Die Europäische Kommission hat am 26. April 2023 ihre Vorschläge für eine Reform des EU-Arzneimittelrechts veröffentlicht. Das Europäische Parlament nahm am 11. April 2024 Stellung dazu. Ziel ist es, erschwingliche und innovative Arzneimittel für alle Bürgerinnen und Bürger der EU verfügbar zu machen und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Die Vorschläge bestehen aus einer Verordnung und einer Richtlinie, fassen die bisherigen EU-Rechtsvorschriften zu Arzneimitteln zusammen und aktualisieren diese. Dazu gehören die Richtlinie über den Gemeinschaftskodex für das Vermarkten von Arzneimitteln, die Verordnung über die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die Verordnung über Arzneimittel für seltene Erkrankungen.
Vorgesehen ist eine Erhöhung der Mindestschutzdauer für Anreize für neue pharmazeutische Produkte. Die EU-Kommission schlägt zehn Jahre als Mindestschutzdauer und eine Höchstdauer von zwölf Jahren vor. Das Europäische Parlament spricht sich für jeweils sechs Monate weniger aus – das aber sind immer noch sechs Monate mehr im Vergleich zur heutigen Regelung. Bei Arzneimitteln für seltene Erkrankungen einigte sich das EU-Parlament auf ein neunjähriges Marktexklusivitätsrecht für „normale" Arzneimittel und ein elfjähriges für Arzneimittel, die sich an einen hohen ungedeckten medizinischen Bedarf richten; diese erhalten maximal 13 Jahre Marktexklusivität. Die Association Internationale de la Mutualité (AIM) spricht sich klar gegen eine Erhöhung der Mindestschutzdauer aus. Denn dies würde effektiv bedeuten, dass teure Produkte länger auf dem Markt bleiben. Dies widerspricht dem Streben nach Bezahlbarkeit, Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Arzneimitteln.
Des Weiteren schlägt die EU-Kommission einen übertragbaren Exklusivitätsgutschein vor, um die Entwicklung von neuen Antibiotika zu fördern. Das ist problematisch, auch wenn das EU-Parlament das Vorhaben durch strengere Regelungen abmildert. Besser wäre es, den Gutschein durch andere weniger kostspielige Maßnahmen zu ersetzen, etwa Push- und Pull-Anreize oder weniger Entkopplungsmechanismen. Zudem will das EU-Parlament ein neues System von Meilensteinzahlungen einführen, um die Entwicklung potenziell vorrangiger antimikrobieller Mittel zu unterstützen.
Vollständige Transparenz schaffen
Die Vorschläge der EU-Kommission für mehr Transparenz gehen zwar in die richtige Richtung, zumal das EU-Parlament die Art der Daten, die Antragsteller für eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln veröffentlichen müssen, erweitern will. Aber eine vollständige Transparenz schreibt es nicht vor. Insgesamt sind die Vorschläge nicht geeignet, um das Machtgleichgewicht zugunsten der Preisfestsetzungs- und Erstattungsstellen wiederherzustellen. Denn sie sehen keine Steuervergünstigungen vor und, was noch wichtiger ist, beinhalten keine Transparenz der Forschungs- und Entwicklungs- sowie der Produktionskosten, was zu einem besseren Verständnis des Verhältnisses zwischen dem von den Unternehmen geforderten Endpreis und diesen Kosten beitragen könnte. Daher sollte unbedingt eine vollständige Transparenz geschaffen werden in Übereinstimmung mit dem von der AIM entwickelten Rechner für faire Preise (fairpricingcalculator.eu). Gut ist, dass das EU-Parlament der Empfehlung der AIM folgt, eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu ändern oder zu widerrufen, wenn die entsprechend vereinbarten Bedingungen nicht erfüllt wurden.
Unvollständige klinische Daten
Sorge bereiten die Bestimmungen zur Lockerung des Rechtsrahmens. Diese würden die Zahl derjenigen Verfahren vervielfachen, mit denen die Zulassungsinhaber unvollständige klinische Daten in den Zulassungs-, Preisfestsetzungs- und Erstattungsdossiers einreichen können, was zu Problemen bei der Aufnahme solcher Arzneimittel in die Gesundheitssysteme führen würde. Bei einigen Arzneimitteln gehen die fehlenden Daten nie ein. Darüber hinaus ist vorgesehen, die Fristen für die Bewertung neuer Arzneimittel durch die EMA zu verkürzen. Das birgt die Gefahr, dass dieses Problem nur noch verschärft wird und den Erfolg der Verordnung über die Bewertung von Gesundheitstechnologien untergräbt.
Dass die Zulassungsinhaber und Großhändler künftig stärker in die Pflicht genommen werden sollen, Arzneimittel zu liefern, stärkt die Versorgungssicherheit. Zugleich sollte aus Sicht der AIM die Kommunikation rund um den Entzug oder die Beendigung der Zulassung eines Arzneimittels verbessert werden, indem beispielsweise die Zulassungsinhaber gegebenenfalls verpflichtet werden, die Übertragung der Zulassung auf einen anderen Marktteilnehmer anzubieten. Auch sollte die Rolle der zuständigen Behörden und der EMA in Bezug auf die Sammlung und den Austausch von Informationen über Versorgungsengpässe gestärkt werden. Ebenso sollte es der Öffentlichkeit und den Angehörigen der Gesundheitsberufe möglich sein, Versorgungsengpässe zu melden. Diesem Ansatz folgt das EU-Parlament und setzt sich für ein entsprechendes von der EMA einzurichtendes System ein. Nicht zuletzt fordert die AIM ausdrücklich, dass die Europäische Kommission keine Befugnis hat, elektronische Packungsbeilagen in der gesamten EU vorzuschreiben, und ist damit ebenfalls einer Meinung mit dem EU-Parlament.
Die nächsten Schritte
Es liegt nun an den Mitgliedstaaten, das Dossier im Europäischen Rat zu erörtern. Die Diskussionen werden voraussichtlich bis mindestens Ende 2025 andauern. Ein Datum für die endgültige Verabschiedung der Rechtsvorschriften ist nicht bekannt. Neben den Verhandlungen auf europäischer Ebene ist es aus Sicht der AIM wichtig, dass auch auf nationaler Ebene seitens der gesetzlichen Krankenversicherung auf die Vorschläge reagiert und Einfluss auf die Position des deutschen Gesundheitsministeriums genommen wird. Die europäische Gesetzgebung muss im Fall einer Verordnung eins zu eins und im Fall einer Richtlinie interpretativ in nationale Gesetzgebung eingeführt werden. Desto mehr ist im Zuge der Verhandlungen im Rat der Europäischen Union die Position der Mitgliedstaaten von Bedeutung.
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