In der stellenweise stark polarisierten Debatte um die gesellschaftlichen Folgen der durch SARS-CoV-2 ausgelösten Pandemie gerät manchmal aus dem Blick, wie groß die Fortschritte in der Impfstoffentwicklung sind. Dank einer einzigartigen weltweiten Anstrengung werden mittlerweile über 100 aussichtsreiche Präparate untersucht, wovon sich zehn bereits in der klinischen Erprobung am Menschen befinden. Bis zur Produktion eines wirksamen Impfstoffs in ausreichender Menge und einer Impfung einer Mehrheit der Bevölkerung werden die direkten und mittelbaren Folgen der Pandemie unseren Alltag weiter prägen.
Gegen Ende des vergangenen Jahres sind in China erstmalig Infektionen mit einem neuartigen Virus beschrieben worden. Es ist Teil der Familie der Coronaviren, deren andere Vertreter als Erreger meist harmloser Erkältungen bekannt sind. Aufgrund der Ähnlichkeit zum Erreger des Schweren Akuten Atemwegssyndroms SARS wurde das neue Coronavirus als SARS CoV- 2 bezeichnet. Das durch eine Infektion hervorgerufene Krankheitsbild Covid-19 ist in schweren Fällen durch ein Versagen der Lunge und anderer lebenswichtiger Organe gekennzeichnet. Vor allem ältere Menschen und chronisch Erkrankte sind gefährdet, einen solchen schweren Verlauf zu erleiden.
Nachdem im Februar 2020 die ersten Fälle von Covid-19 in Deutschland bekannt geworden sind, breitete sich das Virus auch hierzulande rapide aus. Eine der größten Herausforderungen ist dabei die Suche nach einem Impfstoff, der den Ausbruch der Erkrankung ganz verhindern oder wenigstens abmildern kann.
Impfungen bieten im Allgemeinen den größten Schutz vor ansteckenden Erkrankungen. Die Entwicklung neuer Impfstoffe nimmt allerdings meist Jahre in Anspruch, denn die Impfstoffkandidaten müssen in mehreren klinischen Phasen auf Sicherheit, Verträglichkeit und mögliche längerfristige Auswirkungen der Impfstoffe geprüft werden. Glücklicherweise kann bei der Suche nach einem Impfstoff gegen SARS-CoV-2 auf Vorarbeiten aus der SARS-Forschung zurückgegriffen werden.
Die Ausmaße der Covid-Pandemie und der daraus resultierende politische, soziale und wirtschaftliche Druck machen es erforderlich, manche Schritte der Entwicklung zu verkürzen oder ganz zu überspringen. Ein Entwicklungsprozess, der bisher viele Jahre gedauert hat, soll auf wenige Monate verkürzt werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Abwägung der Risiken, zum Beispiel Aussagen über die langfristigen Auswirkungen der Impfstoffe, trotz des enormen Zeitdrucks sorgfältig nach den Standards der evidenzbasierten Medizin erfolgt.
Aber auch dank einer weltweit intensivierten und vernetzten Forschung sind die zeit intensiven Hürden der Entwicklung im Labor vielerorts bereits genommen: Kein halbes Jahr nach der erstmaligen Beschreibung des neuen Virus listet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) über 100 in Entwicklung befindliche Impfstoffe auf. Davon befinden sich bereits zehn in der klinischen Erprobung am Menschen – die meisten in Phase 1, aber manche auch bereits an der Schwelle zur Phase 2.
Unterschiedliche Technologien – ein Ziel
Diese Forschungsvorhaben unterscheiden sich in der Art des entwickelten Impfstoffs. Manche arbeiten mit bekannten Technologien und verwenden abgetötete oder abgeschwächte Coronaviren, andere verwenden Teile der Eiweißhülle des Virus. Es kommen auch neue Gen-basierte Technologien zur Anwendung. Dabei wird Erbinformation des Virus in die Körperzellen geschleust. Allen diesen Strategien ist gemeinsam, dass das körpereigene Immunsystem aktiviert werden soll. Im Idealfall führt dies zu einem dauerhaften Abwehrschutz.
Noch ist unklar, welche Strategie sich als erfolgreich herausstellen wird. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es jedenfalls ebenso wie aus Perspektive der Versorgung sinnvoll, verschiedene Impfstoffkandidaten zu erproben. Durch eine diversifizierte Entwicklung und Produktion kann einer möglichen Monopolisierung des Impfstoffs vorgebeugt und die Risiken für Produktionsengpässe verringert werden. Auch stünden dadurch verschiedene Präparate für Personen mit fehlender Immunität zur Verfügung, sodass bei einer ausbleibenden Immunantwort alternative Impfstoffe zur Anwendung kommen könnten.
Die meisten Experten rechnen trotz vieler Hürden spätestens im nächsten Jahr mit einem oder mehreren Impfstoff en. Die weltweiten Produktionskapazitäten müssen dafür aller Voraussicht nach in einem bisher nicht dagewesenen Maße hochgefahren werden. Mehrere große Pharmafirmen haben angekündigt, auch durch Kooperationen ihre Kapazitäten entsprechend anpassen und dadurch jeweils etwa eine Milliarde Impfdosen pro Jahr liefern zu können. Jedoch gehen einschlägige Projektionen und Experten von zumindest anfänglich nicht ausreichenden Kapazitäten aus. Dadurch wird deutlich, dass die Herausforderungen, die die Covid-19-Pandemie an die globale Gesellschaft stellt, mit der Entwicklung und Produktion eines wirksamen Impfstoffs nicht schlagartig verschwinden werden.
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