Sozialpolitik

Unser Sozialstaat – eine Wahrnehmung der jungen Generation

Erwartungen an die Sozialpolitik, etwa in den Bereichen Renten- und Krankenversicherung, hängen auch von den eigenen Lebensumständen ab. Welche Themen stehen bei jungen Menschen auf der Agenda?

Illustration: Wahrnehmung der Sozialpolitik

Nicht wenige Menschen bei den Ersatzkassen und der Deutschen Rentenversicherung machten sich 2023 Gedanken um ein wichtiges, sozialpolitisches Ereignis: die Sozialwahlen. Diese sahen bei fünf Ersatzkassen erstmals nicht nur eine Urnenwahl, sondern auch eine Onlinewahl vor. Rund um die Wahlen startet alle sechs Jahre die Kampagne mit dem lächelnden, roten Briefumschlag. Viele Wahlberechtigte werden mit den Sozialwahlen vorgeschalteten Kampagnen erreicht. Dennoch verbleibt die wichtige Frage, ob dies auch für die junge Generation so zu bestätigen ist und wenn dies der Fall ist, für welche sozialpolitischen Themen sich insbesondere junge Menschen interessieren.

Sozialpolitik ist jungen Menschen keineswegs fremd

In zuvor aufgeworfener Frage schwingt ein wenig die Erwartung mit, dass junge Menschen vielleicht an Sozialpolitik oder an sozialpolitischer Regulatorik etwas weniger interessiert sein könnten. Klar, sind sie doch naturgemäß von bedrohlichen Krankheitszuständen oder aber von eigener Altersvorsorge noch altersbedingt weit entfernt. Doch diese vorschnelle Einschätzung muss revidiert werden. In einer nicht-repräsentativen Befragung wurden Studierende dazu interviewt. Die Studierenden gehörten dem Studiengang „Gesundheitsökonomie (B. Sc.)“ des Fachbereichs „Wiesbaden Business School“ an der Hochschule RheinMain an. Dabei war von Interesse, welche Themen junge Menschen auf ihrer sozialpolitischen Agenda haben. Die Rückmeldungen mündeten einerseits in subjektive Wahrnehmungen, andererseits aber auch in Äußerungen, die die sozialen Sicherungssysteme in ihrer gesamten Ausgestaltung betrafen. Die Hinweise standen, und das war sicherlich im Vorfeld zu erwarten, im Zusammenhang mit den aktuellen Lebensumständen der jungen Menschen.

Sozialstaat ist kein abstraktes Gefüge

Den Studierenden nach leistet unser Sozialstaat viel. Klar, der aktuelle Bundeshaushalt stellt mehr als 36 Prozent seines Gesamtvolumens für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, also mehr als 175 Milliarden Euro für wohlfahrtsstaatliche Leistungen, bereit. Darüber hinaus stehen Haushaltsmittel für Wohlfahrt und Daseinsvorsorge von den kommunalen Gebietskörperschaften, den Bundesländern, von den Betrieben und in erheblichem Umfang aus den Sozialversicherungssystemen bereit. Insgesamt waren es 2022 ein Sozialbudget von mehr als 1.175 Milliarden Euro. Die damit verbundene Bedeutung spiegelt sich in der Befragung der jungen Generation wider: Eine junge rentenpolitische Agenda wurde mit Fragen der zukünftigen, persönlichen Vermögens- und Altersvorsorge versehen. Fragen rund um die immer schwierigere Studienfinanzierung kamen in dem Interview auf. Themen der Gesundheit, der Gesunderhaltung sowie der Schwanger- und Mutterschaft wurden genannt und mit Hinweisen zu einer nicht immer als zielführend wahrgenommenen Steuerung der Gesundheitsausgaben versehen. Je umfänglicher die Leistungen des Sozialstaats wahrgenommen wurden, desto immenser fällt auch die damit verbundene Administration und die als nicht immer gegeben wahrgenommene Kontrolle über den Finanzmitteleinsatz aus junger Perspektive aus. Die aktuellen Lebens- und Arbeitsverhältnisse und eine angespannte Einkommenslage beeinflussten „den jungen Blick“ auf dieses Politikfeld.

Sozialstaatlichkeit und ihre aktuellen Herausforderungen

Der Sozialstaat wurde dabei auch als „anfällig“ diskutiert. Durch immer knappere Finanzmittel gerät das Gesamtgefüge unter Druck. Da schwingen Sorgen mit, dass die im Umlagesystem finanzierten Finanzmittel vielleicht nicht immer für die richtigen Maßnahmen eingesetzt werden (unter anderem Unterversorgungstendenzen, parallele Versorgungssysteme, fehlende Adhärenz vs. hohe Versorgungfreiheitsgrade). Systemseitig wurden falsch gesetzte Anreize wahrgenommen (Patientensteuerung, Abrechnungsmanipulation, usw.). Der Bestand einiger unserer Sozialsysteme könnte langfristig gefährdet sein, sodass jüngere Kohorten dem Generationenvertrag nicht mehr gerecht werden könnten.

Junge Menschen in Sozialstaat und Soziale Selbstverwaltung einbeziehen!

In Deutschland sind fast 25 Millionen Menschen ehrenamtlich tätig. Sie wollen helfen, soziale Kontakte pflegen und sich austauschen. Entsprechendes Engagement ist attraktiv und geht nicht selten auf eigene (potenzielle) Betroffenheit zurück. Traditionell haben solidarisch finanzierte Sozialsysteme die Aufgabe, im Sinne des Sozialstaats gesellschaftliche Wohlfahrt zu wahren. Die Geschicke dieser Systeme sollen ganz bewusst von den Mitgliedern selbst gesteuert werden. Sie spüren die Betroffenheit eher, als das bei anderen Institutionen oder Dritten der Fall wäre. Da die Steuerung auf demokratischen Grundsätzen beruht, existieren Sozialwahlen, die nicht nur die Mitgliedervertretungen bestimmen, sondern auch die Mandate in den Sozialversicherungsgremien legitimieren. Die sozialen Sicherungssysteme stehen vor Herausforderungen, die mit geschlossenem Rückhalt anzugehen sind. Dabei ist es deutlich attraktiver, die Zukunft – auch und gerade unter Rückgriff auf die junge Generation – selbst zu gestalten und zu organisieren, als dies Dritten zu überlassen.

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