Morbi-RSA

Neue Diskussionen um neue Gutachten

Die umfassende Reform des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) ist mit dem Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) gerade erst am 13. März 2020 im Bundesrat endgültig verabschiedet worden, da hat das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) Ende März mit der Veröffentlichung zweier Gutachten die nächste Runde Reformdiskussion im Morbi-RSA eingeläutet. Die beiden Themen – Zuweisungen für Auslandsversicherte bzw. Krankengeld – befinden sich seit Bestehen des RSA, insbesondere seit Einführung des Morbi-RSA im Jahr 2009, in der Diskussion, da deren Ausgleichsmechanismus im RSA weder hinsichtlich Zielgenauigkeit noch Wettbewerbsaspekten überzeugen konnte.

Illustration: Zwei übereinanderliegende Aktenordner neben einem Schild mit der Aufschrift Gutachten

Die aktuellen Gutachten wurden vom Gesetzgeber im Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) im Jahr 2017 beschlossen und stellen Folgegutachten dar. Die Erstgutachten aus dem Jahr 2016 hatten weiteren Forschungsbedarf attestiert und dazu auch spezifische Datenerhebungen angeregt. Mit dem GKV-Finanzstruktur- und Qualitätsweiterentwicklungsgesetz (GKV-FQWG) waren auch Sonderregelungen zur Berechnungen der Zuweisungen geschaffen worden, um die bestehenden Schwächen des Ausgleichssystems zu kompensieren. So werden im Bereich Krankengeld nur noch 50 Prozent der Zuweisungen über das bestehende Modell ermittelt, während 50 Prozent über eine Berücksichtigung der Ist-Kosten zugewiesen werden. Für die Auslandsversicherten wird die Gesamtsumme der Zuweisungen auf die Summe der insgesamt für die Auslandsversicherten von den Krankenkassen gebuchten Leistungsausgaben begrenzt, um eine starke Überdeckung für diese Versichertengruppe zu vermeiden.

Zuweisungen für Auslandsversicherte

Das aktuelle Verfahren im Morbi-RSA für Auslandsversicherte sieht vor, dass die Zuweisungen anhand der Durchschnittskosten der Versicherten im Inland gestaffelt nach Altersgruppen ermittelt werden. Dieses Verfahren wurde gewählt, um zu berücksichtigen, dass für Auslandsversicherte weder durchgängig versichertenbezogene Meldungen der Leistungsausgaben noch Diagnosemeldungen über die üblichen Meldewege vorliegen. Allerdings führte dieses Verfahren zu deutlichen Überdeckungen für die Gesamtheit der Auslandsversicherten, das heißt die Zuweisungen lagen oberhalb der tatsächlichen Ausgaben. Diesem Umstand wurde mit der eingeführten Sonderregelung Rechnung getragen, dennoch bestehen zwischen den Krankenkassen weiterhin starke Deckungsunterschiede, die durch stark divergierende Ausgabenniveaus und Erstattungsregelungen der jeweiligen Aufenthaltsländer der Versicherten bedingt sind.

Mit dem GKV-FQWG wurde eine erste Gutachtenerstellung zur Entwicklung von Modellen für eine zielgenauere Ermittlung der Zuweisungen zur Deckung der Aufwendungen für Auslandsversicherte beschlossen. Das Gutachten wurde 2016 vom Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg- Essen veröffentlicht und nahm neben einem vollständigen Ist-Kosten-Ausgleich Modelle in den Fokus, die Zuschläge differenziert nach Aufenthaltsländern vorsahen.

Da nicht alle benötigten Datengrundlagen vorlagen, konnten die vorgeschlagenen Modelle erst im Folgegutachten auf Zielgenauigkeit überprüft und verfeinert werden. Dieses Gutachten wurde von der EsFoMed GmbH, dem Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg- Essen und dem WIG2 Institut erstellt und umfasst alle in der Diskussion befindlichen Modellansätze. Die Gutachter präferieren ein Modell, das die Zuweisungen für die Auslandsversicherten anhand landesspezifischer Zuschläge für die jeweiligen Aufenthaltsländer ermittelt und die Zielgenauigkeit der Zuweisungen für Auslandsversicherte deutlich erhöht.

