Neuer Vertrag

Blankoverordnung in der Ergotherapie

Zum 1. April 2024 ist der „Vertrag über die Behandlung mit erweiterter Versorgungsverantwortung in der Ergotherapie“ in Kraft getreten. Mit diesem Vertrag, umgangssprachlich auch „Blankoverordnung“ genannt, wird der Entscheidungsspielraum für niedergelassene Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten in der ambulanten Versorgung maßgeblich erweitert.

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Ermöglicht wurde die Blankoverordnung durch das Einfügen des Paragrafen 125a in das SGB V. Dieser reiht sich ein in eine ganze Reihe gesetzlicher Maßnahmen, mit denen die Attraktivität der Heilmittelberufe vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und eines demografisch bedingten Morbiditätsanstiegs gesteigert werden soll. Der Vertrag zur Blankoverordnung in der Ergotherapie bildet hier nur den Auftakt, verhandelt wird ein solcher Vertrag gegenwärtig auch für die Physiotherapie. Neben der erweiterten Versorgungsverantwortung zählen zu den die Attraktivität steigernden Maßnahmen die signifikante Anhebung der Vergütungssätze in allen Heilmittelbereichen, eine sich abzeichnende Reform der Berufsausbildung in der Physiotherapie sowie perspektivisch der Direktzugang.

Ergotherapeutische Versorgung mit erweiterter Versorgungsverantwortung

Nach diesem Vertrag bestimmt die Ergotherapeutin beziehungsweise der Ergotherapeut auf Grundlage ärztlicherseits festgestellter ausgewählter Diagnosen und Indikationen selbst über die Auswahl der einzusetzenden Heilmittel nach Maßgabe des Text von Eberhard Höing Heilmittelkatalogs, die Frequenz der Behandlungseinheiten und die Dauer der einzelnen Behandlungstermine sowie die Gesamtdauer der Therapie pro Blankoverordnung im Rahmen der maximal 16-wöchigen Gültigkeit ab Verordnungsdatum. Mit der zeitlichen Begrenzung ist sichergestellt, dass auch bei dieser neuen Versorgungsform ein erneuter Arztkontakt in vertretbaren Abständen stattfindet, um die medizinische Indikation für eine Heilmitteltherapie zu überprüfen. Mehrere zeitlich aufeinanderfolgende mit oder ohne erweiterte Versorgungsverantwortung zu derselben Diagnose (ICD-10, zweistellig) sind möglich. Dies gilt gleichermaßen für parallele Verordnungen für unterschiedliche Diagnosen und/oder Diagnosegruppen.

Da zu Vertragsbeginn die Auswirkungen dieser neuen Versorgungform auf das Versorgungsgeschehen noch nicht umfassend absehbar waren, verständigten sich die Vertragspartner darauf, die Heilmittelversorgung mit erweiterter Versorgungsverantwortung zunächst auf die Diagnosegruppen PS3 (Wahnhafte und affektive Störungen etc.), PS4 (Dementielle Syndrome) und SB1 (Erkrankungen der Wirbelsäule, Gelenke und Extremitäten (mit motorisch-funktionellen Schädigungen)) zu beschränken. Perspektivisch sollen diese Diagnosegruppen um die pädiatrische Versorgung ergänzt werden.

Blankoverordnung und Übergang der wirtschaftlichen Verantwortung

Stellt die verordnende Ärztin oder der Arzt eine Diagnose, die sich einer der vorgenannten Diagnosegruppen zuordnen lässt und die die Indikation für ein Heilmittel indiziert, kennzeichnet sie oder er die Verordnung mit dem Eintrag „Blankoverordnung“ und verzichtet im Übrigen auf die Angaben „Anzahl der Behandlungseinheiten“, „Heilmittel nach Maßgabe des Katalogs“, „ggf. ergänzende Heilmittel“ und „Therapiefrequenz“. Damit einher geht ein Übergang der Verantwortung für einen wirtschaftlichen Mitteleinsatz von der verordnenden Ärztin oder des Arztes auf die Ergotherapeutin beziehungsweise den Ergotherapeuten. Diese Verordnungen unterliegen nicht der Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich veranlasster Leistungen (§ 106b Abs. 4 Nr. 4 SGB V). Folgerichtig verpflichtete der Gesetzgeber auch die Parteien des Vertrages nach § 125a SGB V, Maßnahmen zur Vermeidung einer medizinisch nicht begründeten unverhältnismäßigen Mengenausweitung in der Anzahl der Behandlungseinheiten je Versicherten zu vereinbaren. Diese Maßnahmen können auch Vergütungsabschläge vorsehen, sofern eine durchschnittliche Anzahl an Behandlungseinheiten deutlich überschritten wird.

Das Ampelsystem

Zur Vermeidung unverhältnismäßiger Mengenentwicklungen haben die Vertragspartner ein Ampelsystem mit den Phasen „grün“, „gelb“ und „rot“ vereinbart, das auf die Anzahl vereinbarter Zeitintervalle à 15 Minuten anstelle von Behandlungseinheiten abstellt.

  • Die grüne Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass die Menge der aufgewendeten Zeitintervalle in einem aus derzeitiger Sicht der Vertragspartner medizinisch-therapeutisch sinnvollen und verhältnismäßigen Rahmen liegt und in der Regel ausreichend ist, das Therapieziel zu erreichen. Eine steuernde Maßnahme ist in der grünen Phase daher nicht notwendig und findet nicht statt.
  • Innerhalb der gelben Phase kann die Menge der Zeitintervalle bei vorliegendem individuellem Bedarf der Versicherten von der Ergotherapeutin beziehungsweise dem Ergotherapeuten eigenverantwortlich eingesetzt werden. Bei Auffälligkeiten kann die Krankenkasse die Ergotherapeutin beziehungsweise den Ergotherapeuten informieren.
  • Bei Erreichen der roten Phase erfolgt ein Vergütungsabschlag in Höhe von neun Prozent auf die Zeitintervalle, die innerhalb der roten Phase erbracht werden. Weil es den Vertragspartnern insbesondere nicht gelang, sich einvernehmlich auf dem Verhandlungsweg auf die Ausgestaltung des Ampelsystems in der gelben Phase zu einigen, erfolgte letztlich die Festsetzung des Vertrages durch die Schiedsstelle nach Anrufung eines Berufsverbandes.

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