickeln. Das ließe sich sicher und datenschutzkonform regeln: mit Anonymisierungs- und Pseudonymisierungsverfahren und harten Strafen im Falle von Datenmissbrauch.
Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht die Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz? Diese taucht in der Digitalisierungsstrategie nur auf einer Seite auf.
Digitale Gesundheitskompetenz ist der Schlüssel, um den Nutzen digitaler Lösungen zu verstehen und sie im Alltag anzuwenden. Sowohl Ärzte als auch Patienten müssen verstehen, welchen konkreten Zweck Digitalisierung verfolgt. Darum werden wir auch in Zukunft mehr Informations- und Aufklärungsangebote brauchen.
Kommen wir noch auf zwei weitere aktuelle Reformen zu sprechen. Zum einen soll zum 1. Januar 2023 die Krankenhausreform in Kraft treten. Aus Sicht des vdek braucht es sowohl eine Struktur- als auch eine Finanzierungsreform. Wo sehen Sie hier die größten Herausforderungen?
Für eine derart tiefgreifende Reform ist der Zeitplan ausgesprochen ambitioniert. Das Vorhaben steht und fällt mit dem Einbezug jener, die für den Vollzug zuständig sein werden. Bundesländer und Kliniken gehören mit an den Tisch. Bewegen werden sich am Schluss alle müssen. Vor allem wird sich die finanzielle Dimension der Reform nur bewältigen lassen, wenn Gesundheits- und Finanzministerium endlich ihre Haushaltsblockade überwinden.
Die Länder sind für die Krankenhausplanung zuständig, genauso auch für die Investitionsfinanzierung, der sie aber seit Jahren nicht ausreichend nachkommen. Welche Rolle und welchen Einfluss schreiben Sie ihnen zu in der Umsetzung der Reform?
Ohne die Bundesländer wird es keine Reform geben. Darum war es ein kapitaler Fehler, den ersten Reformvorschlag ohne sie zu erarbeiten. Die Neuordnung der deutschen Krankenhauslandschaft wird nur im engen Austausch mit den Ländern gelingen. Es liegt auf der Hand, dass dieser Austausch auch zu einer deutlich größeren Bereitschaft der Länder führen muss, für Investitionskosten aufzukommen.
Zum anderem hat sich die Regierungskoalition kürzlich auf ein Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz geeinigt. Damit sollen Pflegebedürftige und deren Angehörigen entlastet und die Pflegeversicherung finanziell stabilisiert werden. Inwieweit werden diese Ziele mit dem Gesetz erreicht?
Nicht ansatzweise. Bei der Pflege bricht die Ampel ihren eigenen Koalitionsvertrag: Finanzminister Lindner weigert sich, Pandemiekosten und versicherungsfremde Leistungen aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Dabei ist genau das im Koalitionsvertrag vereinbart. Gesundheitsminister Lauterbach steckt in der Klemme. Ohne Hilfe des Finanzministers muss er zusehen, wie die Pflegeversicherung immer tiefer ins Minus rutscht. Es drängt sich die Frage auf, wie lange der Bundeskanzler dieser Blockade noch tatenlos zusehen will.
Wo sehen Sie weitere dringende Herausforderungen im Gesundheitswesen?
Seien es die Pandemie, die konjunkturellen Folgen des Ukrainekrieges oder der demografische Wandel: Die langfristige Finanzierung unseres Gesundheitssystems steht stärker denn je unter Druck. Wir werden um eine grundsätzliche Debatte, wie viel uns Gesundheit als Gesellschaft wert ist, nicht herumkommen. In Ergänzung zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung werden wir die private und betriebliche Vorsorge stärken müssen, vor allem im jungen Alter. Ansonsten laufen wir auf eine Spirale immer stärkerer Beitragserhöhungen zu. Angesichts der schon sehr hohen Sozialabgaben müssen wir diesen Trend bremsen.