Das Gutachten ist leicht umsetzbar, da die Datenvoraussetzungen bereits weitestgehend gegeben sind. Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) begrüßt daher die Empfehlung der Gutachter und spricht sich für eine zügige Schaffung der nötigen rechtlichen Voraussetzungen für die Umsetzung aus.

Zuweisungen für Krankengeld

Auch für die Berechnung von Krankengeldzuweisungen im RSA wurde 2016 ein Erstgutachten vom Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen vorgelegt, das besonders die bisher nicht berücksichtigten Bestimmungsfaktoren für Krankengeldausgaben untersuchte. Parallel erschienen weitere Gutachten, unter anderem von einer Gruppe um IGES und dem WIG2 Institut, die von einzelnen Krankenkassen beauftragt wurden.

Im Gegensatz zum restlichen Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist das Krankengeld keine Sachleistung, sondern eine einkommensabhängige Lohnersatzleistung, deren Höhe sich proportional an den beitragspflichtigen Einnahmen eines Mitglieds bemisst, die für die Krankenkassen eine nicht-beeinflussbare Größe darstellen. Daher verfolgten die obigen Gutachten den Ansatz der getrennten Berücksichtigung der Krankengeldbezugstage (Mengenkomponente) und der gezahlten Krankengeldhöhe (Preiskomponente). Beide Gutachten wurden allerdings nur unter Verwendung eines Teildatenbestandes der GKV erstellt.

Das Folgegutachten, das von IGES vorgelegt wurde, greift die umfassende Betrachtung der Modellansätze auf und erweitert diese um Modellvarianten auf Grundlage der André Schulze Abteilung Finanzen/Versicherung beim vdek Foto: Fotostudio Neukölln zusätzlichen Daten aus einer Sonderdatenerhebung.

Aufgrund der Vollerhebung der Daten war grundsätzlich eine bessere Repräsentativität der Ergebnisse als im Erstgutachten zu erwarten. Allerdings ergeben sich bei der Bewertung des Gutachtens eine Reihe von Fragen zur Datenqualität bzw. Datenaufbereitung. So weichen die Deckungsquoten auf Kassenebene bereits im Ausgangsmodell erheblich von den tatsächlichen Ergebnissen des RSA-Jahresausgleichs 2017 ab, vermutlich begründet in den recht umfassenden Datenbereinigungen der Gutachter. Eigentlich wäre eine fast exakte Abbildung des Jahresausgleichs zu erwarten gewesen. Es ergeben sich daher grundsätzliche Zweifel an der Validität der dargestellten Gütemaße auf Basis des Datenbestands der Sondererhebung.

Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass verwendete beitragspflichtige Einnahmen (bpE) erhebungsbedingt nicht die nötige Datenqualität haben. Dadurch sind die Ergebnisse für alle Modelle, die eine direkte Berücksichtigung der bpE als Variable vorsehen, kaum verwendbar. Eine Zuweisungsmethode zur Berücksichtigung einer gesonderten Preiskomponente ohne Verwendung der verzerrten bpE wäre die Ermittlung kasseneinheitlicher Krankengeldzahlbeträge gewesen. Leider wurde im Gutachten nur eine versichertenindividuelle Variante auf Basis der verzerrten bpE umgesetzt.

Aus Ersatzkassensicht bleibt festzuhalten, dass die Empfehlung der Gutachter nicht befürwortet werden kann. Die fehlende Berücksichtigung einer gesonderten Preiskomponente in den Empfehlungen des Gutachtens ist für die Ersatzkassen nicht sachgerecht und steht in deutlichem Widerspruch zu den Gutachten aus 2016. Das vorgeschlagene Modell kann von den Gütemaßen nur bedingt überzeugen, während die Deckungsbeitragsunterschiede im Vergleich zur Sonderregelung größer werden. Auch erfolgt keine ausreichende Würdigung der zusätzlichen Manipulationsanreize im Bereich der Diagnosen, die der Intention des GKV-FKG zuwider laufen. Daher sollte die bestehende Sonderregelung weiter für die Krankengeldzuweisungen angewendet werden.

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